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Eingeweihte Antiquarin

NSU-Prozess: Eine süddeutsche NPD-Funktionärin soll gewusst haben, wo die "Bombenbastler" waren. Sie gab zu auffälliger Zeit ihr Parteiamt auf. War sie V-Person?

Von Claudia Wangerin *

Dem Jahrgang nach könnte Edda Schmidt die Mutter des mutmaßlichen NSU-Kerntrios sein: Auf Fotos wirkt sie bieder, die 66jährige Antiquarin aus Bisingen in Baden-Württemberg passt äußerlich kaum zu dem subkulturellen Neonazimilieu, das Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nach ihrem Untertauchen in Chemnitz versteckte. Die damals Anfang 50jährige NPD-Frau bestreitet auch, diese Personen jemals kennengelernt zu haben – sie hatte aber zumindest Kontakt zur Helferszene des Trios aus Jena und kannte nach Zeugenaussagen dessen Aufenthaltsort, als es bereits zwei Jahre abgetaucht war.

Edda Schmidt gilt als einflussreiche Hardlinerin in der NPD und darüber hinaus. Ende Januar 2000 referierte sie bei einer Schulungsveranstaltung in einer Jugendherberge bei Eisenberg in Thüringen. Das Thema ihres Vortrags sei »Kultur und Brauchtum« gewesen, erinnerte sich Christian Kapke am Mittwoch im Münchner Prozess um die Mord- und Anschlagsserie, die seit 2011 dem »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) zugeordnet wird. Als jüngerer Bruder des Jenaer Neonazikaders André Kapke hatte der Zeuge etwa ab 1996 versucht, sich in der Szene zu behaupten, von der er sich inzwischen abgewendet hat. Glaubwürdig wirkt diese Selbstauskunft unter anderem, weil er weniger Gedächtnislücken geltend macht als andere Zeugen, die damals diesem Milieu angehörten.

Im Wald unter sechs Augen

Am Rande der Schulung vor gut 15 Jahren sei er von Edda Schmidt und einem Mann aus Chemnitz auf das untergetauchte Trio angesprochen worden, sagte der heute 34jährige am Mittwoch vor Gericht. So habe er völlig unverhofft dessen Aufenthaltsort erfahren. Bei einem Waldspaziergang mit der Referentin und dem Chemnitzer, dessen Namen er nicht kannte. Er selbst habe sich aber lange nicht vorstellen können, dass irgendjemand aus Jena wusste, wo sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrer Flucht im Januar 1998 aufhielten, so Christian Kapke. Rückblickend sei ihm aufgefallen, dass er seinen Bruder in den Wochen nach dem Abtauchen von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kaum gesehen habe.

Dass die drei gesuchten »Bombenbastler« in Chemnitz seien, habe er erst nach zwei Jahren von dem Mann in Begleitung Edda Schmidts erfahren, so Kapke. In der Szene habe es zuvor wilde Gerüchte gegeben. Er habe geglaubt, die drei Flüchtigen seien im Ausland, vielleicht in Südafrika – oder ermordet worden. »Ich hatte das Gefühl, dass das irgendwas mit dem Verfassungsschutz zu tun haben könnte«, so Kapke. Er habe sich gefragt, warum man ihm erzählte, wo das Trio sei, ohne dies mit Fragen oder einem Anliegen zu verbinden.

Der Inlandsgeheimdienst könnte in der Tat mit dieser Begegnung zu tun haben – und das möglicherweise gleich zweifach. Im Fall Edda Schmidts gibt es nur Indizien. Sicher ist, dass der V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Tino Brandt, ebenfalls bei der Schulung gewesen war. Er hatte laut Vermerk seiner Behörde zumindest berichtet, dass dort ein großer, schlanker Mann mit hellen Haaren Christian Kapke angesprochen habe, um ihn zu informieren, dass es den Dreien gut gehe. Anlass war demnach ein Lied, dass der damals 19jährige Kapke für die Band »Eichenlaub« über die Flucht des Trios geschrieben hatte. Tino Brandts V-Mann-Tätigkeit ist 2001 bekannt geworden.

Wie auf Zuruf

Edda Schmidt dagegen gab 2012 zu denkwürdiger Zeit den Vorsitz der NPD-Frauenorganisation »Ring Nationaler Frauen« auf: Rund drei Wochen bevor der Innenminister Baden-Württembergs verkündete, die V-Leute aus den Führungsgremien der Neonazipartei seien nun abgezogen worden. Ein neues NPD-Verbotsverfahren sollte nicht an ihnen scheitern. Am 25. Februar war Schmidt »aus persönlichen Gründen« zurückgetreten. Am 17. März erklärte Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD), er habe die »Vertrauensleute« abschalten lassen.

Was das genau heißt, wenn es sich um überzeugte Neonazis handelt, wie auch Tino Brandt einer war und ist, blieb aber unklar: Geben sie dennoch auf Anweisung der Dienste Parteiämter auf, oder werden ihnen nur die Honorare gestrichen? Edda Schmidt jedenfalls kandidierte wieder erfolgreich für Parteiämter, nachdem es im Bundestag keine Mehrheit für einen Verbotsantrag gegeben hatte. Zur Zeit gehört sie dem NPD-Landesvorstand Baden-Württembergs an.

Zum Zeitpunkt der Schulung in Thüringen war sie erst seit einigen Monaten wieder Mitglied – sie soll 1984 die NPD verlassen haben, die sich für ihren Geschmack zu oft von anderen rechten Organisationen distanziert hatte. 1997 war die Antiquarin nach dem Verkauf von Naziliteratur zu einer Bewährungs- und Geldstrafe wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass und Verbreitung jugendgefährdender Schriften verurteilt worden.

Jetzt soll sie in den Zeugenstand. Dies hat die Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben im NSU-Prozess beantragt. Sie könne den unbekannten Chemnitzer identifizieren. Die Anwälte hoffen auf eine Entlastung ihres Mandanten, der ebenfalls bei der Schulung im Januar 2000 gewesen war. Die Anklage sieht Wohlleben als »steuernde Zentralfigur«. Wäre er das aber wirklich gewesen, so die Verteidiger, hätten Schmidt und der Chemnitzer eher ihn als Christian Kapke auf das Trio angesprochen. Mit dessen Zeugenaussage konfrontierte noch am selben Tag der Schwarzwälder Bote Edda Schmidt. Nach Angaben der Zeitung bestritt sie vehement, jemals Kontakt zu den mutmaßlichen NSU-Mitgliedern gehabt zu haben: »Das ist absoluter Blödsinn, eine totale Lüge.« Offenbar dichte sich der Zeuge etwas zusammen.

Gedichtet hatte Kapke als Heranwachsender: »Die Kameradschaft bleibt bestehn, sollten wir uns auch nicht wiedersehn«. In dem Lied »Warum« von »Eichenlaub« habe er seine ersten Gedanken nach der Flucht von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe vor der Polizei verarbeitet, sagt er heute.

* Aus: junge Welt, Samstag, 7. März 2015


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