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Ein toter Schüler am Saalestrand und der NSU

Die Polizei in Jena hat sich einen Mordfall aus dem Jahr 1994 erneut vorgenommen – ob sich nun etwas klären lässt, ist höchst ungewiss

Von René Heilig *

Ein alter Mordfall aus Jena wird – schlagzeilenträchtig – aufgerollt. Irgendwie verwickelt sind Uwe Böhnhardt und Enrico T. Die kennt man als Mitglied und Helfer des NSU.

Am 2. September 1994 wurde in der Fernsehsendung »Aktenzeichen XY ungelöst« der Fall des neunjährigen Bernd Beckmann aus Jena vorgestellt. Er hatte Probleme in der Schule, lief von daheim fort. Zeugen berichteten, er sei auf dem Weg zu den Großeltern in Lobeda gewesen. Die jedoch waren im Urlaub. Zwölf Tage später fand man Bernds Leiche unter Büschen am Saaleufer. Der Junge war erwürgt worden.

In der Nähe der Leiche lag ein Außenbordmotor. Seit vier oder fünf Tagen liege der da, sagte eine Anwohnerin der Polizei. Wer ihn abgelegt hat, muss die Leiche gesehen – oder sie selbst dort versteckt haben.

Der Besitzer des Schiffsmotors war rasch ermittelt: Enrico T. Der Jugendliche behauptete, sein Boot samt Motor sei gestohlen worden. Der einzige, der wusste, wo das Boot normalerweise liegt, sei sein Freund Uwe Böhnhardt. Der spätere mutmaßliche NSU-Mörder, der beim Auffliegen der Neonazi-Terrororganisation am 4. November 2011 gemeinsam mit seinem Kumpan Uwe Mundlos tot aufgefunden wurde, war damals 15 Jahre alt.

Böhnhardt und T. verstanden sich als rechtsradikale Aktivisten und gehörten ab Anfang der 90er Jahre zu einer berüchtigten Jenaer Nazigang. Sie klauten Autos, verübten Einbrüche, sammelten Waffen, gingen brutal gegen Jugendliche vor, die sie im linken oder alternativen Spektrum vermuteten. Böhnhardt wurde im Februar 1993 wegen Diebstählen und Körperverletzung zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Wenige Wochen vor dem Verschwinden des Schülers Bernd Beckmann kam er frei.

1999 soll T. in Pößneck einen Wachmann lebensgefährlich verletzt haben. Als er mit Hilfe eines Radladers einen Geldautomaten knacken wollte, wurde T. gefasst und verurteilt. Der Mann ist mehrfach zum NSU-Prozess nach München geladen worden. Doch der heutige Lokführer konnte sich nur schwer oder gar nicht erinnern. Dabei ging es um die Ceska-Pistole samt Schalldämpfer, mit der die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun migrantische Mitbürger umgebracht haben sollen. Die Waffe ist, so rekonstruierte es das Bundeskriminalamt, über Mittelsmänner aus der Schweiz nach Jena gelangt. T. war daran beteiligt, sagt die Anklage.

Die Kriminalisten konnten weder Böhnhardt noch Enrico T. mit dem Mord an dem Jenaer Schüler in engere Verbindung bringen. Zusätzliche Schwierigkeit: Zu jener Zeit ging in der Stadt die Angst vor einem Serienkiller um. Nach Bernd verschwanden zwei zehnjährige Mädchen. Auch sie wurden erwürgt. Nur einer der Fälle ließ sich aufklären.

Die Staatsanwaltschaft hatte die Akten vor einiger Zeit offiziell geschlossen. Doch da Mord nicht verjährt, nimmt sich die zuständige Polizeibehörde sogenannte Altfälle in gewissen Abständen wieder vor. Auch ohne dass es konkrete Anlässe gibt. Den Fall Beckmann habe man sich ganz unabhängig von allen NSU-Vorgängen vor einiger Zeit wieder angeschaut, sagt der Geraer Staatsanwalt Jens Wörmann gegenüber »nd«. Es gab, so betont er, keinen speziellen Hinweis vom Generalbundesanwalt, der ja bekanntlich ungeklärte Mordfälle, die möglicherweise dem NSU zuzurechnen sind, erneut untersuchen lässt. Es gebe keinerlei Ermittlungen gegen bestimmte Personen. Ob überhaupt etwas Neues zutage gefördert wird, sei höchst unsicher.

Die seltsamen Entwicklungen in einem anderen Fall, den seine Anklagebehörde betreut und der auch am Rande mit den NSU-Ermittlungen zu tun hat, konnte Wörmann nicht aufklären. Eigentlich sollte am Dienstag in Gera ein Prozess gegen eine Ex-Polizistin beginnen. Die hatte ihrem einstigen Arbeitgeber vorgeworfen, Anzeigen gegen Rechts nicht nachgegangen zu sein. Das wird »oben« als üble Nachrede gesehen.

Die offenbar etwas angeschlagene Frau ist die Ex-Freundin vom Patenonkel der Polizistin Michèle Kiesewetter, die 2007 in Heilbronn vermutlich vom NSU ermordet wurde. Die Angeklagte, die selbst Berührungen mit dem Rechtsaußen-Milieu hatte, informierte jüngst den NSU-Untersuchungsausschuss in Erfurt, dass sie Besuch von »zwei bürgerlich gekleideten Herren mittleren Alters erhalten habe, die ihr nahegelegt hätten, sich nicht so sehr zu erinnern«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. Juni 2014


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