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V-Mann-Hilfe für NSU

Zur Beschaffung falscher Pässe angestiftet: Zeuge im Prozeß um rechte Terrorgruppe belastet Geheimdienstquelle Tino Brandt

Von Claudia Wangerin, München *

Eine bezahlte »Quelle« des Inlandsgeheimdienstes hat nach Aussage eines Zeugen versucht, den mutmaßlichen NSU-Terroristen eine neue Identität zu verschaffen. Bekannt war Tino Brandt bisher »nur« als enttarnter V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes und früherer Anführer der Neonazigruppierung »Thüringer Heimatschutz« (THS). In der hatten sich die späteren mutmaßlichen Haupttäter einer rassistischen Mord- und Anschlagsserie vor ihrem Untertauchen in den 1990er Jahren radikalisiert. Im Münchner Prozeß um die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) hat nun am Donnerstag der Neonazi und frühere THS-Aktivist André Kapke ausgesagt, er sei von V-Mann Brandt beauftragt worden, falsche Pässe für die flüchtigen »Kameraden« Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe zu besorgen. Nach dem Untertauchen des späteren mutmaßlichen NSU-Kerntrios 1998 sei in der Szene über ihre Unterbringung diskutiert worden, so Kapke vor dem Oberlandesgericht München. Brandt habe ihm damals Kontakt zu einem Mann vermittelt, der falsche Papiere besorgen sollte. Dieser habe jedoch schließlich nur drei leere Pässe übergeben, sagte Kapke. »Damit konnte ich nicht viel anfangen.«

An konkrete Gesprächsabläufe mit Brandt oder dem dubiosen Kontaktmann könne er sich aber nicht erinnern, so Kapke auf mehrfache Nachfrage des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Er wisse auch nicht mehr genau, wie der Kontakt letztlich zustande gekommen sei und ob Brandt ihm eine Telefonnummer gegeben habe. Es sei »ein langes Hin und Her mit dieser Person« gewesen. Der Mann habe »ein Allerweltsgesicht« und mittellange dunkle Haare gehabt.

Brandt habe ihn im Zusammenhang mit Hilfsaktionen für das Trio auch zum NPD-Vizevorsitzenden Frank Schwerdt geschickt, sagte Kapke. »Der hat ja einige Kontakte«, soll Brandt über Schwerdt gesagt haben. Der wiederum hatte 2012 in einem Fernseh­interview bestätigt, daß ein solches Treffen stattgefunden habe. Er selbst habe jedoch weder helfen können noch wollen.

Kapke und der heutige Mitangeklagte Ralf Wohlleben sollen in der Szene etwa 4000 D-Mark an Spenden und Einnahmen bei eigens organisierten Rechtsrockkonzerten für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zusammengekratzt haben, um ihnen eine Flucht nach Südafrika zu ermöglichen.

Von Mord- und Anschlagsplänen der untergetauchten »Kameraden« wußte Kapke angeblich nichts. So sprach er auf sich selbst bezogen vor Gericht ausschließlich über verjährte Tatbestände. Er räumte aber ein, daß ihn die möglichen Folgen seines Handelns gar nicht interessiert hätten. »Wenn jemand der Meinung war, er müßte Scheiße bauen, dann wollte ich es einfach nicht wissen«, erklärte er seine Einstellung vor Gericht. Auch zu Brandt habe er mit Blick auf das Trio gesagt: »Tino, ich will da nix wissen.«

Brandt und Wohlleben seien damals zwei seiner besten Freunde gewesen, die Szene »ein Laberverein«. Um Tratsch zu vermeiden, habe man dort nichts Genaueres erzählt. »Da steht ja nun schließlich Fluchthilfe im Raum.« Nachdem er auf eigenen Wunsch »aus der Nummer raus« gewesen sei, habe er gedacht, die drei Untergetauchten seien »im Ausland und hätten sich ein neues Leben aufgebaut«. Morde und Sprengstoffanschläge habe er ihnen nicht zugetraut. »Das Bild, was ich von denen habe, ist nicht das, was sich mir jetzt aufzeigt«, so Kapke vor Gericht. »Das war schon ’ne freundschaftliche Bindung«, sagte er zu seinem Verhältnis zu dem Trio vor seinem Untertauchen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 22. November 2013


