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Prinz Eugen und die Trillerpfeifen

400 Polizisten für neun Provokateure: »Pro Deutschland« vor dem nd-Haus

Von Velten Schäfer *

Die »Pro Deutschland«-Splittergruppe hielt am Donnerstag mit vier Kleinkundgebungen die Berliner Polizei auf Trab. Auch »nd« bekam unerwünschten Besuch.

Minderwertigkeitskomplexe hat Lars Seidensticker, Geschäftsführer von »Pro Deutschland« offenbar nicht. »Wir setzen das Werk von Prinz Eugen fort«, sagt er in einem kurzen Gespräch, das mit der Frage nach der Statthaftigkeit von Kaffeekonsum für den guten Deutschen begonnen hatte. Und offensichtlich leidet Seidensticker auch nicht an Bildung, obwohl »mehr Bildung« auf einem Plakat steht, das seine Truppe mitgebracht hat.

Denn anders als Seidensticker offenbar meint, war Prinz Eugen (1663-1736) nicht der Verteidiger des türkisch belagerten Wien anno 1683. Vielmehr führte der Prinz von Savoyen zwei aggressive Osmanenkriege, die jenes explosive Habsburg-Gemisch im Balkan installierten, das später den Ersten Weltkrieg auslöste. Meint Seidensticker den gleichnamigen Kreuzer der Nazi-Marine? Oder die SS-Division, die für ihre Verbrechen in Jugoslawien erinnerlich ist?

Es ist nicht leicht herauszufinden, was Seidensticker eigentlich will. Denn wiewohl der fesche Mann, der am Donnerstag mit vier Kleinstkundgebungen nach Polizeiangaben 400 Einsatzkräfte beschäftigte, unbedingt als Provokationsprofi gelten muss, wirkt er persönlich ziemlich unbeherrscht.

Bevor die Trillerpfeifen und Buhrufe der nd-Redaktion, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der VVN/BdA und der DKP Berlin zu laut werden, sagt Seidensticker auf Nachfrage im Wesentlichen zwei Sätze: Dass nämlich syrische Flüchtlinge »im waffenfähigen Alter« gefälligst in den Bürgerkrieg ziehen sollten, statt den Deutschen auf der Tasche zu liegen. Und dass einer seiner Mitstreiter die Fabrik seiner Familie in Wroclaw zurückfordere; mit dem könne man auch über die »Ostgebiete« sprechen. Auf die Zusatzfrage, wo er seine Handvoll Störer denn aufgetrieben habe, zischt Seidensticker, man könne wohl nicht mal zählen.

Tatsächlich sind es auch nahezu zwei Handvoll Provokateure, die »Pro Deutschland« bei »freier Kost und Logis« rekrutiert hat; Seidensticker nennt u. a. Köln als Herkunftsort. Außer dem Chef will freilich niemand mit »nd« sprechen. Am Franz-Mehring-Platz ist der Spuk dann auch schnell vorbei: Pro Deutschland zieht seinen Aufkleber säuberlich vom weißen Kleinbus ab und trollt sich inkognito im neutralen Gefährt.

Bereits zuvor hatte die Zentrale der Linkspartei am Rosa-Luxemburg-Platz einen Besuch der Prinz-Eugen-Truppe erleben müssen, nach »nd« war die »junge Welt« an der Reihe. Ein Redner der Zeitung kritisierte das massive Polizeiaufgebot. Von dort wiederum machte sich das Trüppchen auf den Weg zur »taz«. »Sieben Pro-Deutschland-Hansel. Und einer trägt sogar sein T-Hemd über der Hose. Wenn das der Führer wüsste«, schrieb deren Redaktion am Nachmittag im Kurznachrichtendienst Twitter.

