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Wandern und nachdenken

Nach dem NSU-Skandal vernetzen sich Antifaschisten und Gewerkschafter

Von Hans-Gerd Öfinger, Oberhof *

»Rennsteig« ist nicht nur ein wunderbarer Mittelgebirgs-Fernwanderweg – sondern auch der Name jenes zwielichtigen Geheimdienstprogramms, das seit den 1990er Jahren zur Stabilisierung der Naziszene in Thüringen beitrug. Nun trafen sich auf dem Wanderweg Gewerkschafter, Antifaschisten und sogar Sportler zur engeren Vernetzung.

Wo ließe sich besser gegen Rassismus wandern als im thüringischen Oberhof? Schließlich liegt die Sommerfrische am Rennsteig – jahrelang der Deckname für die Verstrickung bundesdeutscher Geheimdienste mit der Neonaziszene. In der Operation Rennsteig hatte man bis 2003 V-Leute aus dem »Thüringer Heimatschutz« angeworben, darunter auch im näheren Umfeld der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU).

Von der gewaltbereiten Neonaziszene, der allein im Freistaat rund 500 Menschen zugerechnet werden, ist an diesem Spätsommerwochenende in Oberhof nichts zu sehen. Stattdessen springen T-Shirts mit der Aufschrift »Respekt!« ins Auge. IG Metall und die Sportlerinitiative »Respekt! Kein Platz für Rassismus« sind im schönen Oberhof zum Wandern verabredet; bei den Touren durch die Wälder um die berühmten Wintersportstätten ist der Weg das Ziel. Gewerkschafter, Sportler, Aktivisten und lokale Antifaschisten kommen sich näher und tauschen sich aus.

Zu den knapp hundert Wanderern, die bei milder Witterung über Berg und Tal stapfen und dabei nach Auswertung aller Zählinstrumente 1 206 306 Schritte zurücklegen, gehört auch der Betonfacharbeiter Teodoro Cordeiro. Als Vertragsarbeiter aus Mosambik hatte er in den 1980er Jahren in Leipzig Wurzeln geschlagen. Nach dem Mauerfall 1989 aber setzte schlagartig ein offener Hass ein: »In Dresden wurden Ausländer verprügelt. Es war gefährlich, als Ausländer mit dem Zug zu reisen oder sich an Bahnhöfen aufzuhalten«, erinnert er sich.

Am Berliner Ostbahnhof wurde Cordeiro 1990 zur Zielscheibe rassistischer Pöbeleien. »Vielleicht 50 Jugendliche rannten auf mich zu, hielten Flaschen in den Händen, brüllten herum und gossen Bier auf mich«, erinnert er sich. Realistisch erkannte er, dass er da keine Chance hatte. »Also habe ich ignoriert, dass sie mich mit Bier beschüttet haben, und bin einfach weiter gegangen. Das war mein Glück«, so Cordeiro rückblickend. Der hochgewachsene Mittvierziger lebt heute im niederbayerischen Landshut.

Der Münchner IG-Metall-Sekretär Willi Rembs hört solche Erzählungen nicht zum ersten Mal, aber immer wieder mit Interesse. Schon seit den 1980er Jahren engagiert sich der Gewerkschafter gegen Rassismus – stets mit offenem Auge für die neuesten Entwicklungen. Bei der Integration von Migrantenfamilien diagnostiziert er etwa Rückschritte: »Früher haben die Familien aus Jugoslawien oder Griechenland nebeneinander gewohnt, heute ziehen bestimmte Nationalitäten zunehmend in bestimmte Viertel.« Und die Kinder gingen auch nicht mehr in den lokalen Fußballklub, inzwischen gehe der Trend zur Bildung separater Vereine. »Wenn du die Jugend nicht im siebten, achten oder neunten Lebensjahr in die Vereine holst, wird es sehr schwer. Wenn aber einmal die Kinder dabei sind, dann kommen die Eltern auch«, meint er.

Womit man beim Sport wäre – viel zitiertes Mittel gegen, aber auch immer wieder Schauplatz von Rassismus. Die »Respekt!«-Kampagne ist eine Reaktion auf rassistische Gesänge in Fußballstadien – und einige der »Gesichter« der Kampagne wandern auch in Oberhof mit. Zum Beispiel die Fußballerin Sandra Minnert, Nationalspielerin von 1992 bis 2007, und der Ringer Alexander Leipold, Olympiasieger, Welt- und Europameister. »In der Nationalmannschaft haben viele einen Migrationshintergrund. Ein respektvoller Umgang sollte da selbstverständlich sein«, sagt er. »Sport verbindet und macht Freunde – und bringt Diskussionen über bestimmte Probleme«, sagt der Oberhofer Gästeführer und Ex-Biathlet Gerhard Köhler.

