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Spaß, Party und Umweltschutz

Ein NSU-Helfer erklärt seine Welt / Zwölfter Prozesstag in München

Von René Heilig, München *

Es geht um die Schuld am Tod von zehn Menschen, die eine rechtsextremistische Terrortruppe namens NSU auf sich geladen hat. Doch im Gerichtssaal wird über die Art und Weise gestritten, wie man einen Angeklagten befragen darf. Bisweilen provoziert das kleine juristische »Semantikseminar« sogar Lachen.

»Herr Vorsitzender, ich beanstande die Frage.« Vor allem Rechtsanwalt Wolfgang Heer, einer der Verteidiger von Beate Zschäpe, tut sich mit dem Satz hervor. Sie ist die Hauptangeklagte des Verfahrens gegen die Neonazi-Terrorbande »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU). Gestern ging vor dem Münchner Oberlandesgericht der zwölfte Prozesstag über die Bühne.

Bisweilen schließen sich die Rechtsanwälte vom Mitangeklagten und Thüringer NPD-Funktionär, Ralf Wohlleben, der Kritik an den Befragungen an. Gleichzeitig heben mehrere Dialoge an, es gibt Zwischenrufe. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl bittet dann, falls er überhaupt die Frage »akustisch verstanden« hat, sie präziser zu fassen. Manchmal gibt er sprachliche Nachhilfe, wie er sich »offene Fragen« vorstellt und erklärt, wie weit er geneigt ist »Grenzbereiche« zuzulassen.

Ab und zu entsteht daraus ein Wortgefecht. Zumeist zwischen Nebenklageanwälten und Verteidigern. Rechtsanwalt Reinhardt Schön, er vertritt Geschädigte des Bombenanschlags in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004, der dem NSU zugeschrieben wird, war gestern besonders in so ein verbales Juristenscharmützel verstrickt. Er wollte als Einleitung zu seiner Frage einen der sogenannten Bettelbrief des NSU verlesen, in dem die »energische Bekämpfung der Feinde des deutschen Volkes« verlangt wird. »Sieg oder Tod«, heißt es in dem Pamphlet. Es sei die Tat jedes Kameraden gefordert. Der Nebenklagevertreter wollte von Carsten Schultze, dem angeblich auskunftsbereiten Angeklagten wissen, was der über Debatten zum bewaffneten Kampf und zur gewaltsamen Veränderung des Gesellschaftssystems mitbekommen hat. Natürlich »nichts«.

Das provozierte Ungläubigkeit: »Man hat in ihren Neonazikreisen nicht darüber gesprochen?« Welch seltsamer Zufall, dass Rechtsanwalt Olaf Klemke – ihm sagt man so wie Wohllebens zweitem juristischen Beistand Nicole Schneiders vielfältige Kontakte in die Szene nach – das mit den »Neonazikreisen« offensichtlich auf sich bezog. Umgehend stellte er die Drohung einer Anzeige in den Raum.

Zugegeben, das Wissen über die rechtsextreme Szene und auch das Fragegeschick der Nebenklageanwälte ist höchst ungleichmäßig verteilt. Zumal die über 40 Anwälte ja nicht einem gemeinsamen Ansatz folgen. Der Angeklagte Schultze macht es aber auch nicht leicht, Behauptungen beispielsweise über seine ideologische Loslösung von der Naziszene nachzuvollziehen. Welcher Ideologie sind sie damals gefolgt? Die Frage war klar. Die Antwort nicht.

Er sei »nationalpolitisch« gewesen, habe »für Deutschland kämpfen wollen«. Wie kämpfen? »Na so, wie ich das damals gemacht habe, in der NPD ...« Welche Ziele hatte die Partei? »Es ging um die Rückführung der Ausländer.« Und im Thüringer Heimatschutz habe man so einen Aufnäher gehabt: »Umweltschutz ist Heimatschutz« Und es sei um »Spaß« gegangen und um »Partys« am Wochenende.

