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Nachsicht mit NSU-Nachkommen

Terrornetzwerk als Vorbild für andere Neonazis? Bundesregierung wiegelt ab

Von René Heilig *

Am Dienstag ging in München der NSU-Prozess weiter. Beate Zschäpe muss mit ihren Verteidigern weiter vorliebnehmen. Außerhalb des Gerichts kümmern sich die Behörden nicht allzu sehr um Nachahmer.

Versprich nichts, was du nicht halten kannst. Der Satz sollte im Amtseid von Politikern stehen. Mücheln im Saalekreis von Sachsen-Anhalt am 25. Februar 2012. Gegen 17 Uhr betreten sechs Unbekannte einen Imbiss und fordern den türkischen Betreiber auf, den Laden bis zu »Führers Geburtstag« am 20. April zu schließen. Andernfalls werde sein Name in der Zeitung stehen. Die Anspielung auf die »Dönermorde« des drei Monate zuvor aufgeflogenen Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) war deutlich.

Trotz bewiesener Unfähigkeit der zuständigen Polizei wurden die Täter identifiziert. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) kündigte Konsequenzen an, und sein Innenminister Holger Stahlknecht machte den Fall zur Chefsache. Er sicherte den Opfern hartes Durchgreifen gegen Rechtsextreme zu. Merseburg im November 2013. Das zuständige Amtsgericht sprach drei am Überfall beteiligte 56, 25 und 21 Jahre alte Männer frei.

Der Fall steht auf einer Liste von rund 218 Straftaten, bei denen der NSU quasi als Vorbild diente. Erstellt wurde sie vom Bundeskriminalamt (BKA) auf Grundlage von Meldungen der Landespolizeibehörden. Die Rede ist von Delikten wie Nötigung, Volksverhetzung, Sachbeschädigung oder Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Man registrierte auch sieben eindeutige Gewalttaten wie Brandstiftung, schwere Körperverletzung oder schweren Raub. In Rostock beispielsweise griffen Neonazis mit Eisenstangen eine Gedenkveranstaltung für den vom NSU ermordeten Mehmet Turgut an.

Die Linksfraktion im Bundestag hatte die Bundesregierung um Auskunft ersucht, ob es im Bundesgebiet Beifall für die Taten des NSU gegeben habe. Stichproben in einigen Bundesländern zeigen, wie unvollständig die vom BKA erstellte Liste ist. Zudem tauchen Taten, die eindeutig als Bedrohung gewertet werden müssten, als sogenannte Propagandadelikte auf. Ein Drohbrief an die »Mitteldeutsche Zeitung« ist strafrechtlich nicht relevant. So wie eine Bombendrohung. Ein T-Shirt mit der Aufschrift »NSU – sind wir nicht alle etwas mundlos?« muss nicht beunruhigen, und wenn sich gewaltbereite Neonazis mit sogenannten Sportwaffen zum Gruppenbild stellen und »NSU reloaded« oder »Der neue NSU« dazuschreiben, muss das ja nichts bedeuten.

Selbst wenn man nur buchhalterisch an die BKA-Liste herangehe, könne einem etwas auffallen, meint die Innenexpertin der Linksfraktion Martina Renner. Gemessen an der Bevölkerungszahl liegen Bayern (32 Fälle), Sachsen (23 Fälle) und Thüringen (14 Fälle) weit vorn. Das sind die Länder, die dem NSU als Ausgangsbasis dienten. Hier ist die Neonaziszene bestens vernetzt.

Während Renner eine hohe Dunkelziffer bei NSU-Sympathieaktionen befürchtet, rühmt sich die Regierung ihres Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus/-terrorismus (GAR) und ihres Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ). Doch wie viele Gerichtsverfahren es hierzulande gegen Neonazis gegeben hat und wie sie ausgegangen sind, weiß die Bundesregierung nicht. So wie ihr nicht bekannt ist, ob sich Gruppen im Ausland lobend über den NSU geäußert haben.

Es gibt ganz offenbar – wider alle Versprechungen in der Öffentlichkeit – keine tragfähige Analyse über die Entwicklung und Vernetzung von gewalttätigen oder gewaltbereiten Neonazis in Deutschland und über die Grenzen hinaus.

Vor diesem Hintergrund kann man auch nicht so recht der am Wochenende bekannt gewordenen Aussage trauen, dass das BKA und die Landeskriminalämter alle ungeklärten Fälle zwischen 1990 und 2011 gründlich auf NSU-Bezüge untersucht hätten. Die Ermittler sagen, es gibt keine, daher bleibt es bei den 63 durch rechtsextreme Gewalt Getöteten seit dem Jahr 1990.

