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Wenn Anwälte ermitteln

Prozess in München, Prozess in Wels – es geht um militante Nazis

Von René Heilig *

In München ging der NSU-Prozess weiter, doch nicht voran. Im österreichischen Wels begann einer zum »Objekt 21«. Während Gerichten Grenzen gesetzt sind, agieren Nazis grenzüberschreitend.

Folgt man dem Prozessgeschehen in München, wo seit Mai gegen fünf Mitglieder und Unterstützer des rechtsextremistischen Terrornetzwerkes NSU verhandelt wird, hat man so manches Déjà-vu. Was dort als Neuigkeit verhandelt wird, ist von diversen Medien und Untersuchungsausschüssen schon hinreichend recherchiert worden.

So ist es auch mit der Verwirrung um den Namen des fünften der insgesamt zehn Mordopfer des NSU. Wer starb am 25. Februar 2004 in Rostock wirklich? Yunus Turgut (wie es auch in der Anklageschrift heißt) oder Mehmet Turgut?

Ein Kriminalpolizist aus Rostock klärte gestern abermals auf: Yunus und Mehmet Turgut waren Brüder. Bei der Ausstellung ihrer Papiere hat ein türkischer Angestellter die Namen verwechselt. Niemand störte sich daran. So kam es, dass Mehmet aktenamtlich als Yunus starb – der gestern leibhaftig vor Gericht erschien. In der Mordsache selbst brachte diese abermalige Erklärung gar nichts.

Der geringe Erkenntnisgewinn, den das Oberlandesgericht in München bislang erlangen konnte, hat mit zahlreichen, objektiv wie subjektiv begründeten Ermittlungslücken der Polizei zu tun. So versuchen sich ab und an Nebenklageanwälte als Detektive. Das ist zu begrüßen, aber bislang selten ertragreich. Noch ist unklar, was aus einem am Dienstag eingereichten Antrag der Yozgat-Vertretung folgt. Halit Yozgat war im April 2006 in einem Kasseler Internetcafé hingerichtet worden. Zur Tatzeit war der hessische Verfassungsschützer Andreas Temme im Café – und hatte angeblich nichts bemerkt. Nun vergleichen Yozgats Anwälte Markierungen in einem Kassel-Stadtplan der mutmaßlichen NSU-Mörder mit dem Arbeitsweg von Temme. Fünf von neun Markierungen passten. Zwei weitere kämen hinzu, legt man den Weg des Geheimdienstmannes zu einem dienstlichen Postfach dazu. Doch reicht das, um ihn als »Aufklärer« der Mörder zu verdächtigen?

Ungewiss ist auch die Beobachtung einer Zeugin aus Nürnberg. Sie will die Frau des Mördertrios, Beate Zschäpe, am 9. Juni 2005 – also am Todestag von Ismail Yasar – an einer nahe Supermarktkasse gesehen haben. Möglich. Oder auch nicht. Vor Wochen war eine andere Zeugin sicher, das Mördertrio 2006, kurz vor dem Mord an Mehmet Kubasik, in Dortmund auf einem Nachbargrundstück gesehen zu haben. Vermutlich irrt sie sich.

Am gestrigen Mittwoch begann vor dem Landgericht Wels in Niederösterreich ein Prozess gegen sieben Führer des »Objekt 21«. Gegen drei weitere wird laut Justizministerium in Wien noch ermittelt. Zwei Verfahren wurden bereits im Sommer in erster Instanz abgeschlossen. Dabei ging es um Raubüberfälle und eine Bordellbrandstiftung.

Die Nazibande mit intensiven Beziehungen zum Organisierten Verbrechen gilt in unserem Nachbarland als größte und gefährlichste seit Kriegsende. Die Anklage spricht von Brandstiftung, illegalem Waffenbesitz, Erpressung und Entführung sowie nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Der Name des Netzwerkes »Objekt 21« bezieht sich auf das Quartier der Gruppe auf einem Bauernhof im Bezirk Vöcklabruck zwischen Linz und Braunau. Der Verein wurde Anfang 2011 wegen sogenannter nationalsozialistischer Wiederbetätigung aufgelöst.