Bis Redaktionsschluss waren alle Gegenkundgebungen laut, aber friedlich verlaufen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 23. August 2013

"Pro-Deutschland" blitzt auch in Kassel ab

Anlässlich der Tour des rechtsradikalen "Pro Deutschland", das auch in Kassel Station machen wollte, bildete sich ein außergewöhnlich breites Bündnis, das die geplante Provokation der rechten mit Aufklärung und im Übrigen mit Verachtung strafte. Unter federführung des Kasseler Bündnisses gegen Rechts wurde eine Erklärung herausgegeben, die wir im Folgenden dokumentieren:

KEIN PLATZ FÜR AUSLÄNDERFEINDEAUSLÄNDERFEINDE IN KASSEL UND ANDERSWO

Im Rahmen ihres Bundestagswahlkampfes plant eine ausländerfeindliche und rechtsextreme Gruppierung am kommenden Samstag auch in Kassel Station zu machen. Dieser Gruppierung geht es nicht um den notwendigen Austausch von Argumenten, sondern gezielt um die Verächtlichmachung von Zuwanderern und deren Orten der Religionsausübung. Zuletzt hat sie dies in Berlin-Hellersdorf deutlich gemacht. Kriegsflüchtlingen aus Afghanistan und Syrien soll das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Asyl verweigert werden.

Ein breites Bündnis aus Kasseler Parteien, den Religionsgemeinschaften, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Ausländerbeirat und weiteren Verbänden lehnen dies entschieden ab.

Um die geplanten Infostände dieser Gruppierung nicht aufzuwerten, haben wir uns entschieden auf eine Gegenkundgebung zu verzichten. Einzelne werden jedoch vor Ort sein, um Anwohner und Passanten zu informieren, dass menschenverachtendes Gedankengut in Kassel nicht erwünscht ist und wir ihre Propaganda nicht hören wollen. Die betroffenen Moscheen werden Provokationen ins Leere laufen lassen.

„Alle gehören dazu! Kassel ist bunt und lebt Vielfalt in allen Generationen“ ist aus gutem Grunde der Titel des von der Stadtverordnetenversammlung einstimmig verabschiedeten Integrationskonzepts. Weiter heißt es: „Nicht zuletzt hat die deutsche Bevölkerung ebenfalls Mitverantwortung bei der aktiven Gestaltung des gemeinsamen Zusammenlebens und beim Abbau von Vorbehalten, die zu Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung führen können.“ An diesem gemeinsamen Zusammenleben arbeiten wir in Kassel seit vielen Jahren.

Dieser Aufruf wird unterstützt von den Kasseler Untergliederungen von:
Ausländerbeirat, CDU, CSD, DGB, Dynamo Windrad, Evangelische Kirche, FDP, Friedensforum, GRÜNE, Jüdische Gemeinde, Katholische Kirche, Kulturzentrum Schlachthof, Oberbürgermeister, LINKE, PIRATEN, SPD, Sunnitische Gemeinden, Unitarier, VVN

Hier geht es zum Aufruf als pdf-Datei!




Sicherheit und Ordnung

Mindestens 400 Polizisten schützten am Donnerstag in Berlin nicht einfach nur sieben Rechte. Sie übten Krieg gegen die Bürger

Von Dietmar Koschmieder ***


Vor etwas mehr als 80 Jahren, kurz vor dem Reichstagsbrand, besetzten Berliner Polizisten und NSDAP-Faschisten das Karl-Liebknecht-Haus, die KPD-Zentrale am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz. Schwärme von Polizisten seien herbeigeströmt, hieß es in einem Bericht der Roten Fahne, die das Haus umstellten und durchsuchten. Drei Wochen später wurde es zur »Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und zur Abwehr auch in Zukunft zu erwartender kommunistischer Umtriebe« enteignet.

Am vergangenen Donnerstag tauchten vor dem Karl-Liebknecht-Haus erneut Dutzende unterschiedlicher Polizeifahrzeuge und Hunderte von Polizisten, begleitet von einer Handvoll Pro-Deutschland-Rechter, vor dem traditionsreichen Haus auf. Auch diesmal ging es um die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit. Sieben Pro-Deutschland-Hanseln und ein Vertreter der Alternative für Deutschland warnten vor kommunistischen Umtrieben. Die mehrfach von Bürgern und Journalisten gestellte einfache Frage, wieso dafür so ein riesiges Polizeiaufgebot notwendig sei, beantworteten die Beamten ebenfalls sehr simpel: Sie seien ja nicht wegen der Rechten da.