Zerrissene Zeugin

Mutter des mutmaßlichen NSU-Mörders Böhnhardt räumt vor Gericht inneren Konflikt ein, der an ihrer Aussage zweifeln läßt. Leitmedien werfen ihr anderes vor

Von Claudia Wangerin **


Erst am Abend des zweiten Tags ihrer Vernehmung hat die Zeugin Brigitte Böhnhardt die Schlüsselsätze zu ihrer gesamten Aussage über die Lippen gebracht: »Wenn schon jemand meinem Sohn hilft, dann will ich ihn nicht auch noch in Pfanne hauen«, sagte die Mutter des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht München. Sie könne ihn sich immer noch nicht als eiskalten Mörder vorstellen.

Es sei ihr wichtig gewesen, den Kontakt zu ihrem Sohn zu halten – dem 1998 untergetauchten Neonazi, der nach ihrer Aussage in seinem Jugendzimmer kein Propagandamaterial aufbewahren durfte und mit dem sie vergeblich diskutiert habe, ob er denn in der Pizzeria oder am Dönerstand arbeiten wolle, wenn er von Ausländern sprach, die Deutschen die Jobs wegnähmen. Im Jahr 2002 will sie ihn zuletzt getroffen haben, seit dem 4. November 2011 ist er tot. Seine Freundin Beate Zschäpe, laut Mutter Böhnhardt zeitweise »in die Familie integriert«, steht als Mittäterin bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen vor Gericht. Bei ihr bedankte sich Brigitte Böhnhardt für den Anruf, durch den sie von seinem Tod erfuhr, mehr als 13 Jahre nach dem Gang in den Untergrund.

Ihre anfänglichen Geldzuwendungen an den abgetauchten Sohn habe sie an die Bedingung geknüpft, daß er und seine Freunde Beate Zschäpe und Uwe Mundlos sich stellen würden. Personen, die bei ihr als Kuriere oder Mittelsleute auftauchten, konnte oder wollte sie vor Gericht nicht näher beschreiben – von wem ein Zettel mit Instruktionen zur Kontaktaufnahme in ihrem Briefkasten stammte, das habe sie gar nicht wissen wollen, sagte Brigitte Böhnhardt vor Gericht.

Nebenklageanwälte hatten ihr diesen Loyalitätskonflikt angemerkt, als es darum ging, ob sie außer dem Mitangeklagten Ralf Wohlleben und dem Zeugen André Kapke noch weitere Helfer identifizieren könne. »Ich möchte den Herrn Kapke nicht in irgendetwas reinreißen, was er nicht getan hat« – das sagte sie nicht etwa auf die Frage, ob er dem mutmaßlichen Mördertrio geholfen habe, sondern als es um die mögliche Unterschlagung ihrer »Spende« ging. Die heute 65jährige betonte mehrfach, sie habe nur verhindern wollen, daß ihr Sohn im Untergrund Lebensmittel klauen müsse.

Zu seiner mutmaßlichen Haupttäterschaft bei der Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« sagte Brigitte Böhnhardt, jede Mutter im Gerichtssaal werde doch verstehen, »daß ich mich an diese vage Möglichkeit klammere, daß es vielleicht doch nicht so war«. Und wenig später: »Ich muß es wahrscheinlich glauben, wenn man dann so viele Beweise hat.« Auf dem Überwachungsvideo vom Tag des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004 will sie ihren Sohn aber nicht erkannt haben: »Er trug immer sehr ungern ein Basecap.« Ihr Entsetzen über die Verbrechen als solche wirkt allerdings echt.

Ihre Beinahe-Schwiegertochter Beate Zschäpe beschrieb die Zeugin widersprüchlich – zunächst erklärte sie, die Hauptangeklagte sei »schüchtern und zurückhaltend« gewesen, als sie in den 1990er Jahren zeitweise bei ihnen gewohnt habe. Zschäpe gilt in der Anklageschrift als gleichberechtigte Planerin der Morde und Anschläge, für ihre Anwesenheit an Tatorten gibt es aber bisher keine eindeutigen Belege – ihr Rollenverhalten ist daher von Bedeutung. »Sie ist ein erwachsener Mensch gewesen, und sie hat sicherlich auch eine eigene Meinung gehabt«, so Brigitte Böhnhardt auf Nachfragen.

