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"Rotz und Wasser geheult"

NSU-Prozess in München: Die Mutter von Uwe Böhnhardt wurde befragt – sie hat sich wohl eine eigene Welt gezimmert

Von René Heilig *

Im NSU-Prozess sagte am Dienstag erstmals eine Angehörige der mutmaßlichen Neonazi-Terroristen aus. Von Brigitte Böhnhardt erhoffte man sich Aussagen darüber, wer im Zwickauer Trio welche Rolle spielte.

Kein Zweifel, Brigitte Böhnhardt hat um ihren Sohn gekämpft. Doch Uwe, das »Wunschkind«, der »Nachzügler«, das »aufgeweckte Kerlchen«, ist den Eltern immer mehr entglitten, nachdem sein älterer Bruder unter ungeklärten Umständen zu Tode kam. Das war 1988. Ein Jahr darauf fegte der Wendesturm auch durch Jenas Neubaugebiete. Uwe Böhnhardt, damals 12, 13 Jahre alt, baute in der Schule ab. Schuld sei der Umbau des Bildungssystems gewesen, meint die gelernte Pädagogin. Es folgte die Förderschule, dann das Schwänzen. Die Kollegen haben ihr das nie erzählt, behauptet die ehemalige Lehrerin. Das nehme sie denen sehr übel.

Uwe fiel schließlich als Kleinkrimineller auf. Die Eltern waren am Ende, der Sohn lebte eine Weile im Kinderheim. 1994 brachte er das erste Mal Uwe Mundlos mit nach Hause, auch den in München mitangeklagten Ralf Wohlleben kennen die Eltern bereits aus dieser Zeit. Sympathisch und nett seien die gewesen. Aber leider arbeitslos. »Sie hatten also viel Zeit.«

Die Freunde auf Nazidemos – was Mutter Böhnhardt noch immer nicht glauben will. Die Gefängnisstrafen blendet sie weitgehend aus. So wie das Bombenbauen der beiden Uwes. Die jungen Rechtsextremisten flogen Anfang 1998 auf, tauchten gemeinsam mit Beate Zschäpe ab, bildeten den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) und ermordeten mindestens zehn Menschen. So steht es in der Anklage, mit der die Bundesanwaltschaft nur Zschäpe erreicht, denn die Uwes sollen sich nach einem Banküberfall im November 2011 in Eisenach selbst gerichtet haben.

Aus dem Verhandlungssaal wurde gestern berichtet, Böhnhardts Mutter sei noch immer angetan von der Freundin ihres Sohnes. Und die, Beate Zschäpe, folgte den Berichten relativ konzentriert. Das ist man bislang so nicht von ihr gewohnt. Einmal nickte sie, da sagte Mutter Böhnhardt, Polizisten vom Thüringer Landeskriminalamt hätten ihr gesagt: »Wenn wir sie aufspüren und die zucken nur – glauben Sie mir, unsere Leute sind schneller mit der Pistole, die haben das gelernt.« Es hatte in der Tat mehrfach Versuche der Polizei gegeben, über die Eltern Böhnhardt an das Trio heranzukommen, das allerdings »nur« wegen des Bombenbauens gesucht wurde. Von den Morden an neun Migranten und einer Polizistin ahnten die Fahnder nichts.

Die Polizei habe ihrem Sohn Beweise untergeschoben. Brigitte Böhnhardts Misstrauen und Bitterkeit gegenüber den Fahndern sei zusätzlich genährt worden durch eigenartige Verhandlungen mit dem Verfassungsschutz, der – wie man aus diversen Anhörungen vor Untersuchungsausschüssen weiß – gegen die Polizei zu arbeiten schien.

»Rotz und Wasser« hätten sie und ihr Mann geheult und ab und zu Telefonkontakt mit dem Sohn gehabt. Immer wieder hätten sie ihn angefleht: »Das bringt gar nichts, das hat keine Zukunft, stellt euch, stellt euch, stellt euch.« Es habe sogar bis 2002 Treffen gegeben. Dass bis dahin von den NSU-Killern schon vier Menschen umgebracht worden waren, davon sagte der Sohn offenbar nichts.

Die gut fünfstündige Befragung am Dienstag wird am Mittwoch fortgesetzt. Sie erinnerte Zuhörer an das Auftreten der 65-Jährigen vor dem Untersuchungsausschuss in Erfurt im Juni. Schon da hatte man den Eindruck, die Mutter zimmert sich in ihrem Schmerz eine eigene Welt, in der ihr Sohn vor allem eines ist: Opfer.

Eigentlich war die Münchner Befragung von Brigitte Böhnhardt bereits in der vergangenen Woche geplant. Doch vor dem Oberlandesgericht gibt es eine Art Zeugenstau. Themen sind »angerissen«, verlangen weitere Nachforschungen, nicht immer ist die Abfolge der Ladungen so effektiv, wie sie gedacht war. So wird sich der Senat unter Manfred Götzl in diesem Jahr wohl kaum sorgfältig genug mit dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße und dem Mord an der Polizistin Michelle Kiesewetter in Heilbronn befassen können.

Theoretisch könnten sich nach inzwischen 57 Verhandlungstagen Probleme bei einer der regelmäßigen Haftprüfungen von Zschäpe und Wohlleben ergeben. Die Angeklagten kämen möglicherweise aus der Untersuchungshaft frei, wenn den Richtern begründet mangelndes Prozesstempo vorgeworfen werden kann.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 20. November 2013


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