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Brandstiftung belegt

NSU-Prozeß. Finales Feuer gefährdete mehrere Menschen. Verletzter Polizist heute im Zeugenstand

Von Claudia Wangerin, München *

Der Münchner Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) wird voraussichtlich noch mindestens ein Jahr dauern. Weil aber die sachlogische Reihenfolge heillos durcheinandergeraten ist, konnte bereits am Mittwoch die Beweisaufnahme zur finalen Brandstiftung in der Zwickauer Wohngemeinschaft der Hauptangeklagten Beate Zschäpe und ihrer toten Komplizen abgeschlossen werden. Am 4. November 2011 soll sie den Brand gelegt haben, um Beweismittel zu vernichten. Das ist von allen Zschäpe zur Last gelegten Taten diejenige, die sich am leichtesten auf klassisch kriminalistische Weise nachweisen läßt: Nachbarn sahen sie beim Verlassen der Wohnung und bezeugten, wie sie die Katzen in Sicherheit brachte; an ihren Socken fanden sich später Benzinspuren.

Mindestens fünf Liter Benzin, womöglich aber bis zu 20, müssen vor der Brandlegung in der Zwickauer Frühlingsstraße verschüttet worden sein – allerdings aus mindestens zwei verschiedenen Behältern mit unterschiedlichen Kraftstoffzusätzen. Dies erläuterte am Mittwoch der Sachverständige Christian Setzensack. Aussagen zur genauen Menge seien aufgrund der Brandwirkung problematisch, weil bei leichtflüchtigen Substanzen auch die Zeit zwischen dem Verschütten und dem Anzünden eine Rolle spiele. Zudem könne nicht mit Sicherheit lokalisiert werden, von wo aus der Kraftstoff entzündet worden sei.

Unstrittig ist nach Aussage von Setzensack, daß durch das Feuer Lebensgefahr für Menschen bestand. Die Trennwand zum Wohnzimmer der damals 89jährigen Nachbarin Charlotte E. habe sich durch die Explo­sion verschoben und Risse bekommen, durch die Rauchgase eindringen konnten. Bei etwas größerem Explosionsdruck hätte die Wand einstürzen können. Zwei Handwerker, die ein Stockwerk höher mit Renovierungsarbeiten beauftragt waren, hatten das Glück, zu diesem Zeitpunkt nicht im Haus zu sein. Durch die Explosion sei das Dachgeschoß kurzzeitig angehoben worden, dadurch hätten die beiden Männer nach Einschätzung des Gutachters unglücklich stürzen und verletzt liegenbleiben können. Durch das Herausfallen einer Außenwand der Brandwohnung hätten laut Setzensack theoretisch noch weitere Personen gefährdet werden können.

Da es keine Beweise für Zschäpes Anwesenheit an den Tatorten der Morde und Anschläge des NSU in den Jahren 2000 bis 2007 gibt, stützt sich die Anklage wegen Mittäterschaft auf die hohe Indizienlast für ihre gleichberechtigte Rolle in der Gruppe. Mehrere Zeugen – vom eigenen Cousin bis zu Urlaubsbekanntschaften – beschrieben bereits ihr selbstbewußtes Auftreten. Die Brandstiftung in Zwickau wird dagegen auch von Zschäpes Verteidigern zur Zeit nicht ernsthaft in Frage gestellt. Nachfragen ihrer Anwälte an den Sachverständigen bezogen sich am Mittwoch vor allem auf den Grad der Gefährdung von Menschen.

Zschäpe gilt als gleichberechtigte Planerin bei der rassistischen Mordserie an neun Männern, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen sowie dem Mordanschlag auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn 2007. Bei diesem wurde die Beamtin Michèle Kiesewetter getötet. Der überlebende Polizist Martin A. soll am heutigen Donnerstag vor dem Oberlandesgericht aussagen. Dem damals verletzten Mann soll es den Umständen entsprechend gut gehen, er ist im Innendienst als Kommissar tätig. Seine Gedächtnisleistung kann trotz der damaligen Kopfverletzung nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Strittig ist seine Erinnerung an den Tag des Mordanschlags selbst. Im Jahr 2008 soll er unter Hypnose befragt worden sein. Ein Phantombild, das die Täterbeschreibungen von A. darstellen soll, sieht weder Uwe Mundlos noch Uwe Böhnhardt ähnlich, die laut Bundesanwaltschaft bei allen NSU-Verbrechen die Ausführenden waren. Am 4. November 2011 sollen sie Selbstmord begangen haben.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. Januar 2014


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