Das sagt einer, der in der NPD Funktionen bekleidet hat und bundesweit eine »große Nummer« bei deren Jugendorganisation JN war. Später erklärt er dann erneut, dass es die Musik war, die er »lustig« fand und über die er in die Szene geraten sei. Doch in der weiteren Vernehmung wurde schon klar, dass er genau wusste, welche Rolle die militante Blood & Honour-Bewegung im Nazibereich gespielt hat. Er war auf zahlreichen Konzerten, kannte die Symbole, erinnert sich an Texte, die zur Gewalt hetzten.

Gebeten, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die beiden toten mutmaßlichen Killer der NSU-Bande, zu charakterisieren, kam nur: »Sie waren stark auftretend und witzig.« Schultze war jedenfalls »stolz«, dass die beiden Uwes sich bei ihm bedankt haben, als er ihnen die spätere Mordwaffe nach Chemnitz gebracht hat. Dennoch habe er sich »verarscht« gefühlt. Denn bei dem Treffen hätten die Uwes auf ihren Rucksack gezeigt und gesagt: Wir sind immer bewaffnet. Weshalb, habe er sich gefragt, musste ich dann noch eine Waffe besorgen. Als Schultze durch Wohlleben später erfahren hat, dass »die Drei« jemand angeschossen haben, habe er nur gehofft, »dass sie es nicht mit meiner Waffe getan haben«. Mehr Gedanken habe er sich nicht gemacht.

Fühlt Carsten Schultze heute Verantwortung für das, was der NSU, dem er geholfen hat, getan hat? Ja, er habe sich schuldig gemacht mit der Übergabe der Waffe, sagt er. Nicht auch dadurch, dass er die Polizei nicht informiert habe? So hätte er weitere Verbrechen verhindern können ... Die Antwort des Aussteigers, der jetzt im Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamtes betreut wird, war nur ein leises »Ja«.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. Juni 2013


Sie hat’s gespeichert

Post von Beate Zschäpe: Der Song »Bilder im Kopf«, die Kronzeugenregelung und politische Codes

Von Claudia Wangerin **


Eine Comic-Ente, die mit einer gerade ausgerissenen Feder schreibt; ein Schaf mit geballten Fäusten, das fragt, ob dem Leser schon die Ohren bluten; ein Bundeswehrkonvoi und Flugzeuge, die in die andere Richtung fliegen. Bildunterschrift »Wachablösung am Hindukusch«. Mit diesen und anderen Zeichnungen hat die mutmaßliche Neonaziterroristin Beate Zschäpe einen 26 Seiten langen Brief verziert, der Ermittlern, Anwälten und Journalisten Rätsel aufgibt.

Die Hauptangeklagte im Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) soll ihn noch vor Verhandlungsbeginn verfaßt haben, nämlich im März. Er war bei der Kontrolle ihrer Post nicht beanstandet worden, weil das Oberlandesgericht München ihn offenbar für irrelevant hielt. Beschlagnahmt wurde das Schreiben erst in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, wo der Adressat Robin S. einsitzt. Seit Mitte vergangener Woche geistern Teile des Inhalts durch die Medien. Auch junge Welt liegt der Brief vor.

Daß Zschäpe darin enthüllt, sie sei bei ihrer ersten Vorführung beim Bundesgerichtshof im November 2011 auf die Möglichkeit einer Kronzeugenregelung hingewiesen worden, ging in der Berichterstattung weitgehend unter. Dabei war bisher nicht bekannt, daß ihr ein solches Angebot – Strafmilderung im Fall einer Aussage – gemacht wurde. Generalbundesanwalt Harald Range hatte sich nach Aufdeckung des NSU in der Öffentlichkeit wiederholt ablehnend über diese Möglichkeit geäußert: Wenn es um zehnfachen Mord gehe, tue er sich »schwer damit«.

