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"Nicht nur Mitleid"

NSU-Prozeß. Die Mutter des mutmaßlichen Neonazikillers Böhnhardt ist dankbar, daß sich die Opferfamilien nicht an ihr rächten

Von Claudia Wangerin, München *

Die Mutter des mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt hat am zweiten Tag ihrer Zeugenvernehmung vor dem Oberlandesgericht München doch noch Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) ausgedrückt. »Das tut uns unendlich leid«, sagte Brigitte Böhnhardt am Mittwoch auch im Namen ihres Mannes. »Ich würde sicher was drum geben, um das ungeschehen zu machen.« Sie habe »nicht nur Mitleid, sondern Mitgefühl«, denn sie selbst könne »diese Ungewißheit über Jahre« mit am besten verstehen. Auch sie habe lange Zeit nicht gewußt, was mit ihrem Sohn geschehen sei, sagte sie mit Blick auf die Familien, deren Angehörige nicht als Opfer einer rassistischen Mordserie gesehen wurden, bis die Existenz des NSU 2011 durch den Tod ihres Sohnes und seines Komplizen Uwe Mundlos aufgedeckt wurde. Brigitte Böhnhardt fügte hinzu, sie sei den Opferfamilien »dankbar, daß sie sich nicht an uns gerächt haben«. Davor habe sie Angst gehabt, obwohl sie keinerlei Drohungen von ihnen erhalten habe. Sie und ihr Mann seien auch bereit gewesen, sich mit der Tochter eines Mordopfers zu treffen, allerdings nicht in Begleitung von Journalisten.

Sie habe sowohl ihren Sohn als auch seinen mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos für »Nachläufer« gehalten, die auf »Hohlköpfe und Rattenfänger« hereingefallen seien. Den Mitangeklagten Ralf Wohlleben habe sie nicht als solchen kennengelernt, sondern als »freundlichen, lieben, netten jungen Mann«.

In der Befragung durch die Nebenklage zeigte sich die Mutter des mutmaßlichen NSU-Mitbegründers Böhnhardt überrascht, als ihr vorgehalten wurde, er habe schon im Jahr 1993 als Jugendlicher im Gefängnis einen Mithäftling mißhandelt. Ihr Sohn hatte seinerzeit als Mitglied einer kriminellen Clique mit Kontakten zur Autoschiebermafia Straftaten begangen. Rechtsanwalt Yavuz Narin hielt ihr am Mittwoch aus dem Abschlußbericht des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag vor, Böhnhardt und sein Neonazikamerad Sven Rosemann hätten dem Mitgefangenen seinerzeit Brandverletzungen mit einer angeschmolzenen Plastiktüte zugefügt. »Nein, ich meine, man hätte uns als Eltern informieren müssen, denn er war noch minderjährig«, so Brigitte Böhnhardt auf die Frage, ob ihr dieser Vorfall bekannt sei.

Sie selbst habe immer befürchtet, ihr Sohn könne in der Haft sexuell mißbraucht werden oder sei sogar mißbraucht worden. Er habe ihr aber nur von einem anderen Jugendlichen berichtet, dem das passiert sei. Sie wolle aber »hier nicht sagen«, was er genau erzählt habe. Bereits am Vortag hatte Brigitte Böhnhardt diesbezüglich Andeutungen gemacht und dazu erklärt: »Als Mutter sieht man seinen Sohn in einem Männergefängnis eher als Opfer.« Sie denke, er habe aufgrund dieser Angst vor möglichen sexuellen Übergriffen nie wieder ins Gefängnis gewollt, sagte sie am Mittwoch. Das Verhältnis zwischen ihrem Sohn und der heutigen Hauptangeklagten Beate Zschäpe sei in den 1990er Jahren »kuschelig« gewesen.

Am Nachmittag versuchten Nebenklagevertreter, die Umstände der Kontaktaufnahme des Verfassungsschutzes mit dem früheren Pflichtverteidiger von Böhnhardt zu klären und Licht ins Dunkel des geplatzten Deals mit der Staatsanwaltschaft Gera zu bringen, als Böhnhardt und Zschäpe sich stellen wollten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 21. November 2013


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