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Hetze, Lügen, Panikmache

Der Asyldiskurs der Nachwende-CDU und das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen

Von Velten Schäfer *

1991 und 1992 sah die CDU in der Xenophobie ein Gewinnerthema. Tatsächlich waren die Effekte an den Urnen zwiespältig. Doch die Republik rückte dauerhaft nach rechts.

Wer war schuld an den Angriffen auf das Sonnenblumenhaus? Natürlich die »Stasi« - behauptete damals »Bild«: »Stasi steuert Rostock-Chaoten«. Dabei hatte sich das Blatt selbst führend an der rassistischen Mobilisierung beteiligt - und machte nach den Nächten des Hasses munter weiter. Am 1. September 1992 schrieb das Blatt »Asylanten jetzt auf Schulhöfen« und behauptete, »bis Weihnachten kommen noch 400 000«. Einen Tag zuvor hatte es an mehreren Orten Ausschreitungen gegeben. Doch »Bild« goss weiter Benzin ins Feuer: Am 8. September 1992 titelte das Blatt: »Wohnraum beschlagnahmt. Familie muss Asylanten aufnehmen.« Kurz darauf wiederholten sich die Lichtenhagener Szenen in Wismar.

Nach der Wende schnellte die Zahl der Asylbewerber tatsächlich nach oben, weil neue Migrationswege frei wurden. Dennoch hatten die »Bild«-Zahlen keine Grundlage. 1992 wurden insgesamt 440 000 Asylanträge gestellt. Von »400 000« Flüchtlingen zwischen September und Weihnachten konnte keine Rede sein. »Bild« wurde schon damals scharf kritisiert, doch bewegte sich das Blatt gar nicht so weit im Abseits. »Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten - Ansturm der Armen« hatte bereits 1991 der »Spiegel« geraunt. Illustriert war die Titelseite mit einer überquellenden Arche. Das »Boot« war »voll«.

Die Pogrome von 1991 und 1992, die ihre Höhepunkte im Osten fanden, werden rückblickend gerne der DDR in die Schuhe geschoben. Tatsächlich ist nicht zu bestreiten, dass die Segregation der Vertragsarbeiter ebenso sehr zu ihrem Hintergrund gehört wie die Wut der Arbeiter, die sich betrogen fühlten und, wie der Soziologe Detlev Claussen geschrieben hat, »in den Wehrlosen vor ihrer Haustür die Angst vor der eigenen Zukunft« bekämpften. Doch zeigt schon eine kleine Presseschau, wie skrupellos diese »Hintergründe« in den Nachwendejahren mobilisiert wurden.

Gefördert wurde die »Asyldebatte« von der CDU, die schon vor der Wende den Asylparagrafen 16 beschneiden wollte. Sie tat dies aus Angst vor einer Parteietablierung rechts von ihr: 1989 zogen die Republikaner ins Westberliner Abgeordnetenhaus und ins Europaparlament ein. Der erste »Asylanten«-Wahlkampf der Christdemokraten fand 1991 in Bremen statt, »Asylmissbrauch« und »Scheinasylanten« plakatierte die Union. Die Zentrale versandte Formbriefe an Lokalverbände, weitere »Asylanten« seien nicht tragbar - es war nur noch die Stadt einzusetzen. Das Resultat: Die Union legte sieben Prozent zu, die SPD verlor elf Punkte. Doch die DVU schaffte es mit über sechs Prozent in die Bürgerschaft.

In Bonn sah man dies offenbar als Erfolg. Auch vor der Doppelwahl in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein im April 1992 setzte die Partei voll auf Ausgrenzung. Die Gewaltausbrüche wurden von Unionsleuten stets mit den Worten kommentiert, sie zeigten die »Überforderung« der Bevölkerung. Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) sagte dies in Rostock, wenige Stunden vor der dritten, beinahe tödlich verlaufenen Pogromnacht. Doch die Ergebnisse blieben zwiespältig. In Kiel brach die SPD (die 1988 wegen der Barschel-Affäre einen Kantersieg verzeichnet hatte), massiv ein, während die Union stagnierte. Die DVU konnte die Vorlage erneut in ein Sechs-Prozent-Ergebnis umsetzen. Im Südwesten hatte die SPD dagegen nur geringe Verluste, während die Republikaner mit zehn Prozent in den Landtag einzogen und die Alleinherrschaft der CDU beendeten.

Hat die Union mit ihrer Asyl-Kampagne »Extremisten« eingefangen oder ihnen Rückenwind verschafft? Alte Umfragen zeigen, dass das Thema Asyl in der Bevölkerung exakt mit diesen beiden Landtagswahlkampagnen zur wichtigsten politischen Frage im Land avancierte, weit noch vor der Arbeitslosigkeit. Die SPD knickte im Ergebnis ein - doch die Originale der Xenophobie lebten weiter. In Stuttgart hielten sich die Republikaner für zwei Legislaturperioden, die DVU feierte immer wieder Sensationserfolge. Und auch der zweite Aufstieg der NPD nimmt in dieser Atmosphäre seinen Anfang. Deutschland rückte nachhaltig nach rechts - wenn auch die rassistischen Rhetoriken, von denen heute kein Christdemokrat mehr hören möchte, alsbald eingemottet wurden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. August 2012


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