Zschäpes Brieffreund Robin S. soll der verbotenen »Hilfsorganisation Nationaler Gefangener« (HNG) angehört haben und in der Neonaziszene Dortmunds aktiv gewesen sein. In der Ruhrgebietsmetropole wurde am 4. April 2006 der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik erschossen, der heute als vorletztes Opfer der rassistischen Mordserie des NSU gilt. S. sitzt seit 2007 eine Haftstrafe wegen schwerer räuberischer Erpressung ab. Beim Überfall auf einen Supermarkt schoß er auf einen Kunden, der sich ihm ihn den Weg stellte. Der Tunesier überlebte nur knapp.

Über politische Codes auf den 26 Seiten spekulierte bereits Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer, da Zschäpe – mitten im Philosophieren über Konflikte zwischen »zwei Höhenfliegern« und »Freßneid« – schreibt: »Und was käm’ als nächstes ... Frieren bei 18 Plusgraden?« Die Zahl 18 wird von Neonazis als Code für »Adolf Hitler« verwendet. Das kann Zufall sein, eine Spielerei nach dem Geschmack der Szene oder ein Code mit tieferem Sinn – wenn es nicht von Codes an ganz anderer Stelle ablenkt.

Etwa dort, wo Zschäpe beim Thema Musikstücke eines von Sido lobt, obwohl sie es sonst eher rockig mag. In dem Raptext »Bilder im Kopf« heißt es: »Wir brauchten Geld, wir war’n Rebellen, wir wußten alles besser / Wir haben rumgehangen und Mucke gemacht / Das Mikrofon im Kleiderschrank, wir haben gewußt, daß es klappt / Und jetzt ist es konserviert und archiviert, ich hab’s gespeichert / Paraphiert und nummeriert, damit ich’s leicht hab /Wenn die Erinnerung auch langsam verschwindet /Weiß ich immerhin genau, wo man sie findet.« Vielleicht trifft dieser Text einfach nur den Nerv einer Gefangenen, die mit Konzentrationsproblemen kämpft. Wenn es kein Hinweis darauf ist, daß die schweigende Angeklagte ihr Wissen dokumentiert und an einem unbekannten Ort hinterlegt hat. Ein solcher Wink mit dem Zaunpfahl müßte nicht zwangsläufig für Robin S. gedacht sein. Schließlich kann sie fest damit rechnen, daß auch der Verfassungsschutz mitliest.

Vordergründig schreibt ihm Zschäpe viel Privates – und daß sie sich vorverurteilt fühlt, weil die Bundeskanzlerin »bei ihrem Türkei-Besuch die vollständige Aufklärung ›der NSU-Affäre‹ verspricht und ich als öffentliches Gesicht dafür herhalten muß«. Politische Äußerungen bleiben aber die Ausnahme

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Juni 2013


Spielsucht und Sadismus

Bundesanwaltschaft will früheren NPD-Funktionär immer noch nicht als Mitglied der Terrorgruppe NSU sehen. Aber Wohlleben könnte weit mehr als Helfer gewesen sein

Von Claudia Wangerin, München ***


Die Bundesanwaltschaft ist nach wie vor der Meinung, die terroristische Vereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) habe genau drei Mitglieder gehabt, von denen nur noch Beate Zschäpe lebt. Seit dem 6. Mai steht die 38jährige mit vier mutmaßlichen NSU-Helfern vor dem Oberlandesgericht München. Nur wenige Unterstützer sollen ihr und den mutmaßlichen Selbstmördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt von 1998 bis 2011 ein Leben unter falschen Namen, zehn Morde, mindestens zwei Sprengstoffanschläge und mehrere Raubüberfälle ermöglicht haben. Die Grundaussage der Anklageschrift bleibe unverändert, sagte Bundesanwalt Herbert Diemer vergangene Woche bei einer Pressekonferenz. Es war der Tag, an dem der Angeklagte Carsten S. mehrfach geschluchzt hatte und »reinen Tisch machen« wollte. Ob er das nun vollständig getan hat, ist fraglich – es fällt ihm bis heute schwer, seinen Ausstieg aus der rechten Szene inhaltlich zu erklären oder von Rassismus zu reden. Am stärksten belastet S. den Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Der könnte demnach weit mehr als ein Helfer gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft sieht den früheren Thüringer NPD-Landesvize aber nach wie vor nicht als NSU-Mitglied.

