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Bei Anruf NSU

Fandungsadressen frei Haus - die Liste des Terroristen Mundlos

Von René Heilig *

Im Sommer, so der Generalbundesanwalt, soll die Anklageschrift gegen die Überlebende der Neonazi-Terrorzelle Beate Zschäpe sowie Unterstützer des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) vorliegen. Es wird kompliziert werden, den Tätern die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nachzuweisen. So eine Vereinigung besteht laut Gesetz aus mindestens drei Tätern. Die beiden männlichen Mitglieder der »Zwickauer Zelle« – Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – sind tot, ihrer Kumpanin kann man Brandstiftung vorwerfen, weil sie die gemeinsame Wohnung angezündet hat. Schon bei Beihilfe zum zehnfachen Mord wird es schwer. Zwar laufen gegen 16 mutmaßliche NSU-ler Ermittlungsverfahren, doch wie beweist man, dass sie voneinander wussten, dass sie aktiv Teil eines Netzwerkes waren? Nach und nach musste man Verdächtige aus der U-Haft entlassen. Gerade noch zwei Unterstützer sitzen im Gefängnis. Wie scharf auch immer die Anklage sein wird: Vor allem für die zehn Opfer des NSU, für die Verletzten und deren Angehörige kommt sie 14 Jahre zu spät. Dabei gab es Möglichkeiten, den Terroristen das Handwerk zu legen, bevor sie zu morden begannen. Sicherheitsbehörden und Justiz hätten nur ihren Job machen müssen.
René Heilig mit Anmerkungen zu einer vom Nazi-Terroristen Uwe Mundlos verfassten Telefonliste.


»Kein Anschluss unter dieser Nummer ...« Telefonanschlüsse werden an- und abgemeldet, Nummern ändern sich, Menschen ziehen um, versterben ... Kein Wunder, dass jüngst bei unserem Versuch kaum einer der erwählten Telefonpartner abhebt. Denn die Nummern und Adressen stammen aus dem Jahr 1998. Sie wurden von Uwe Mundlos, dem Ideologen der dreiköpfigen NSU-Mörderbande, in Tabellenform gebracht – teils auf einem Computer, teils handschriftlich.

Nichts ließ sich finden?

1998 waren die Thüringer Sicherheitsbehörden den Rechtsextremisten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe als vermutete Bombenbauer auf die Spur gekommen. Damals, so heißt es in resümierenden Papieren des Bundesgerichtshofes vom November 2011, seien die drei überein gekommen, sich »zu einer eigenständigen Gruppierung zusammenzuschließen« und das Ziel der Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse hin zu einem an der nationalsozialistischen Ideologie ausgerichteten System »aus dem Untergrund heraus mit Waffengewalt weiterzuverfolgen«. Spätestens als die Polizei im Januar 1998 in einer angemieteten Jenaer Garage 1,4 Kilogramm Sprengstoff für Rohrbomben fand, war das Terror-Niveau und damit die Pflicht zur Strafverfolgung nach Paragraf 129a erreicht. Dennoch boten die Sicherheitsbehörden den Verdächtigen Gelegenheit, unterzutauchen. Es ließ sich einfach nicht herausfinden, wo sie sich versteckten. Heißt es.

Und das muss erstaunen, gab es doch zahlreiche Spuren. So hinterließ Mundlos den Fahndern eben jene umfangreiche Liste, auf der interessante Namen auftauchen. So der vom Verfassungsschutz-V-Mann und Anführer des Thüringer Heimatschutzes Tino Brandt. Über den erfuhren die Schlapphüte bis 2001 so Einiges über den Jenaer Nazi-Wortführer Ralf W., einst Vize-NPD-Landeschef. Auch dessen Name steht auf der Telefonliste, W. soll Geld für die Beschaffung einer Pistole gegeben haben. Der inzwischen aus der Untersuchungshaft entlassene Carsten S. hat jüngst gestanden, Ende 1999 oder Anfang 2000 eine Pistole vom Typ Ceska überbracht zu haben. Somit scheint klar zu sein, wie die Terroristen an ihr Handwerkszeug gekommen waren, mit dem sie neun Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft erschossen.

