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NSU: Umfassende Aufklärung "lästig"

Anwälte von Geschädigten fordern von staatlichen Stellen "Kehrtwende" zu Aufklärung und Transparenz

Von Claudia Wangerin *

Opferangehörige und Verletzte der Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) sind mehr als unzufrieden mit dem Verhalten der Ermittlungsbehörden seit Aufdeckung der Terrorgruppe im November 2011. Nicht weniger als eine »Kehrtwende« hin zu Aufklärung und Transparenz fordern 33 Anwältinnen und Anwälte der Nebenklage in einer am Montag verbreiteten Erklärung von Behörden und politisch Verantwortlichen. Als »weiterhin bestehende zentrale Forderung« nennen sie eine Neuauflage des NSU-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag. Statt dessen habe zwei Jahre nach Bekanntwerden des NSU »das große Abhaken« längst begonnen. Vor allem der Bundesanwaltschaft werfen die Anwälte vor, »die berechtigten Interessen der Angehörigen und Verletzten, vor allem das Interesse der Aufklärung« als »lästig« hintanzustellen.

Anlaß für die »ernüchternde Bilanz« ist der bevorstehende zweite Jahrestag eines vollmundigen Versprechens von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Bei der zentralen Gedenkfeier für die NSU-Opfer hatte die Kanzlerin am 23. Februar 2012 erklärt: »Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Daran arbeiten alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck«

Der Konflikt zwischen der Nebenklage und den Anklägern zieht sich seit Monaten wie ein roter Faden durch den Prozeß gegen Beate Zschäpe und vier mögliche NSU-Helfer vor dem Oberlandesgericht München. Immer wieder kommt es zum Streit über die »Verfahrensrelevanz« von Fragen und Beweisanträgen der Anwälte von Geschädigten, die sich mit der möglichen Tatbeteiligung Dritter sowie der Rolle staatlicher Akteure befassen. Beispielhaft sind hier der Mord an dem jungen Internetcafébetreiber Halit Yozgat in Kassel 2006 und der versuchte Doppelmord an zwei Polizeibeamten zu nennen, bei dem 2007 in Heilbronn Michèle Kiesewetter starb. Yozgat war wenige Meter von einem Verfassungsschutzbeamten entfernt erschossen worden; in Kiesewetters kollegialem Umfeld gab es Mitglieder des rassistischen Ku-Klux-Klan.

»Noch immer gibt es auf die zentralen Fragen der Angehörigen und Verletzten keine Antwort«, erklärten die Nebenklagevertreter am Montag. »Wer war noch im Netzwerk des NSU aktiv? Welche Beziehungen gab es ins Ausland? Wer half vor Ort? Wie erfolgte die konkrete Opferauswahl? Wie finanzierte sich der NSU?« Und schließlich fragen die Anwälte – wohl auch mit Blick auf nachweisliche V-Mann-Honorare für den früheren Anführer der NSU-Brutstätte »Thüringer Heimatschutz« (THS): »Half ihm staatliches Geld bei der Planung und Ausführung seiner Taten?«

* Aus: junge welt, Dienstag, 18. Februar 2014


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