Von Wohlleben wurde S. nach seiner Aussage instruiert, eine Waffe für die untergetauchten Kameraden zu besorgen. Die Ceska-Pistole mit dem angeblich gar nicht bestellten Schalldämpfer, über den der Waffenverkäufer aus dem Jenaer Szeneladen »Madley« in seiner polizeilichen Vernehmung sagte, er sei definitiv bestellt gewesen. Carsten S. beteuerte vor Gericht das Gegenteil. Er habe sogar überlegt, den Schalldämpfer nicht mit abzuliefern, »damit die nicht auf dumme Gedanken kommen«, so der heute 33jährige, der zur fraglichen Zeit 19 oder 20 war. »Kleener« nannten ihn die Untergetauchten. »Wohlleben schickt mich« sollte er sagen, als er die Waffe besorgte. Die Pistole habe er anschließend Wohlleben gezeigt, bevor er sie in Chemnitz »den Uwes« übergab. Nach seiner Erinnerung Ende 1999 oder Anfang 2000. Er habe noch »das Bild vor Augen, daß der Wohlleben den Schalldämpfer draufschraubt und dabei Lederhandschuhe an hat«. Später habe ihm Wohlleben nach einem Telefonat erzählt, die beiden hätten »jemanden angeschossen«.

Für die Glaubwürdigkeit dieser Aussagen spricht, daß sich S. damit auch erheblich selbst belastet. Anweisungen von Wohlleben scheint er selten oder nie hinterfragt zu haben. Obwohl ihm auch mögliche Schwächen des fünf Jahre älteren Kameraden zu Ohren kamen: In der Szene sei über Wohlleben erzählt worden, daß er spielsüchtig gewesen sei. Das wäre eine Gemeinsamkeit mit Holger Gerlach, der ebenfalls als NSU-Helfer auf der Anklagebank sitzt. Gerlach war nach eigener Aussage später wegen Spielsucht in Therapie und hatte Schulden in fünfstelliger Höhe angehäuft.

Neben diesem Laster wird Wohlleben von früheren Mitstreitern grober Sadismus nachgesagt: »Die haben einen fertig gemacht«, zitierte eine Nebenklageanwältin am Dienstag die Aussage einer Zeugin über die Neonazis Wohlleben und André Kapke. »Wenn man mal einen Döner gegessen hat, mußte man zehn Liegestütze machen und wurde dabei ausgepeitscht.« Noch weitaus gröber mißhandelte Wohlleben nach Aussage von S. politische Gegner: Nach einem Angriff auf zwei Jugendliche, bei dem auch er selbst Tritte austeilte, habe Wohlleben eines der Opfer verfolgt und später erzählt, er sei ihm »auf dem Gesicht rumgesprungen«.

Ein Verdacht, der nie ausgeräumt werden konnte: An »einen Wohlleben« auf einer Liste mit den Klarnamen der V-Leute des Verfassungsschutzes in der NPD erinnerte sich Bundesanwalt Hans-Jürgen Förster, der 2003 mit dem ersten Verbotsantrag gegen die rechtsextreme Partei befaßt war. Dies bestätigte Förster im Untersuchungsausschuß des Bundestags im November 2012. Auf der Suche nach V-Leuten springen Geheimdienste mitunter auf Schwächen und finanzielle Probleme an. In die NPD waren mehrere Mitglieder der NSU-Brutstätte »Thüringer Heimatschutz« (THS) eingetreten, als der V-Mann Tino Brandt ihnen sagte, der THS solle verboten werden.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Juni 2013


»Es ist noch lange nicht vorbei

Der zähe Ausstieg des Carsten S.: Angeklagter im NSU-Prozeß spricht Opferfamilien Mitgefühl aus

Von Claudia Wangerin ****


Der mutmaßliche Terrorhelfer Carsten S. kann außer seinem Wunsch nach einem Coming Out als Schwuler keine handfesten Gründe nennen, warum er sich im Jahr 2000 aus der Neonaziszene zurückgezogen habe. Mehrere Nebenklageanwälte befragten den 33jährigen am Mittwoch im Münchner Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU), welche ideologischen Gründe er für seinen Ausstieg gehabt habe. Nach der Gesinnung gefragt, von der er damals Abstand genommen habe, gab S. »Nationalbewußtsein« und den Kampf für das eigene Land an.