Den angereisten Wanderern haben sich regionale Aktivisten angeschlossen, die »das grüne Herz Deutschlands« nicht auf Nazischläger, NSU, Folklore und Bratwurst reduzieren lassen wollen. Unter ihnen ist Madeleine Henfling, Sprecherin der Thüringer Bürgerbündnisse gegen Rechtsextremismus. In jedem Landkreis bestehe inzwischen mindestens ein solches, sagt sie bei der Mittagsrast. Der Alltag sei aber bedrohlich: »Man läuft Nazis in kleineren Ortschaften auch direkt über den Weg.«

Für Gesprächsstoff sorgt auf der Wanderung immer wieder die Diskussion über den NSU-Komplex, die am Vorabend stattgefunden hatte. Wichtiger als Gedenksteine sei nun eine rückhaltlose Aufklärung, fordert hinsichtlich dessen die Landtagsabgeordnete Katharina König (LINKE), die auch im Erfurter NSU-Ausschuss sitzt. »Der Bundestags-Untersuchungsausschuss gibt sich zufrieden mit Antworten von Menschen, die nur vertuschen und zerschreddern«, empört sie sich.

»Ohne massive Unterstützung durch den Verfassungsschutz hätten die Neonazistrukturen nicht weiter bestehen können«, ist sich auch Benjamin Ortmeyer von der Frankfurter Forschungsstelle NS-Pädagogik sicher. Gegenüber dem Staat sei nun »Misstrauen angesagt.« Mucksmäuschenstill war es am Vorabend im Saal, als Opferanwalt und Nebenkläger Yavuz Narin Zusammenhänge der bundesweiten NSU-Mordserie darstellte und harte Vorwürfe gegen die Staatsorgane erhob.

»Der Untersuchungsausschuss wurde von der Exekutive vorgeführt, die ihn regelmäßig belogen und seine Arbeit untergraben hat«, so der Anwalt. Statt die Verantwortung von Ermittlern und Geheimdiensten zu klären, sei die Mehrheit »aus Staatsräson eingeknickt«, habe einen »Burgfrieden geschlossen, um die Verantwortlichen zu schonen.« Die Staatsorgane hätten »die Szene nicht unter Kontrolle bekommen, sondern den Rechtsterrorismus geschaffen«. Vorbildliche Beamte »wurden zwangsversetzt und gemobbt, während diejenigen, die versagt haben, befördert wurden«. Der Verfassungsschutz schütze V-Leute vor Verfolgung und schaffe für sie Jobs. »Das hat System.«

Auch einen Tag später löst das noch Nachdenklichkeit aus. »Ich habe viel über den NSU gelesen. Aber was berichtet wurde, hat mich regelrecht erschreckt«, bekennt Bertin Eichler, Finanzvorstand der IG Metall und »Respekt«-Schirmherr. »Erdrückend«, urteilt der Thüringer IG-Metall-Sekretär Kirsten Joachim Breuer: »Ich habe das im Prinzip gewusst, aber jetzt in geballter Form zu hören bekommen.« Der Münchner Willi Rembs sagt, er habe sich immer für gut informiert gehalten. »Doch bei diesen Informationen haut es dir den Sockel weg.«

»Wir müssen dem Problem auf den Grund gehen und innergesellschaftlichen Rassismus bekämpfen«, mahnt angesichts dessen der Rheinländer Ulrich Schmidt. Als Betriebsrat gehört für ihn das Engagement gegen die Spaltung der Belegschaft anhand ethnischer Linien wie auch die Ausgrenzung von Leiharbeitern zum täglichen Brot. Auf soziale Wurzeln des Rassismus verweist auch Landolf Scherzer, ein Schriftsteller aus dem nahen Suhl. Er warnt vor griechischen Verhältnissen: »Viele Leute arbeiten dort für 150 Euro im Monat. Die Neofaschisten verteilen Lebensmittel an Bedürftige und organisieren die ärztliche Versorgung.«

Die deutschen Gewerkschaften hätten eine große Verantwortung und dürften nicht zulassen, »dass solche Zustände auch hierzulande einkehren und mit der sozialen Not ein Nährboden für den Faschismus entsteht«, mahnt Scherzer: »Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen und brauchen ein Miteinander der kleinen Leute von Griechenland bis Deutschland.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 30.08.2013


Die Magie der Gelben Hand

Seit einem guten Vierteljahrhundert läuft die Gewerkschaftskampagne um den markanten Aufkleber – und ist so aktuell wie selten

Von Velten Schäfer **


Nicht immer waren die Gewerkschaften ein Bollwerk gegen Rassismus – bis zum »Asylanten«-Wahlkampf von 1986. Da fand der DGB, es müsse ein Zeichen gesetzt werden. Dieses Zeichen ist noch heute weit verbreitet: die Gelbe Hand vom »Kumpelverein«.