Das Karl-Liebknecht-Haus war jedenfalls an allen zugänglichen Stellen von Polizeifahrzeugen eingekreist, in der Regel mit der Fahrzeugspitze zum Haus gestellt. Das ist schon deshalb erstaunlich, weil die Rechten vom Gebäude durch Polizeisperren und Gitter abgetrennt waren. Auffallend auch, daß neben den Schwärmen von uniformierten Polizisten auch Schwärme von nichtuniformierten Einsatzkräften in unterschiedlichster Montur zum Einsatz kamen. Selbst einige der Polizeibeamten hielten das alles für völlig überzogen.

Die Rechten verschwanden in einen Kleinbus und zogen weiter zur Redaktion des Neuen Deutschland. Auch die Polizeischwärme verschwanden in die vielen Kraftfahrzeuge, die Straßensperren wurden eingepackt, und demonstrativ zog das Riesenaufgebot wieder ab. Aber nur, um etwa zwei Stunden später vor der jungen Welt wieder aufzutauchen. Das bundesweit zusammengekratzte Häuflein von sieben Rechtsradikalen fand auch hier kaum Beachtung, Gegendemonstranten sorgten für die richtige Begleitmusik. Auf der Terrasse der jungen Welt präsentierten sieben jW-Mitarbeiter ihre Ärsche mit der Aufschrift Po Deutschland in Richtung der Nazikasper. Als dann aber von der jW-Terrasse laute Musik erscholl, wurde das von Polizeibeamten mit dem Argument, es könnte die Rechten ja stören, unterbunden. Mehrfach wurden die Beamten darauf hingewiesen, daß sich die junge Welt nicht das Recht auf Meinungsäußerung nehmen lasse, und die Beamten zur Herausgabe der Kabel und zum Verlassen des Firmengeländes aufgefordert. Dieser illegale Auftritt von Beamten in diversen Uniformen und in Zivil wurde erst beendet, als die junge Welt eine Spontankundgebung mit dem Titel »Schützen wir die junge Welt« angemeldet hatte. Die Polizeibeamten filmten während und nach der Kundgebung Passanten und Teilnehmer – was nach einem Verwaltungsgerichtsurteil aus dem Jahre 2010 ebenfalls illegal ist: Videoüberwachung bei friedlichen Kundgebungen ist ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit. Das vollkommen überzogene Auftreten der Polizei empörte auch Anwohner und Mitmieter im Objekt Torstraße 6.

Wenn aber der große Aufmarsch nicht wegen der sieben Prodeutschen veranstaltet wurde, bleibt die Frage, welchem Zweck er diente. Einschüchterung allein war es nicht: Die Einkreisung des Karl-Liebknecht-Hauses oder der Einsatz diverser Spezialfahrzeuge wie eine im Privatvan getarnte Kommandozentrale, aber auch Einsatzbefehle wie die Anordnung, die jW-Terrasse zu stürmen und Durchsagen wie Musik von dort unwirksam zu machen, deuten darauf hin, daß rechte Auftritte genutzt werden, den Krieg gegen die Bürger zu trainieren. Politische wie wirtschaftliche Probleme können nicht mehr gelöst werden, soziale Verwerfungen sind die Folge, die zu Widerstand und Unruhe führen. Man bereitet also nicht die Lösung der sozialen Probleme vor, sondern die Unterdrückung der durch sie verursachten sozialen Proteste. Daß dabei besonders linke Bewegungen, Medien und Parteien scharf beargwöhnt werden, ist nicht überraschend.

Es genügt aber bereits, den Rechten nicht freundlich genug zu begegnen, um nicht nur von Nazis, sondern auch von der Polizei drangsaliert zu werden. Am Dienstag abend wurde eine Reporterin des Berliner Kuriers auf einer NPD-Kundgebung von einem Nazi niedergeschlagen. Während der rechte Täter schon zur nächsten Kundgebung unterwegs war, hielt die Polizei die verletzte Reporterin weiter fest. Auch in einer Presseerklärung übernahm später die Polizei die Darstellung des Nazis, die Reporterin hätte versucht, ein Lautsprecherkabel zu manipulieren. Gegen sie wurde wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz ermittelt. Der Eindruck der eingesetzten Kräfte sei gewesen, daß es sich bei der Frau um eine Gegendemonstrantin gehandelt habe, wurde mitgeteilt.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 24. August 2013


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