Die 200 Anhänger starke Kameradschaft aus Österreich hatte enge Beziehungen nach Thüringen. Ende August hatte es auch hierzulande Durchsuchungen mit Waffenfunden gegeben. Steffen M. aus dem thüringischen Crawinkel – der Ort liegt an der Bundesstraße 88 – und Andreas P. aus Gotha waren festgenommen worden. Auch zu Norman B., einem Gründer diverser Kameradschaften in Nordrhein-Westfalen und Bayern, gab es Kontakte. Bei Naziaufmärschen in Dresden (Sachsen) waren Abgesandte vom »Objekt 21« anzutreffen. Philip T., ein anderer Thüringer Neonazi, sitzt im österreichischen Korneuburg in U-Haft, um sich wegen NS-Wiederbetätigung und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu verantworten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Oktober 2013


"Die haben hier doch nur gewohnt"

Bündnis will Debatte über NSU und Zwickau befördern

Von Hendrik Lasch, Zwickau **


Vor zwei Jahren flog in Zwickau der Unterschlupf der NSU-Terroristen in die Luft. Zum Thema NSU wird in der Stadt seither gestritten. Eine Veranstaltungsreihe soll die Positionen weiter klären.

Im November 2012 sorgte der Maler Thomas Beurich in Zwickau für Aufregung und Entrüstung. Der Plauener hatte ein Bild zum Thema NSU gemalt, das er der Stadt schenken wollte, in der die drei Terroristen des NSU jahrelang unerkannt gelebt hatten. In Zwickau war man wenig begeistert und lehnte ab.

Am 4. November 2011 flog in der Frühlingsstraße 26 in Zwickau eine Wohnung in die Luft. Im Schutt wurde die Waffe gefunden, mit der die NSU-Mitglieder ihre Morde an Migranten begingen. Bald war von der »Zwickauer Zelle« die Rede. Seither sieht sich die Stadt mit der Frage konfrontiert, wie sie das Thema behandeln soll. Einen verbreiteten Reflex hat das Bündnis für Demokratie und Toleranz in den Einladungstext für ein Bürgerforum aufgenommen, das am 8. November im alten Gasometer stattfindet. »Wir haben uns das nicht ausgesucht«, ist zu lesen. Als das Bündnis im Sommer die Bürger befragte, wie man sich mit dem NSU-Thema auseinandersetzen soll, lautete eine Antwort: gar nicht. Es handle sich schließlich nicht um eine originäre Zwickauer Angelegenheit.

Laut Gundula Schubert, der Koordinatorin des Bündnisses, ist das eine Minderheitenmeinung. Ihr entgegen stehen Ideen für einen Erinnerungsort oder ein Stipendium für ausländische Studenten. »Die Ansichten gehen weit auseinander«, sagt Schubert. Das Bündnis will den Streit nun mit dem Forum weitertreiben. »Wir wollen«, sagt Rainer Eichhorn, Ex-Rathauschef und Beiratsmitglied im Bündnis, »die Breite der Meinungen regelrecht provozieren.«

Bisher sind auch prominente Zwickauer über die angemessene Form der Erinnerung uneins. DGB-Regionalchefin Sabine Zimmermann, die für die LINKE im Bundestag sitzt, hält ein Mahnmal für notwendig: »Man redet ja in der Stadt schon jetzt nicht mehr gern darüber.« Opernintendant Stefan Bausch will zwar ebenfalls der für ihn unverständlichen Haltung entgegentreten, wonach die NSU-Terroristen »doch nur hier gewohnt« hätten. Wie Zimmermann weist er darauf hin, dass in der Region Rechtsextreme aktiv seien. Er möchte aber ein Gedenken, das »nicht mit Düsternis behaftet« sei, sondern »in eine lebendige Zukunft« weist. Denkbar sei eine Forschungseinrichtung über Fremdenhass. Ex-OB Eichhorn will sich nicht auf eine Form des Gedenkens festlegen: »Ich maße mir nicht an zu sagen, wie es sein sollte.«

Auf dem Forum, so hofft man beim Bündnis, könnten sich Ideen herauskristallisieren, die von vielen Bürgern akzeptiert werden. Möglich sei, sagt Schubert, dass Vorschläge an den Stadtrat unterbreitet werden. Inspirieren lassen können sich die Zwickauer schon zuvor bei etlichen Veranstaltungen der »Novembertage«, die traditionell vor allem dem Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November gewidmet sind, in diesem Jahr aber mit dem Thema NSU einen zusätzlichen Schwerpunkt erhalten.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Oktober 2013


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