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Zschäpe entzieht Verteidigern Vertrauen

Überraschung in München – NSU-Prozess gerät unter Zeitdruck

Von René Heilig *

Die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe hat ihren drei Verteidigern überraschend das Vertrauen entzogen. Der Vorsitzende Richter setzte das Verfahren daraufhin bis zum Dienstag aus.

Mittwoch, 128. Tag im sogenannten NSU-Prozess. Die Fortsetzung der Verhandlung nach der Mittagspause verzögerte sich um fast eine Stunde. Dann geschah das Unerwartete: Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht München, Manfred Götzl, teilte sachlich mit, dass die wichtigste Angeklagte Beate Zschäpe ihren drei Verteidigern – Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl – das Vertrauen entzogen habe.

Angeblich ließ Zschäpe ihre weitreichende Entscheidung durch einen Polizisten mitteilen. Richter Götzl hat der Angeklagten die Gelegenheit gegeben, ihren Antrag bis Donnerstag 14 Uhr zu begründen und setzte die Verhandlung daher bis Dienstag aus. Sollte Zschäpes Begründung das Gericht nicht überzeugen, kann es die Verteidiger im Verfahren belassen – was wiederum zu einem Revisionsgrund werden kann. Jedenfalls muss gesichert werden, dass Zschäpe anwaltschaftlichen Beistand hat. Neue Rechtsanwälte werden sich erst einmal in die Fälle einarbeiten und den bisherigen Verlauf der Verhandlung studieren müssen. Der Faktor Zeit bekommt eine neue Bedeutung. Auch für den Angeklagten Ralf Wohlleben, der wie Zschäpe noch in Untersuchungshaft sitzt. Er könnte erneut hoffen, mehr Freizügigkeit zu erreichen. Zudem: Länger als 30 Tage darf die Verhandlung nicht unterbrochen werden. Das Verfahren würde sonst platzen. Bislang war die Linie der Zschäpe-Verteidiger, die ihrer Mandantin Schweigen verordnet hatten, durchaus erfolgreich. Zudem waren die Drei mit einer Fülle von Anträgen aufgefallen. Mehrfach unterstellten die Anwälte dem Gericht Befangenheit und stoppten ungenehme Befragungen durch die Nebenklage. Nun wird spekuliert, ob Zschäpe doch aussagen will. Laut dpa sei das zu erwarten.

Eigentlich hatte auf der Tagesordnung die weitere Vernehmung des V-Mannes Tino Brandt (»Otto«, »Oskar«, »2045«) gestanden. Der hatte den Thüringer Heimatschutz geführt. Aus diesem Zusammenschluss verschiedener Neonazi-Kameradschaften war letztlich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hervorgegangen. Der Terrorgruppe werden unter anderem zehn Morde und zwei Bombenanschläge angelastet. Aufgeflogen war die Gruppe erst, nachdem sich Zschäpes Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem missglückten Banküberfall 2011 das Leben genommen hatten. So jedenfalls lautet die offizielle Darstellung. Zuvor hatte das Trio – unterstützt von einem bundesweiten Netz – jahrelang unerkannt im sächsischen Untergrund gelebt.

Brandt war 2001 als Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes aufgeflogen. Auffällig ist, dass er nur das zugab, was öffentlich bekannt ist. Brandt sitzt in Untersuchungshaft, weil er unter Verdacht steht, minderjährige Jungen missbraucht zu haben. Außerdem soll er weitere Jugendliche und Männer als Zuhälter an Freier weitergeleitet haben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 17. Juli 2014


Kein Vertrauen mehr

NSU-Prozeß u Beate Zschäpe will ihre Anwälte loswerden. Über die Gründe wird spekuliert. Vernehmung von Ex-V-Mann Brandt unterbrochen

Von Claudia Wangerin, München **


Die mutmaßliche Neonaziterroristin Beate Zschäpe hat kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger – das ließ sie dem Oberlandesgericht München in der Mittagspause des 128. Verhandlungstages am Mittwoch durch einen Polizeiobermeister ausrichten. Der Vorsitzende Richter im NSU-Prozeß, Manfred Götzl, teilte es um 14.23 Uhr allen Anwesenden mit. Zschäpe nickte, als er sie direkt fragte, ob dies zutreffend sei. »Das ist ja eine Bombe«, raunte jemand in den Zuschauerreihen; Pressevertreter eilten aus dem Saal, um vor dem Gerichtsgebäude Stellungnahmen der drei Zschäpe-Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm zu bekommen. Heer schien allerdings mehr als gefaßt. Mit schwarzer Sonnenbrille und breitem Lächeln nahm er die Mikrofone zur Kenntnis und bat die Journalisten zu respektieren, daß er und seine Kollegen sich nicht äußern würden. Dann wandte er sich von ihnen ab und seiner Kollegin zu, ganz so, wie sie sonst zu Beginn jedes Verhandlungstages ihre Mandantin schützend eingerahmt hatten, solange die Fotografen im Saal waren.

