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Auf engstem Raum

NSU-Prozeß. Quartiergeber mutmaßlicher Neonaziterroristen verweigert Aussage. Zschäpe-Anwälte säen Zweifel an ständiger Wohngemeinschaft im Untergrund

Von Claudia Wangerin *

Ein Zeuge, der über die Wohnsituation der Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe kurz nach ihrem Untertauchen 1998 hätte berichten können, hat am Donnerstag im NSU-Prozeß vor dem Oberlandesgericht München die Aussage verweigert. Max Florian B. soll die Flüchtigen seinerzeit mehrere Monate in seiner Wohnung aufgenommen haben. Zudem besaß Mundlos seit 1998 einen Reisepaß auf den Namen des mutmaßlichen Unterstützers, gegen den die Bundesanwaltschaft ermittelt.

Gegenüber der Polizei hatte der heute 36jährige nach Aufdeckung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« allerdings nicht vom Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch gemacht, sondern den Thüringer Beamten und dem Bundeskriminalamt unterschiedliche Versionen aufgetischt. Einem Polizeioberkommissar aus Thüringen, der ebenfalls am Donnerstag als Zeuge vernommen wurde, hatte B. erzählt, er habe 1998 bei einer Veranstaltung eine blonde Frau und einen Mann kennengelernt, die dann bei ihm in seiner Wohnung in Chemnitz übernachten durften. Den Mann habe er später als Uwe Böhnhardt identifiziert. Als B. nur zwei Wochen später von Beamten des Bundeskriminalamtes befragt wurde, war es plötzlich seine Freundin Mandy S., die in seiner Wohnung drei Leute untergebracht habe, während er im Urlaub gewesen sei. Im Lauf der Zeit will Max-Florian B. dann erfahren haben, daß seine Mitbewohner offenbar gesucht würden.

Beim Stichwort Wohnsituation versuchen die Anwälte von Beate Zschäpe nach mehreren Monaten ohne erkennbare Strategie zu retten, was aus ihrer Sicht zu retten ist: Kurz nachdem sich die heutige Hauptangeklagte im Münchner NSU-Verfahren im November 2011 der Polizei gestellt hatte, soll sie die gerade tot aufgefundenen Neonazis Mundlos und Böhnhardt als ihre »Familie« bezeichnet haben. Das ständige Zusammenleben des Trios – für die Anklage ein Indiz dafür, daß Zschäpe in die Planung der Terroranschläge eingebunden war – ziehen ihre Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm aber nun in Zweifel.

Für die Anwesenheit der »beiden Uwes« an Tatorten gibt es Belege. Zschäpe gilt laut Anklage nicht als ausführende, aber als planerische Mittäterin bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen. Mit Mundlos und Böhnhardt soll sie die terroristische Vereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund« gegründet haben, irgendwann zwischen dem gemeinsamen Untertauchen 1998 und dem ersten in München verhandelten Mord, dem im Jahr 2000 der Blumenhändler Enver Simsek zum Opfer fiel.

Laut Rechtsanwalt Stahl am Dienstag waren aber die Wohnungen, die dem Trio zugeordnet wurden, zumindest nach Einschätzung der Verteidigung teilweise viel zu klein. Ein BKA-Beamter hatte die Ermittlungsergebnisse zu den Unterkünften des mutmaßlichen NSU-Kerntrios vor Gericht präsentiert. Demnach wohnten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach ihrem Untertauchen zunächst in verschiedenen Quartieren in Chemnitz– zwischenzeitlich in einer Einzimmerwohnung mit 27 Quadratmetern. Nach Aussage von Max Florian B. gegenüber den BKA-Ermittlern hatten sie allerdings in seiner Zweiraumwohnung auch über Monate zu dritt in einem Zimmer geschlafen. Im Jahr 2000 zogen sie nach Zwickau, wo ihnen heute drei verschiedene Unterkünfte zugeordnet wurden. Zwickauer Nachbarn, die Zschäpe als gesellig erlebt hatten, berichteten allerdings, sie hätten die beiden Männer nur selten gesehen – mitunter über Monate nicht. Die letzte Wohnung in der Frühlingsstraße bezog das Trio 2008. Daß Zschäpe nach dem mutmaßlichen Selbstmord ihrer Gefährten diese Behausung in Brand steckte, gilt als starkes Indiz dafür, daß sie von allen Taten wußte, deren Spuren damit offenbar verwischt werden sollten.

* Aus: junge Welt, Freitag, 21. Februar 2014


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