Leitmedien wie Spiegel online nahmen der ausgebildeten Lehrerin aus Jena bereits am ersten Tag ihrer Vernehmung übel, daß sie die Abkehr vom DDR-Schulsystem und den zunehmenden Leistungsdruck als dramatischen Einbruch – nicht nur im Leben ihres Sohnes – beschrieben hatte. In den Augen der Mutter seien weitgehend die anderen schuld, Lehrer, Jugendamtsmitarbeiter und Lehrherren, so Spiegel-Reporterin Gisela Friedrichsen. Zu den Ausführungen von Brigitte Böhnhardt, wenn die Behörden nur ihre Zusagen von Strafreduzierung eingehalten hätten, dann hätte sich das NSU-Trio gestellt, schreibt die Autorin: »Die Verschwörungstheorien, die diese Zeugin kaum verhohlen vor Gericht ausbreitete, mögen in der rechtsradikalen Szene Beifall finden und von manchen Leuten dort geteilt werden. Vor einem rechtsstaatlich legitimierten Gericht aber war einiges starker Tobak.« Das ist praktisch: Mit »Verschwörungstheorien« muß man sich inhaltlich nicht auseinandersetzen. Und jeder, der eine staatliche Verwicklung in den Neonaziterror unterstellt, landet automatisch in der rechten Ecke.

** Aus: junge Welt, Freitag, 22. November 2013


Bizarre Ermittlungsmethoden

Zielfahnder stocherten bei der Suche nach dem NSU im Nebel. Bisweilen wurden sie gleich selbst observiert – vom Verfassungsschutz

Von Sebastian Carlens ***


Brigitte Böhnhardt, Mutter des mutmaßlichen Neonaziterroristen Uwe Böhnhardt, sagte am Dienstag und Mittwoch vor dem Oberlandesgericht München aus. Sie berichtete dort von ihrem Verdacht, ihr Sohn und seine Gesinnungsgenossen seien in den Untergrund getrieben worden. Es habe Verhandlungen zur Aufgabe der drei Flüchtigen gegeben, doch »bestimmte Kreise oder Behörden« hätten nicht gewollt, daß sie sich stellen. In den vergangenen zwei Jahren war die erfolglose Suche nach den Terroristen auch mehrfach Thema im Bundestagsausschuß zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU), der die Fahndungspannen aufklären sollte. Dabei kamen merkwürdige Geschichten aus dem Alltag der Polizeiarbeit zu Tage.

Der Thüringer Zielfahnder Sven Wunderlich erhielt 1998 den Auftrag, die mit Haftbefehl wegen Sprengstoffbesitzes gesuchten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, die späteren Gründer des NSU, aufzuspüren. »Wie man mit einer Weisung der Staatsanwaltschaft schöpferisch umgeht, ist Sache der Polizei«, sagte der einstige kommissarische Leiter des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA), Egon Luthardt, vor dem Bundestagsgremiun. Und so fahndeten Wunderlichs Kollegen drauflos. Für die erfolgsverwöhnte Eliteeinheit (170 von 180 Fällen gelöst, 500 Personen festgenommen) sollte dieser »schöpferische« Einsatz in Ernüchterung enden. Wen sie da genau suchten, war ihnen lange Zeit nicht klar. Auch eine Liste aus der Feder von Uwe Mundlos, die sich heute wie das »Who is who« der NSU-Unterstützerszene liest, war den Fahndern nicht ausgehändigt worden; ein BKA-Mann hielt sie angeblich für »wertlos«. Sehr viel später bekam der Zielfahnder die Liste schließlich doch noch zu Gesicht: In den Unterlagen, die ihm Anfang 2013 zur Vorbereitung auf die Ausschußbefragung überreicht wurden.

In Thüringen hätten Wunderlich und seine Leute auch nicht fündig werden können – die drei Neonazis hatten sich nach Sachsen abgesetzt. Doch bereits lange vor dem Auffliegen der Terrorzelle, als Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe »nur« wegen Sprengstoffdelikten gesucht wurden, wiesen viele Spuren in den Freistaat. Nach Chemnitz beispielsweise: Dort lebten die Neofaschisten Kay Seidel und seine Freundin Mandy Struck – letztere stellte Beate Zschäpe ihre Ausweispapiere zur Verfügung, wie man heute weiß. Seidel war schon vor Jahren als mögliche Kontaktperson Uwe Böhnhardts im Visier der Fahnder.