Zschäpe muß die Gründe für den Vertrauensverlust noch schriftlich darlegen – denn die Hürden für die Entbindung von Pflichtverteidigern sind hoch. Eine Nebenklageanwältin äußerte die Hoffnung, daß die Angeklagte jetzt endlich reden wolle, wovon ihr das Anwaltsteam abgeraten hat. Allerdings könne der Grund auch »irgendeine Indiskretion« aus dem Kreis der Verteidiger sein.

Der Nebenklageanwalt und Strafrechtsprofessor Bernd Behnke widersprach der Befürchtung, Zschäpe könne damit den Prozeß zum Platzen bringen. Nach seiner Einschätzung könne sie kaum die Entbindung aller drei Pflichtverteidiger durchsetzen, denn sie müsse bei jedem einzelnen wichtige Gründe vorbringen – die Hauptverhandlung werde sehr wahrscheinlich nächste Woche fortgesetzt. Maximal einen Monat kann sie unterbrochen werden. Eine längere Unterbrechung würde bedeuten, daß der Prozeß ausgesetzt und neu begonnen werden muß. Wahrscheinlicher sei, daß nur ein oder zwei Pflichtverteidiger entbunden würden, so Behnke. Für ein völlig neues Anwaltsteam würde die Einarbeitungszeit von einem Monat in diesem Verfahren kaum reichen. Zschäpe gilt in der Anklageschrift als Mittäterin bei zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und mehreren Raubüberfällen. Mit den inzwischen toten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt soll sie den »Nationalsozialistischen Untergrund« gegründet haben. Ihre vier Mitangeklagten gelten als Helfer des NSU.

Warum Zschäpe ihren Anwälten gerade jetzt das Vertrauen entzieht, blieb am Mittwoch rätselhaft. Vormittags saß im Zeugenstand Tino Brandt, ehemals Führungskader des »Thüringer Heimatschutzes« (THS), in dem sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bis zu ihrem Untertauchen 1998 radikalisiert hatten. Brandt, der bis 2001 als V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz tätig war, hatte am Vortag ausgesagt, Zschäpe sei »keine dumme Hausfrau« gewesen und habe bei Rechtsschulungen und weltanschaulichen Seminaren, zum Beispiel über Germanentum, durchaus mitreden können und eigenes Wissen gehabt. Ihr Rollenverhalten ist für die Schuld- und Straffrage wichtig, weil sie nicht selbst an den Tatorten gewesen sein soll, aber als gleichberechtigte Planerin gilt. Ihr Anwalt Wolfgang Stahl hatte Brandt am Mittwoch dazu gebracht, zwischen »keine dumme Hausfrau« und »Meinungsbildnerin« zu differenzieren. Letzteres war sie nach Brandts Aussage nicht: »Sie war nicht bei politischen Grundsatzdiskussionen dabei«, sagte Brandt. Solche hätten »zu der Zeit, als Beate da war«, nicht stattgefunden.

Allein das Frageverhalten ihrer Anwälte am Mittwoch erklärte Zschäpes Mißtrauen jedenfalls nicht – bei anderen Gelegenheiten war die Strategie der Verteidigung weitaus weniger nachvollziehbar. Auffallend passiv hatte sich das Anwaltsteam verhalten, als Zeugen zum Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn vernommen wurden – obwohl es hier Punkte zu sammeln gab: In keinem anderen Fall ist so unsicher, ob die ausführenden Haupttäter tatsächlich ihre beiden Lebensgefährten im Untergrund waren.

Als im März der frühere Chef des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Lutz Irrgang, im NSU-Prozeß vernommen wurde, hatte Zschäpe-Anwalt Stahl einer Nebenklagevertreterin erklärt, sie dürfe den Zeugen nicht zur Verletzung von Dienstgeheimnissen anstiften, als diese Irrgang nach Richtlinien für Auswahl und Betreuung von V-Personen fragte.

** Aus: junge Welt, Donnerstag 17. Juli 2014


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