Die NPD charakterisierte er als kapitalismuskritische Partei. Was damals über die »Rückführung der Ausländer« in deren Programm gestanden habe, kann er heute nicht sagen. Er will auch vor dem Ausstieg kein Rassist gewesen sein. Ihm habe die Musik gefallen, »dieses Dunkle« habe ihn fasziniert, Uniformen, Orden, schließlich das »dritte Reich«. An Attacken auf Linke war er nach eigenen Worten beteiligt, hätte aber nicht mitgemacht, wenn es geheißen habe: »Da steht ein Kanake oder ein Bimbo«. Warum er mitgesungen hat, wenn seine Kameraden Lieder grölten, in denen Gewalt gegen Migranten verherrlicht wurde, kann er nicht erklären. »Das verstehe ich selbst nicht, daher kommt auch diese Scham«, antwortete S. am Mittwoch auf die Frage von Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann. Zur Veranschaulichung hatte Hoffmann die »Zillertaler Türkenjäger« zitiert: »Ich streck ihn nieder mit einem einz’gen Schuß, das war’s mit ihm, oh ist das ein Genuß.« Mit einem kurzen »Ja« gab Carsten S. zu, daß er auch dieses Lied mitgesungen habe.

Einige Nebenklagevertreter zweifelten an der Glaubwürdigkeit des Sozialpädagogen, dem Beihilfe zum neunfachen Mord vorgeworfen wird, weil er den untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt um die Jahrtausendwende die Tatwaffe übergab. Rechtsanwalt Adnan Menderes Erdal, der wie Hoffmann einen Verletzten des 2004 verübten Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertritt, fragte ihn am Mittwoch, ob er mit dem Zeugenschutzprogramm des Bundeskriminalamts zufrieden sei und ob er wisse, daß man aus dem Programm ganz leicht rausfliegen kann« S. wollte dazu keine Angaben machen.

Yavuz Narin, Anwalt der Familie des 2005 ermordeten Teodoros Boulgarides, wollte von S. den Hintergrund einer auffälligen Kontobewegung erfahren: Zeitnah zur Waffenbeschaffung seien 1520 D-Mark von einem Sparkonto abgehoben worden, das die Mutter des Angeklagten für ihn eröffnet habe. S. versuchte dies mit seinem 18. Geburtstag zu erklären – der lag aber zu diesem Zeitpunkt schon gut ein Jahr zurück. Nach bisherigen Aussagen bezahlte S. die Pistole nicht aus eigenen Mitteln.

Bundesanwalt Jochen Weingarten fragte S. nach einem inneren Zusammenhang zwischen seinem Ausstieg im Herbst 2000 und dem ersten Toten der NSU-Mordserie. Einen solchen bestritt S. jedoch. Nach eigenen Worten konnte er das Nürnberger Attentat auf den Blumenhändler Enver Simsek im September 2000 damals nicht damit in Verbindung bringen, daß ihm der Mitangeklagte Ralf Wohlleben erzählte, die Untergetauchten hätten »jemanden angeschossen.« Simsek hatte nach dem Mordanschlag noch drei Tage gelebt.

Nach der Befragung durch die Nebenklage hatte S. stockend eine Erklärung abgegeben, in der er den Familien der zehn Mordopfer sein Mitgefühl aussprach. Eine Entschuldigung sei zu wenig. »Eine Entschuldigung klingt für mich wie ein Sorry – und dann ist es vorbei. Aber es ist noch lange nicht vorbei.«

**** Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Juni 2013


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