Es war Wahlkampf. Im Januar 1987 wollte die SPD mit Johannes Rau die gerade inthronisierte Kohl-Regierung ablösen, zuvor ging noch Bayern an die Urne. Doch die Union dachte nicht daran, die gerade ausgerufene »geistig-moralische Wende« abzubrechen. So besann man sich auf ein spezielles »geistig-moralisches« Thema: Der Wahlkampf 1986 war der erste, der auf dem Rücken von Flüchtlingen ausgetragen wurde.

Die Töne waren schon damals schrill; der Untergang des Abendlandes dauert nunmehr schon ein gutes Vierteljahrhundert. Da gab es Franz Josef Strauß, der sich Kritik nassforsch verbat. »Da können Sie sich drauf verlassen«, raunzte er auf die Frage, ob die CSU »Asylanten« im Wahlkampf thematisieren werde. Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble verkündete kühl, es gebe »keine Verabredung, dass im Wahlkampf nur über unwichtige Themen gesprochen wird.« Und Helmut Kohl lief zur Wahlkampferöffnung vor 2000 Mandatsträgern in Neumünster auf und stellte »Asylanten« ins Zentrum seiner Rede.

Schon 1986 fiel es der SPD nicht leicht, sich dem zu entziehen. Zwar warnte der Bundestagsvize Heinz Westphal (SPD) tapfer vor »Asylanten«-Parolen, zwar rügte Rau das »Wahlkampfgeklingel« gegen Menschen – doch sah sich die SPD im September 1986 zu folgendem Flugblatt veranlasst: »SPD macht’s möglich: DDR stoppt Asylanten-Transit – Rau und Bahr: Handeln statt Aussitzen!«

Dies war die Stimmung in Westdeutschland, als plötzlich die Aufkleber mit der Gelben Hand auftauchten. Abwehrend streckte sich die dem Betrachter entgegen: »Mach meinen Kumpel nicht an!« Das war anders als die halbherzigen Distanzierungen der SPD. Das war auch nicht so verquast, wie die Grünen damals herüberkamen. Das war offensiv und direkt, das wirkte nicht gestelzt »politisch«, sondern wie mitten aus dem Leben. Kurzum wurde der Aufkleber ein Hit unter Jugendlichen. Noch in den konservativsten Lateinschulen war der Sticker mit der Gelben Hand in den späten 1980ern allgegenwärtig: auf Bänken, in den Klos – und immer wieder an der Tür zum Lehrerzimmer, obwohl er dort allabendlich abgekratzt wurde. 1988 gelang sogar der Coup, den TV-Kommissar Horst Schimanski mit Gelber Hand am Revers ermitteln zu lassen.

Die Geburtsstunde des Aufklebers war der November 1986. DGB-Jugend und DGB-Vorstand gründeten einen Verein, um die Gelbe Hand – Symbol der französischen Kampagne »S.O.S. Racisme« in die Bundesrepublik importierten. Dieser Import war ein Riesenerfolg – nicht zuletzt deswegen, weil er Jugendliche für die Gewerkschaften interessierte, die mit den schwerfälligen Einheitsorganisationen der westdeutschen 1980er eigentlich nicht viel zu schaffen haben wollten. Es waren zu einem nicht unerheblichen Anteil auch die Magie der Gelben Hand und der sogenannte Kumpelverein, die für die sich alternativ aufführende Jugend im ländlichen Raum den DGB zu einem Ansprechpartner machte – und das örtliche Gewerkschaftshaus zu einem akzeptablen Veranstaltungsort für Konzerte oder Partys.

Dabei war die Kampagne auch intern nie ganz unproblematisch. Schließlich sind die Gewerkschaften nie eine Oase gewesen – sondern gesellschaftlichen »Debatten« ebenso unterworfen wie der nächste Schützenverein oder Kegelklub. 2005 ergab eine Untersuchung im Gewerkschaftsmilieu, dass gerade unter ausgebildeten Facharbeitern, dem Kernbestand der Gewerkschaften, hartnäckige rechtsradikale Denkfiguren anzutreffen sind. 20 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder hatten teils hochproblematische Einstellungen, fand eine Forschergruppe um Bodo Zeuner damals heraus. In den 1980er Jahren wird es kaum besser gewesen sein.

Der »Kumpelverein« mit seinem markanten Aufkleber hat also immer auch nach innen gezielt – und ist zum Vorbild für eine Vielzahl gewerkschaftlicher Kampagnen geworden. In den späten 2000er Jahren – wohl auch als Reaktion auf Zeuners Untersuchung – wurde der Verein auf Vordermann und die Gelbe Hand wieder ins Spiel gebracht. Seither ist das Logo wieder häufiger zu sehen – und so aktuell wie eh und je.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 30.08.2013


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