Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Erholt auf Wahrheitssuche

Nach vierwöchiger Sommerpause geht der NSU-Prozess in München weiter

Von René Heilig *

Nach vierwöchiger Pause ist der der Prozess gegen Mitglieder und Unterstützer des rechtsextremen Terrornetzwerkes Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) fortgesetzt worden. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München sagte ein Ermittler des Bundeskriminalamtes (BKA) aus.

Die Vernehmung des 39-jährigen BKA-Mannes war von besonderer Bedeutung, weil der gegen den Angeklagten Holger Gerlach ermittelt und ihn vernommen hatte. Gerlach hatte dabei Angaben zur Rolle der Angeklagten Beate Zschäpe gemacht, die mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – beide sollen beim Auffliegen der Terrorzelle am 4. November 2011 Suizid begangen haben – den Kern der Terrortruppe gebildet hat. Dieser »Zwickauer Zelle« werden zehn zumeist rassistisch motivierte Morde, mehrere Bombenanschläge sowie Banküberfälle zugeschrieben.

Im Prozess selbst hatte Gerlach nur eine vorgefertigte Erklärung verlesen. Seither schweigt er. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ließ derweil durchblicken, dass dieses Verhalten nicht geeignet sei, in den Genuss eines Kronzeugenstatus zu kommen. Die Aussage des BKA-Mannes kann auch dem angeklagten Drahtzieher des Terrors Ralf Wohlleben gefährlich werden, denn der habe Gerlach eine Waffe gegeben und ihn angewiesen, diese in Zwickau weiterzureichen.

Das Gericht setzte die Beweisaufnahme zum Bombenanschlag 2004 in Köln fort, bei dem 22 Menschen verletzt wurden. Aufgerufen war der Mord an dem Imbisstand-Betreiber Ismail Yasar in Nürnberg, der ein Jahr später verübt wurde.

Bei der Wahrheitssuche zur Neonazi-Mordserie kommt dem Prozess nun noch eine erweiterte Bedeutung zu, da der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages seine Arbeit beendet hat. Sein im Parlament einstimmig bestätigter Abschlussbericht ist 1357 – mit Anhängen sind es sogar 1409 – Seiten dick. Er enthält neben 47 Empfehlungen jede Menge Widersprüche und offene Fragen.

Dazu gehört die folgende, scheinbar simple Frage: Wie hat Zschäpe in Zwickau vom Tod ihrer Kumpane in Eisenach erfahren? Laut Anklage hat Zschäpe anschließend das Quartier des Trios in Brand gesteckt und sich auf eine Odyssee quer durch Deutschland begeben. Durch die Auswertung von Funkzellen in beiden Städten kam das BKA auf zwei Handyanschlüsse mit schwedischen Nummern und eine neue Spur. Die Nummern gehören zum norwegischen Betreiber Telenor, Namen sind nicht registriert, berichtete jüngst der Journalist Andreas Förster. Damit sind allerdings andere, zum Teil dubiose Anrufversuche bei Zschäpe vom selben Tag nicht erklärt. Die Handys der Anrufer gehören dem Dresdner Innenministerium.

Neben dem OLG müssen die noch aktiven Parlamentsausschüsse in Erfurt und Dresden versuchen, Fragen vor allem mit Bezug zu Thüringen und Sachsen zu klären. Völlig offen ist der Fall der in Heilbronn ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter. Die in Stuttgart regierende grün-rote Koalition verweigert jeden Untersuchungsausschuss.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 6. September 2013


Das schweigende »Nesthäkchen«

NSU-Prozeß: Mutmaßlicher Terrorhelfer Gerlach beantwortet weiter keine Fragen

Von Claudia Wangerin **


Ein Versprechen, das die Anwälte des mutmaßlichen Terrorhelfers Holger Gerlach Anfang Mai von einer PR-Agentur verbreiten ließen, ist auch am ersten Verhandlungstag nach der Sommerpause im Münchner NSU-Verfahren nicht umfassend eingelöst worden: »Angeklagter Holger G. wird im Prozeß aussagen«, hatten seine Verteidiger Stefan Hachmeister und Pajam Rokni-Yazdi über den Presseverteiler der Agentur hannover.contex angekündigt. »Der Angeklagte war von Beginn an darum bemüht, seine Beziehung und seine Vergangenheit mit den mutmaßlichen Tätern zu erklären und verständlich zu machen«, hieß es in dem PR-Text. Doch dann hatte der 39jährige vor dem Oberlandesgericht München nur eine vorgefertigte Erklärung verlesen.

Darin beschrieb er mutmaßliche Erziehungsfehler seiner Mutter, stellte sich als »Nesthäkchen der Familie« und im Erwachsenenleben als gutgläubigen alten Kumpel dar. Er habe das mutmaßliche Kerntrio des »Nationalsozialistischen Untergrunds« von früher gekannt und nichts von den Verbrechen der gesuchten Neonazis geahnt, als er ihnen Ausweispapiere und eine Waffe übergab. Zwar kannte er sie selbst aus der rechten Szene Thüringens, traute ihnen aber nach eigener Aussage so schwere Straftaten wie die bundesweite Mordserie an neun Kleinunternehmern türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft nicht zu.

Die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe hatten Gerlachs Erklärung im Juni zerpflückt, da sie kaum zwischen ihrer Mandantin und den mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt differenziere: Laut Gerlach hätten »alle drei Personen sozusagen ›im Chor‹ mit ihm gesprochen«. Gerlach wollte seinerzeit keine Fragen dazu beantworten, ließ aber offen, ob er dies später tun werde. Am Donnerstag wollte er nicht – das ließ er durch seine Anwälte bekräftigen. Statt dessen berichtete ein Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) von einem Ortstermin mit dem Angeklagten im sächsischen Zwickau. Dorthin hatte Gerlach nach eigener Aussage in polizeilichen Vernehmungen die Waffe gebracht.

Inzwischen gilt Gerlach als wichtiger Zeuge der Anklage, aber auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hatte vor der Sommerpause angedeutet, daß die bisherige Erklärung aus seiner Sicht nicht zufriedenstellend sei. Beate Zschäpe, laut Anklageschrift Mittäterin bei allen NSU-Verbrechen, schweigt nach wie vor.

** Aus: junge welt, Freitag, 6. September 2013


Zurück zum NSU-Prozess

Zurück zur Homepage