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Hilfe ohne Argwohn?

NSU-Prozeß. Zeugen schöpften angeblich keinen Verdacht. Zeitplan gerät ins Wanken. Scharfe Behördenkritik im Untersuchungsausschuß

Von Claudia Wangerin, München *

Nicht weniger als acht Zeugen standen am Dienstag im Prozeß um die Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) auf der Ladungsliste des Oberlandesgerichts München; vier werden nun an einem anderen Verhandlungstag gehört werden müssen. Der straffe Zeitplan hatte schon vorab im Kreis der Nebenklagevertreter für Unmut gesorgt: Lediglich eine Stunde war etwa für die Vernehmung von Mandy Struck vorgesehen, die der Hauptangeklagten Beate Zschäpe nach dem Untertauchen ihre Identität geliehen haben soll. Nur jeweils 30 Minuten waren eingeplant für eine Zeugin, deren Krankenkassenkarte von Zschäpe genutzt worden war, sowie für den Geschäftsführer eines Chemnitzer Wohnmobilverleihs, bei dem während der NSU-Mordserie in den Jahren 2000 bis 2007 insgesamt 14mal Fahrzeuge für die mutmaßlichen Täter angemietet worden waren – auf die Namen der Mitangeklagten André Eminger und Holger Gerlach.

Dem Vernehmen nach hatte sich der Zeuge Alexander Horn nichts dabei gedacht, daß der angebliche Herr Gerlach seinen Papieren zufolge in Hannover wohnte, aber insgesamt elfmal nach Chemnitz kam, um Wohnmobile anzumieten. Tatsächlich dürfte es sich um den untergetauchten Neonazi Uwe Mundlos gehandelt haben, dem Gerlach seine Identität geliehen hatte. Das Interesse der Nebenklage weckte der Geschäftsführer der Verleihfirma aber auch wegen des offensichtlichen Wunschkennzeichens seines Privatwagens. Die für Chemnitz ungewöhnlichen Anfangsbuchstaben »AH« konnte er mit seinen Initialen erklären; die Zahl 28 brachte er auf Nachfrage von Nebenklageanwalt Yavuz Narin angeblich mit nichts in Verbindung – nach dem Szenecode für »Blood & Honour«, der sich aus dem zweiten und dem achten Buchstaben im Alphabet zusammensetzt, wurde der Zeuge nicht ausdrücklich gefragt. Er würde sich weder als rechts noch als national beschreiben, erklärte der 35jährige auf Nachfrage. Narin wollte von Horn zudem wissen, wo er am Tag des Mordanschlags auf die Polizeibeamten Michèle Kiesewetter und Martin A. am 25. April 2007 in Heilbronn gewesen sei. Der Zeuge räumte ein, es könne »diese Ecke« gewesen sein, an die er an jenem Tag gefahren sei, um ein gebrauchtes Wohnmobil zu besichtigen.

Bereits um die Mittagszeit gab der Vorsitzende Richter Manfred Götzl aus Zeitgründen zunächst die Umladung von Zschäpes Doppelgängerin Mandy Struck und zwei weiteren Zeugen bekannt, später auch die der Mutter des mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt. Brigitte Böhnhardt soll nun am 19. November gehört werden. Der Vater seines mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos hatte am Montag vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuß schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden erhoben. »Man hat gewußt, wo die sind, daß die in Chemnitz sind. Man hätte die in den ersten vier Wochen fassen können«, sagte Siegfried Mundlos mit Blick auf das 1998 untergetauchte NSU-Kerntrio.

Die gerichtliche Aussage von Silvia S., deren Versicherungskarte von Zschäpe benutzt worden war, erschien am Dienstag mehreren Prozeßbeteiligten unplausibel. Die 33jährige gab an, Holger Gerlach durch ihren Ehemann seit 2005 zu kennen. Etwa 2006 hätten sie eines Abends zusammen getrunken. Nach Gesprächen »über belanglose Sachen« habe Gerlach nach einer Krankenkassenkarte gefragt und ihr 300 Euro angeboten. Über den Verwendungszweck habe sie nicht nachgedacht. »Ich habe das nicht hinterfragt«, beteuerte sie auf Nachfrage von Götzl. »Ich habe in dem Moment auch nur das Geld gesehen, ich bin ’ne arme Friseurin.« Die Karte habe sie nach einer Woche sperren lassen. Für Politik interessiere sie sich nicht. »Das muß vor meiner Zeit gewesen sein«, erklärte sie auf die Frage, ob ihr Mann in der Skinheadszene gewesen sei.

Die Vernehmung von Silvia S. wurde mehrmals unterbrochen. Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann schlug vor, den mitangereisten Ehemann der Zeugin noch am selben Tag zu vernehmen. Rechtsanwältin Gül Pinar beantragte dies förmlich, da sonst »ein endgültiger Beweismittelverlust« drohe. Das Ehepaar könne sich in der Zwischenzeit absprechen.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 13. November 2013


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