Besorgt wurde die Waffe samt Schalldämpfer und Munition angeblich über Andreas Sch., den Mitinhaber des Szene-Ladens »Madley« in Jena. Der war Anlaufpunkt der »Hatebrothers«-Skins, die mit verbotenen »Blood&Honour«-Gruppen des Saale-Holzland-Kreises in Verbindung gebracht werden. Kontakte bestanden auch zur Hooliganszene. Erst Anfang 2012 gab es bei besagtem Sch. eine Razzia in Trockenborn-Wolfersdorf Viele in der Liste Aufgeführte waren damals in Jena oder Umgebung beheimatet. André K. steht auf der Liste. Natürlich, denn der war seit Beginn der 1990er Jahre in der rechtsextremen Szene Thüringens Vorreiter. Auch »kleinere Lichter« sind genannt. So Tom T. Der ist inzwischen brav verheiratet, hatte damals wohl »etwas mit Sprengstoff zu tun«, so ein Insider. Mundlos' Liste reicht weit über Thüringen hinaus – das Postfach 700512 beispielsweise zum »Nationalen Demonstrationsbeobachter«, einer Foto-Fundgrube, sucht man Personen. Sie blieb ungenutzt. Sonst wäre man auch früher zum Nazi-Blatt »Weisser Wolf« in Mecklenburg-Vorpommern gelangt.

Adressen führen ins sächsische Chemnitz, wo das Trio nach seinem Verschwinden zunächst untergetaucht war. Thomas S. – laut Liste wohnhaft in der Heinrich Schütz-Straße – war ein erster Anlaufpartner. Mit ihm war Zschäpe zeitweise liiert. Auch kein Ansatzpunkt? Dann gab es Kontakt zu Mandy S. und ihrem damaligen Lebensgefährten Max Florian B.

Immer wieder stößt man beim Nachforschen auf Blood&Honour-Leute. In deren Umfeld hatte sich zumindest Mundlos schon vor dem Untertauchen bewegt. Hendrik L., der ebenfalls auf der Mundlos-Liste steht, war seit den 90er Jahren eine große »rechte Nummer« in der sächsischen Stadt. 1994 nahmen L. und Mundlos an einer Neonazi-Party teil. Das ist polizeibekannt. Vier Jahre später war der Chemnitzer Teil eines Prozesses gegen das »Blood&Honour«-Netzwerk. 2010 produzierte die Nazi-Band »Gigi & die braunen Stadtmusikanten« ein Album mit dem »Döner-Killer«-Lied, dass die NSU-Morde an ausländischen Kleinunternehmern verherrlicht. Produktionsfirma: »PC Records« in Chemnitz. Sie gehörte L. Zufall?

Welcher Kai D. ist gemeint?

Auf gewöhnlichen Telefonlisten steht der Name vorn. Auf der von Mundlos sind es die Orte. Es ging wohl darum, die Kontakte territorial zu ordnen. So macht man es, wenn man Netzwerke im Sinn hat. Die Liste belegt bundesweite Kontakte. Auch in Städte, in denen der NSU mordete. Rostock steht da. Hier tötete man den Dönerverkäufer Mehmet Turgut, in Hamburg kam der Gemüsehändler Süleyman Taşköprü um. München ist ebenso auf der Liste, wo Habil Kilic und Theodoros Boulgarides hingerichtet wurden. Heilbronn, wo die Polizistin Michelle Kiesewetter ermordet wurde, ist nicht weit von Ludwigsburg entfernt. Der Ort in Baden-Württemberg ist mit vier Kontakten vermerkt. Hinter dem Ortsnamen Nürnberg, wo Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar starben, taucht der Name Matthias F. mit seiner damaligen Telefonnummer 0911/5045  ... auf. Der einschlägig Vorbestrafte ist ein agiler Typ, war Anführer der 2005 verbotenen »Fränkischen Aktionsfront« (FAF), zeitweilig NPD-Funktionär. Auch er wird mit »Blood&Honour« in Verbindung gebracht.

Doch die Behörden in Bayern hielten den Mann offenbar für ebenso unwichtig, wie das halbherzige Fahndungsersuchen der Thüringer Behörden, die keinerlei Druck machten, um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu fassen. Ein Kai D. ist auf der Mundlos-Liste zu finden. Ist das Kai D. aus der Nähe von Kronach, der als Betreiber des 1993 initiierten neonazistischen Thule-Netzes gilt, in dem Bombenbauanleitungen kursierten? Oder handelt es sich um Kai (Kay) D., der als Neonazi-Terrorist 1997 in Berlin einen linken Buchhändler anschoss und einen Polizisten umbrachte?

