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Das Ende als Ermittlungsanfang

In Thüringen beginnt mit Fragen zum Tatort Eisenach die zweite Runde der NSU-Aufklärung, Sachsen zieht nach, in Stuttgart geht es um Polizisten im Ku-Klux-Klan-Geheimbund

Von René Heilig *

Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages hat zu seiner ersten Zeugenvernehmung Feuerwehrleute geladen, die am 4. November 2011 zu einem brennenden Wohnmobil nach Eisenach-Stregda gerufen wurden. In ihm sollen sich die mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos erschossen haben. Zuvor haben sie eine Sparkasse in der Stadt überfallen, heißt es. Gleichfalls auf der Zeugenliste steht ein Journalist, der mit seinem TV-Team die Szenerie in Stregda beobachtet hat.

»Wir fangen nun mit denen an, die wir in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr hören konnten«, sagte Ausschusschefin Dorothea Marx (SPD). Ist das wirklich notwendig? Schließlich sind die und weitere Eisenacher Zeugen von verschiedensten Polizeibehörden schon mehrfach vernommen worden. Beweisstücke wurden ausgewertet, man hat Informationen aus verschiedenen Bundesländern verknüpft, Helfer des NSU benannt und einige davon zusammen mit der Überlebenden des sogenannten NSU-Trios, Beate Zschäpe, vor dem Oberlandesgericht München angeklagt. Dem Trio werden unter anderem zehn Morde, Bombenanschläge sowie mehrere Banküberfälle zur Last gelegt. Die drei Neonazis aus Jena waren Anfang 1998 in den Untergrund gegangen, nachdem ihre Bombenwerkstatt aufgeflogen war.

Was daran ist unklar? Allzu viel: Was scheinbar so eindeutig ermittelt wurde, ist in wesentlichen Fragen nur trübe Ahnung. Nicht nur, was die Umfeldermittlungen und den Einsatz von V-Leuten durch den Verfassungsschutz betrifft, gibt es weiter Aufklärungsbedarf. Selbst bei Detailrecherchen vor Ort - so in Eisenach - gibt es Widersprüche und Ungereimtheiten zuhauf. Simpelste Sachverhalte sind mutmaßlich falsch interpretiert worden. Akten verschwanden, möglicherweise auch Asservate.

Bei der gerichtlichen Vernehmung der beiden Polizisten, die den Wohnwagen entdeckt hatten, wurde Haarsträubendes erzählt. Gerichtsmediziner ließen Fragen unbeantwortet. Das Bundeskriminalamt, das die Ermittlungen rasch an sich gezogen hatte, blieb über weite Ermittlungsfelder den Beleg seiner Kompetenz schuldig.

Für viele ist das Auffliegen des bis dahin angeblich unbekannten NSU in Eisenach ein Schlüssel zum Verständnis der rechtsextremistischen Terrorgemeinschaft. Der Thüringer Untersuchungsausschuss versucht, ihn nun ins passende Schloss zu stecken. Gleiches wollen demnächst sächsische Abgeordnete bewerkstelligen, wenn sie sich erstmals gründlich mit dem angeblichen Unterschlupf des Trios in Zwickau befassen, das Beate Zschäpe nach dem Tod ihrer Freunde am 4. November 2011 angezündet haben soll.

Elf Mitglieder hat das Thüringer Untersuchungsgremium. Sie könnten ein gutes Team abgeben. Zumal die meisten sich als parlamentarische Aufklären kennen und bisweilen über Fraktionsgrenzen hinaus auch schätzen gelernt haben. Neu ist Björn Höcke, Abgeordneter der AfD, der sich schon mehrfach als Rechtsaußenrüpel und -scharfmacher zu erkennen gab. Nicht grundlos erwarten Abgeordnete der demokratischen Parteien, dass Höcke Rauchbomben wirft, falsche Spuren legen will. Doch Katharina König von der Linksfraktion hofft, »dass man eins genug sein wird, um sich diesen Versuchen entgegen zu stellen und in der Aufklärung der NSU-Verbrechen entscheidend voran kommt«.

Dazu gehört auch endlich mehr Hintergrundwissen zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Sie wurde 2007 in Heilbronn umgebracht und soll das letzte Opfer des NSU sein. Am Montag wird sich der Untersuchungsausschuss in Stuttgart weiter mit dem Fall befassen. Es geht um den Ku Klux Klan (KKK), seine Verbindungen zur baden-württembergischen Polizei und darum, was der Verfassungsschutz über die rassistische Vereinigung wusste.

Das Landtagsgremium will zwei Beamte befragen, die im Jahr 2002 Mitglieder des KKK waren. Einer der beiden wurde später der Gruppenführer von Michèle Kiesewetter.

Die »Stuttgarter Nachrichten« haben berichtet, dass sich bis zu zwanzig Polizisten um Aufnahme im Klan bemüht haben. Achim S., der Chef des Geheimbundes und V-Mann des Verfassungsschutzes, würde ja gern selbst vor dem Ausschuss auftreten. Da er sich gerade in den USA um Einbürgerung bemüht, sei das unmöglich.

Sicher ist, dass alle drei Ausschüsse bislang unerkannte oder verschwiegene Tatsachen zum NSU zutage fördern werden. Es muss vordringliche Aufgabe des Bundestages sein, sie zu bewerten. Um womöglich wieder selbst zu ermitteln. Denn gemäß der Festlegungen aller Fraktionen will das Parlament wachsam bleiben gegen Rechtsterrorismus.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 04. Juni 2015


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