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Zweifelhafter Suizid

NSU-Prozeß. Mutter des mutmaßlichen Neonaziterroristen Mundlos will seine Freunde kaum gekannt haben. Selbstmord zweier NSU-Mitglieder bleibt fragwürdig

Von Claudia Wangerin, München *

Ilona Mundlos will kaum mitbekommen haben, wie tief ihr Sohn schon seit Jahren in die Thüringer Neonaziszene verstrickt war, bevor er im Januar 1998 mit Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt in den Untergrund ging. Die Mutter von Uwe Mundlos hatte sich im Gegensatz zu ihrem Ehemann und der Mutter von Uwe Böhnhardt kaum öffentlichkeitswirksam geäußert, bevor sie am Donnerstag im Prozeß um die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) als Zeugin vor dem Münchner Oberlandesgericht befragt wurde.

Die 63jährige sagte gleich zu Beginn, sie müsse sich entschuldigen, meinte damit aber nur ihr schlechtes Zeitgefühl – »die Jahre müssen jetzt bei mir nicht unbedingt stimmen« –, während viele im Gerichtssaal warteten, ob sie als Mutter eines mutmaßlichen Haupttäters Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer ausdrücken würde. Zumal auch die Witwe des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek erschienen war. Ilona Mundlos wirkte aber auch dadurch nicht sonderlich aufgewühlt, daß erst Anfang der Woche neue Zweifel am mutmaßlichen Selbstmord ihres eigenen Sohnes bekanntgeworden waren: Von seiten der Ermittlungsbehörden heißt es bisher, Mundlos habe nach einem Banküberfall in Eisenach am 4. November 2011 zunächst seinen Komplizen Böhnhardt erschossen, dann das Fluchtfahrzeug angezündet und schließlich sich selbst mit einer Pumpgun in den Kopf geschossen, um sich einer Festnahme zu entziehen. Doch in der Lunge von Mundlos wurden offenbar keine Rußpartikel gefunden, was als Beleg dafür hätte gelten können, daß er beim Anzünden des Wohnmobils noch gelebt hatte. Die Vorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx (SPD), hat erst in der vorigen Woche den Obduktionsbericht erhalten. Wie sie inzwischen mitteilte, heißt es darin, daß sich weder in der Lunge von Mundlos noch in der Lunge von Böhnhardt Rußpartikel befunden hätten. Vor Gericht waren diese neuen Erkenntnisse allerdings kein Thema.

Ilona Mundlos erzählte klar und gefaßt, daß sie die Freunde ihres Sohnes praktisch nur vom Sehen gekannt und über deren Interessen kaum Bescheid gewußt habe. Das erklärte sie vor allem damit, daß sie sich mehr um ihren behinderten Sohn Robert gekümmert habe: »Ich bin eigentlich mehr die Mutter vom Robbi, und mein Mann ist mehr der Vater vom Uwe.« Zudem habe sie in der Kaufhalle gearbeitet, ausnahmslos in der Spätschicht, ihr Mann habe hauptsächlich vormittags gearbeitet.

Die heutige Hauptangeklagte Beate Zschäpe sei 1992 oder 1993 die Freundin ihres Sohnes geworden. Sie habe es nicht gemocht, wenn er Springerstiefel getragen habe: »Die Beate wollte vielleicht in die Disko gehen, da hat sie gesagt: ›Uwe, zieh dich um, so können wir nicht gehen.‹« Auch »Durchsetzungsvermögen« bescheinigte Mutter Mundlos der Ex ihres Sohnes. Spätestens 1995 sei die Beziehung beendet gewesen. »Er war noch bei der Armee, da hat die Beate mit ihm Schluß gemacht.« Wegen Uwe Böhnhardt, mit dem sich ihr Sohn dennoch gut verstanden habe.

An dem Januartag 1998, als beide mit Zschäpe in Jena untertauchten, nachdem die Polizei in einer von ihnen genutzten Garage Teile von Rohrbomben gefunden hatte, sei er zu ihr in die Kaufhalle gekommen. Er habe gesagt, es sei »was Schlimmes« passiert, er müsse weg und brauche Geld. Sie habe ihm dann eine EC-Karte gegeben, sagte die 63jährige. Zwei Tage später habe er sie nochmals besucht und gesagt, er müsse längere Zeit verschwinden. Seitdem habe sie nie wieder von ihm gehört. Die Mutter von Uwe Böhnhardt hat aber durchblicken lassen, daß sie noch nach dem Untertauchen Kontakt zu dem Trio gehabt habe.

* Aus: junge Welt, Freitag, 4. April 2014


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