Fraglich ist – zumindest öffentlich – , wer der vermerkte G. ist. Handelt es sich um Thomas G., den Kameradschaftsführer aus Meuselwitz (Ostthüringen) oder ist Holger G. gemeint, der inzwischen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen wurde? Er war als Mitglied der »Kameradschaft Jena« in die dortigen Strukturen integriert. 1997 zog er nach Niedersachsen. Dort schloss er sich den »Freien Nationalisten Hannover« an. G. hat sich noch im Mai 2011 mit dem Trio getroffen. Er versorgte seine Kameraden seit 2001 mit Ausweisen, einem Führerschein und Krankenkassenkarten.

Kennst du A., dann führt der dich zu B. – am Ende hast du das ganze Alphabet in der Hand. So etwa läuft Fahndung. G. aus Hannover soll Axel R. gekannt haben. Über den wäre man wieder zu Mundlos und Böhnhardt und vielleicht zum Bombenattentat in Köln gelangt. Die Behauptung hat nichts mit nachträglicher Besserwisserei zu tun. Die Spuren sind zum Teil noch immer heißt. Nachdem Beate Zschäpe am 4. November 2011 die gemeinsame Wohnung des Trios angezündet hatte – zuvor noch einige der Paulchen-Panther-Bekennervideos einsteckte, doch 75000 Euro in bar liegen ließ – rief sie André E. an. Er war vermutlich der wichtigste Unterstützer in den letzten Jahren des Untertauchens in Zwickau. E. fuhr die Terroristin, die gerade ihre Freunde Mundlos und Böhnhardt durch angeblichen Selbstmord in Eisenach verloren hatte, aus der Stadt.

Auch E.'s Name taucht auf der Telefonliste auf. Am 24.November wurde das aus Johanngeorgenstadt stammende Mitglied der »Brigade Ost« im brandenburgischen Grabow bei seinem Zwillingsbruder Maik E. verhaftet. André E. ist verdächtig, bei der Produktion der ekelhaften Paulchen-Panther-Videos mitgeholfen zu haben. Außerdem hat er die Bahncard von sich und seiner Ehefrau Susanne überlassen. Andre E. wird verdächtigt, Wohnmobile angemietet zu haben, die vom Trio bei ihren Verbrechen genutzt worden sind. Bereits im April 1999 soll er die erste konspirative Wohnung für die Flüchtigen in Chemnitz gemietet und die Miete pünktlich beglichen haben.

Neue Netze sind geknüpft

Hätte man sich früher und intensiver mit E. befasst, wäre man sicher auf Johannes (Hannes) K. aus Hildesheim, einem verurteilten Blood&Honour-Unterstützer, gestoßen. Der einstige Soldat betrieb bis 2009 eine Wehrsport-Nahkampfschule. Auch Scharfschützenausbildung gehörte zum Angebot. Sein Militärtraining passt genau zu dem Konzept, das der führerlose »Blood &Honour«-Bund entwickelt hat. Seit 14 Jahren hatte K. eine Tätowierstube. Nun ist er pleite. Die Ursache der Verschuldung liegt in einem anderen Geschäftsfeld Ks.: dem Army-Shop »Dezentral« in Munster. K. hatte 2008 im Schweizer »Blick« eine Gegendarstellung untergebracht. Zitat: »Wahr ist: Ich bin kein bekennender Neonazi.« Wer's glaubt...

Es gibt Zeugen, die den NSU-Unterstützer André E. und Bruder Maik E. in herzlicher Umarmung mit Hannes K. vor dessen Tatoo-Studio gesehen haben. Diese Verbindung hätte man schon vor Jahren ermitteln können. Und dabei wäre man auch zu Beziehungen ins kriminelle Rocker-Milieu nach Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gelangt. Hier mischen sich verschiedene Formen der Organisierten und der politisch rechtsextremistischen Kriminalität. Eines ist sicher: Während die Sicherheitsbehörden ihre Versäumnisse aufarbeiten, haben die Rechtsextremisten längst neue Netzwerke aufgebaut. Denn: Dass der Terror des NSU einzigartig ist, kann nicht mehr als eine Hoffnung sein.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Juni 2012


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