In München wurde am Dienstag der sogenannte NSU-Prozess fortgesetzt. Auf dem Programm stand die Befragung zum Thema Urlaubsbekanntschaften. Die drei mutmaßlichen NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt (beide tot) und die Hauptangeklagte Beate Zschäpe haben vor allem ihre Aufenthalte auf Campingplätzen genossen.

Zschäpe, die in der vergangenen Woche ihren drei Pflichtverteidigern das Vertrauen entzogen hatte, muss laut Gerichtsverfügung weiter mit Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer auskommen. Kurz nach 13 Uhr betrat die Angeklagte den Verhandlungssaal und wurde wie gewohnt von Stahl und Heer gegen die Kameras abgeschirmt. Die Zuschauertribüne im Oberlandesgericht war gefüllt, viele hatten wohl erwartet, dass Zschäpe sich erstmals äußert. Sie wurden enttäuscht. Nichts hat sich geändert, die Suche nach Wahrheit bleibt schwer.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Juli 2014


Zschäpe war womöglich Autorität im Trio

NSU-Prozeß: Mutmaßliche Neonaziterroristin soll Beute verwaltet haben. Erinnerung an Aussage von Carsten S

Von Claudia Wangerin **


Die Aussage einer Urlaubsbekanntschaft, Beate Zschäpe habe immer bezahlt, wenn sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unterwegs war, während die beiden Männer nie Geld bei sich gehabt hätten, belastet die mutmaßliche Neonaziterroristin schwer. Nach Aussage der 21jährigen Zeugin am Dienstag nachmittag vor dem Oberlandesgericht München hatte Zschäpe »ein großes Portemonnaie, das immer voll mit Scheinen war, sogar Fünfhunderter« – vermutlich aus den Raubzügen ihrer beiden Komplizen, die ihr das Geld zur Verwaltung überließen. Die Beobachtungen der jungen Frau stammen aus den Jahren 2007 bis 2011, in denen ihre Familie die Sommerurlaube auf Fehmarn mit dem mutmaßlichen Kerntrio des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) verbracht hatte, ohne dessen wahre Identität zu kennen. »Gerry«, »Max« und »Liese« waren für das anfangs noch pubertierende Mädchen »wie Ersatzeltern« gewesen. Daß Zschäpe nach Aussage der Zeugin die gemeinsame Kasse verwaltet hatte, stützt die Theorie der Anklage, daß ihre Stellung in der Gruppe keineswegs untergeordnet war.

Diese Rollenverteilung ruft eine Aussage des Mitangeklagten Carsten S. in den ersten Wochen der Hauptverhandlung ins Gedächtnis: Als S. laut seines Geständnisses die wahrscheinliche Tatwaffe der NSU-Mordserie an die beiden Männer übergab, hatte einer von ihnen eine Andeutung über einen Anschlag mit einer Taschenlampenbombe in Nürnberg gemacht. Als Beate Zschäpe in die Runde gekommen sei, hätten die »beiden Uwes« ihn aufgefordert zu schweigen, so S.: »Dann kam Frau Zschäpe und sie sagten ›psst‹, damit Frau Zschäpe das nicht mitbekommt.« Eine Aussage, die von ihren Verteidigern wohl als entlastend gewertet wird, weil sie für sich genommen bedeuten kann, daß Zschäpe zu diesem Zeitpunkt – um die Jahrtausendwende – nichts von terroristischen Aktivitäten ihrer beiden Gefährten wußte. Vor dem Hintergrund, daß sie nicht nur vor dem Untertauchen 1998 mit ihnen in der rechten Szene Thüringens aktiv war, sondern später sogar über die Ausgaben des Trios bestimmte, wirkt eine andere Erklärung logischer: Zschäpe sollte damals bei der Waffenübergabe nur nicht mitbekommen, daß die beiden Männer vor Carsten S. mit dem Anschlag geprahlt hatten. Der damals noch heranwachsende Kurier durfte nicht zuviel wissen, die »beiden Uwes« sollten sich zusammenreißen – Zschäpe war demnach der disziplinierende Part, eine Autorität innerhalb des Trios. Dies ist freilich nur Interpretation. Ob Zschäpes Verteidigung es entkräften kann, bleibt abzuwarten. Die Motivation der drei Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm dürfte allerdings nicht dadurch gestiegen sein, daß die Angeklagte ihnen vergangene Woche das Vertrauen entzogen hat. Das Gericht hat ihren Antrag auf Ablösung der drei Pflichtverteidiger allerdings abgelehnt, da sie keine ausreichend stichhaltige Begründung formulieren konnte.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 24. Juli 2014


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