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"Ich fühle mich eher anarchisch"

Anwältin der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe stellte sich der Diskussion mit linken Strafverteidigern

Von Claudia Wangerin *

Das EineWeltHaus in München gilt als eher linksalternativer Veranstaltungsort. Für Anja Sturm vielleicht der ideale Platz, um deutlich zu machen, daß sie sich keinem politischen Lager zuordnen lassen will. Obwohl sie ein politisch interessierter Mensch sei – dies betonte die Anwältin der Hauptangeklagten im Münchner Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) zu Beginn einer Podiumsdiskussion am Dienstag vergangener Woche. »Ich fühle mich eher anarchisch«, so die 43jährige. Grund- und Freiheitsrechte hätten für sie einen hohen Stellenwert. Warum sie deshalb gerade die mutmaßliche Neonaziterroristin Beate Zschäpe verteidigen müsse, das verstand bei weitem nicht jeder im Saal. Es ging um das Selbstverständnis von Rechtsanwälten am Beispiel des NSU-Verfahrens, um die juristische Unschuldsvermutung – und das Recht auf Verteidigung, unabhängig von der Brutalität der vorgeworfenen Taten.

Um offene Worte hatten die Veranstalter alle Anwesenden gebeten – Wortmeldungen aus dem Publikum seien auch zwischendurch erwünscht, sagte Ricarda Lang von der Initiative Bayerischer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger e.V., die zu der Veranstaltung eingeladen hatte. Auf dem Podium saßen außer Sturm Edith Lunnebach, die eine durch einen NSU-Sprengsatz schwerverletzte Nebenklägerin vertritt, und Rechtsanwalt Johannes Pausch, der den zumindest teilweise geständigen Mitangeklagten Carsten S. verteidigt.

Lunnebach, die 20 Jahre älter ist als Sturm, bekannte offen, sie sehe sich »weniger als Anwalt denn als politischer Mensch«. Natürlich solle auch Beate Zschäpe verteidigt werden – aber sie selbst wolle ihre Fähigkeiten »dieser Seite« nicht zur Verfügung stellen, bekannte Lunnebach. Sie entscheide das nach der politischen Seite, die ihr näher sei. Bei Teilen des gemischten Publikums sorgte auch diese Aussage für Unverständnis, da Lunnebach als junge Anwältin mutmaßliche Mitglieder der »Roten Armee Fraktion« (RAF) verteidigt hatte. Der Diskus­sion fehlte zunächst die Trennschärfe zwischen dem Verständnis für Beweggründe einerseits und der Distanz zu den Methoden andererseits.

»Ich muß in keinster Weise eine innere Nähe zu dem entwickeln, was meinen Mandanten vorgeworfen wird«, so Zschäpe-Anwältin Sturm. Sie widersprach auch der selbstverständlichen Annahme, die Gesinnung ihrer Mandantin könne sich nicht geändert haben, seit diese 1998 mit ihren Neonazikameraden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt untergetaucht war. Sturm und ihre Kollegen Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer – letzterer saß auch im Publikum – raten Zschäpe bisher zum Schweigen und weisen den Vorwurf der Mittäterschaft bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen zurück. Von einem Prozeßbeobachter mußte sich Sturm sagen lassen, ihre Mandantin habe doch heute »mit dem offensichtlichen Nazianwalt Nahrath geklüngelt«. Wolfram Nahrath, ehemals Chef der 1994 verbotenen Wiking-Jugend, hatte an diesem Tag die Anwältin des mitangeklagten Neonazis Ralf Wohlleben vertreten und wohl einen Wortwechsel mit Zschäpe gehabt. »Haben Sie so gute Ohren?« fragte Zeit-Journalistin Özlem Topcu den Hinweisgeber. Was gesprochen worden sei, könne er doch vom Zuschauerbereich aus kaum gehört haben.

Johannes Pausch, der sich selbst als »Linksverteidiger« bezeichnet und eine »K-Gruppen-Vergangenheit« einräumt, sprach im EineWeltHaus von einem »Kriterienkatalog«: Außer dem Tatvorwurf spiele die Person des Mandanten eine Rolle – und wie er sich im Prozeß verhalte. Pausch gab sich überzeugt, sein Mandant sei »einer von den Guten«, da er zur Aufklärung beitrage. Daß ein Teil der Nebenklagevertreter durchaus daran zweifelt, ob der Angeklagte Carsten S. wirklich umfassend ausgesagt hat, war an diesem Abend nicht Thema. Pausch betonte, der Wunsch, daß er dieses Mandat übernehme, sei aus Antifa-Kreisen an ihn herangetragen worden.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. Oktober 2013


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