Hauptkommissar Carsten Külbel, der Leiter des »Mobilen Einsatzkommandos« (MEK) Chemnitz, hatte mehrfach mit Seidel zu tun. Der sächsische Fahnder sagte ebenfalls vor dem Bundestagsausschuß aus. Dreimal rückten Külbels Beamte aus, um herauszufinden, ob sich der Chemnitzer Neonazi mit Böhnhardt trifft – das Ergebnis war jedes Mal negativ. Külbel konnte sich jedoch an einen merkwürdigen Einsatz erinnern: Am 23. Oktober des Jahres 2000 sollte seine Einheit eine »Kurzzeitobservation« der Wohnung Mandy Strucks vornehmen, hier hielt sich zu diesem Zeitpunkt Kay Seidel auf. Gegen Mittag mußte Külbel die Maßnahme jedoch unterbrechen – auf Weisung der Thüringer Zielfahnder, die »selbst mit dem Verdächtigen sprechen« wollten. Nach zwei Stunden Pause wurde die Observation fortgesetzt. Doch Seidel benahm sich auf einmal merkwürdig. Im Observationsprotokoll des MEK heißt es: »Seidel verließ gegen 14.51 Uhr mit einem ca. 50 mal 50 Zentimeter großen Pappkarton das Haus, begab sich zu einem Garagenkomplex, trug einen Faßgrill in den Hofbereich und verbrannte ca. 20 bis 25 Minuten lang etwas.«

Seit über 20 Jahren ist Külbel im Polizeidienst, im Jahr 2000 bekam er die Leitung des MEK übertragen – ein erfahrener Ermittler mit einem eingespielten, professionellen Team. Die Unterbrechung einer laufenden Observationsmaßnahme, das sei »ein einmaliger Vorfall in meiner Laufbahn« gewesen, sagte er. Ob er denn bemerken würde, wenn sein Observationsteam während einer Beobachtungsmaßnahme selbst beobachtet würde, wurde Külbel gefragt. Ihm sei weder etwas aufgefallen, noch könne er sich an Absprachen mit anderen Dienststellen im Vorfeld erinnern, so der Beamte. Und doch: Während aller drei Maßnahmen des MEK waren weitere, unerkannte Späher vor Ort: vom sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz. Wen die Geheimdienstler beobachteten – den Neonazi oder die Polizei, die den Neonazi observiert –, konnte der Ausschuß nicht erhellen.

*** Aus: junge Welt, Freitag, 22. November 2013


Der V-Mann Brandt war’s, sagte der »Umweltschützer«

Beim Münchner NSU-Prozess wurde ein Thüringer Neonazi als Zeuge aufgerufen

Von René Heilig ****


Dass André Kapke in der »Sache NSU« vor Gericht erscheinen muss, geht in Ordnung. Doch angesichts dessen, was der Rechtsextremist auf dem Kerbholz hat, fragt man sich: Wieso kommt der nur als Zeuge?

André Kapke, geboren 1975 in Jena, rechtsextrem, erscheint geistig so dumpf wie er gewalttätig ist. Die Ermittler sehen in ihm einen der führenden Neonazis in Thüringen. Schließlich war er Chef der »Kameradschaft Jena«, die toten NSU-Mitglieder Böhnhardt und Mundlos einst seine Stellvertreter. Auch im Thüringer Heimatschutz (THS) war Kapke vorneweg. Und die gestern gesteigerten rechtsextremistischen Internetaktivitäten, bei denen gegen den Münchner »Schandprozess« gegeifert wird, zeigen, dass der Zeuge nicht irgendein dahergelaufener Neonazi ist.

Eigentlich sollte Kapke schon am Mittwoch aussagen, doch die Befragung der Mutter von Uwe Böhnhardt zog sich. Dumm für Kapkes Gesinnungsgenossen. Sie mussten sich also auch am Donnerstag wieder in die Schlange der Prozessbesucher einreihen. Warum? Kameradenpflicht. Natürlich stärken Rechtsextreme den Bedrängten den Rücken. Doch die Anwesenheit von Kameraden im Saal hat nicht nur nicht solidarische Gründe. Man will sicher sein, dass der Zeuge nicht zu eifrig Auskunft über die Neonaziszene in Thüringen, in Deutschland und darüber hinaus gibt. Denn der weiß viel. Da fragen sich natürlich auch die besten Kameraden, wieso Kapke nicht neben Beate Zschäpe auf der Anklagebank sitzt. Ein Blick in die von ihm beim Bundeskriminalamt (BKA) unterschriebenen Vernehmungsprotokolle bestätigt: Der Mann versteht es, seine Haut zu retten. Und gibt nur zu, was verjährt ist.

Nach dem Untertauchen des späteren NSU-Trios Anfang 1998 sei in der Szene diskutiert worden, wo man die Drei unterbringen kann. Der THS-Führer und später als V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz enttarnte Tino Brandt habe ihn gebeten zu helfen, sagte Kapke. Was da so schlagzeilenträchtig daherkommt, ist ein alter Hut. Der sich aber aus Sicht der Nazis gut gegen den Verräter Brandt wenden lässt.

Bekannt ist, dass der gestrige Zeuge 1998 in Berlin bei zwei Neonazis um Hilfe für das abgetauchte Trio gefragt hat. Auch seine Tour nach Südafrika, die er zusammen mit einem anderen THS-Mitglied zum Rechtsextremisten Claus Nordbruch unternommen hat, ist aktenkundig. Südafrika war als Fluchtpunkt für die NSU-Zellenmitglieder im Gespräch. Irgendwie hielt Kapke lange Kontakt zu den Untergetauchten, wenngleich er stets bestritt, dass es ein direkter gewesen sei. Er verkaufte das NSU-Unterstützer-»Spiel« namens »Pogromly« in der Szene und soll sich um die Beschaffung von Pässen bemüht haben. Das war der Punkt, an dem sich die Wege Kapkes und des nun in München mitangeklagten Ralf Wohlleben zeitweise trennten. Angeblich hat Kapke bei der Dokumentenaktion 4000 D-Mark veruntreut.

Bis dahin galten die beiden als Gespann. Der bullige Kapke gefiel sich als Wohllebens Werkzeug. Er fuhr bei Aufmärschen den Lautsprecherwagen, schleppte bei der Hochwasserkatastrophe eine Gulaschkanone zu Helfern. Und er hat mit Wohlleben jahrelang das »Fest der Völker« organisiert, zu dem aus ganz Europa bis zu 1500 Neonazis anreisten. 1998 stieg Wohlleben zum NPD-Landesvorsitzenden auf. Man vertrug sich wieder und wohnte gemeinsam im »Brauen Haus« in Jena, das zum Treff und zur Festung der Rechtextremisten in Thüringen wurde.

Die Vernehmung lief gestern zäh. Der Vorsitzende Richter Manfred Richter Gölzl wollte dem Zeugen nicht viel Freiraum geben, dennoch schwafelte der über dies und das – sagte also kaum etwas. Er beschrieb Mundlos als »charakterstark«, Böhnhardt sei »nicht dumm« gewesen und Zschäpe habe er »menschlich sehr geschätzt«. Dann outet er sich als Umweltschützer. Die Atomkippe Gorleben sei für ihn ein »maßgeblicher Punkt« gewesen, es könne nicht geduldet werden, dass die Industrie Atommüll verbuddle, sagte der Mann, der eine Bude namens »Chaosbau 24« betreibt.

Offensichtlich interessierte Kapke sich nicht nur für Umweltthemen. Bereits im Juli hatte ein Ermittler des Bundeskriminalamtes ausgesagt, Brandt, Wohlleben und Kapke hätten Strategiedebatten geführt. Dabei sei es auch um den Einsatz von Waffen bei der Durchsetzung politischer Forderungen gegangen.

Gestern gab der Zeuge nur zu, dass in seinen Kreisen natürlich eine »Grundstimmung gegen Ausländer« geherrscht habe. Nicht gegen einzelne, sondern gegen die liberale Politik, die Zuzug ermögliche. Schließlich, so meinte Kapke, zupfe man nicht nur ein paar Blätter, wenn man etwas gegen »Unkraut« machen will. Man müsse »an der Wurzel anfangen«.

**** Aus: neues deutschland, Freitag, 22. November 2013


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