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Das humanistische Grundmotiv

Der vergessene Widerstand – Arbeiter gegen Hitler

Von Karlen Vesper *

Er gehört heute zum weitgehend »vergessenen Widerstand « – der Widerstand von Arbeitern gegen die Hitlerdiktatur. In der DDR wurde ihm große Aufmerksamkeit gewidmet, dessen Erforschung und Dokumentation von Staat und Partei großzügig unterstützt, zugleich aber auch ideologisch indoktriniert. Auch in der alten Bundesrepublik hat es immer Menschen gegeben, die sich ihm ehrend und forschend verschrieben haben, ungeachtet und trotz staatlicher Ignoranz. Heute ist er an Universitäten und Hochschulen kaum und im öffentlichen Geschichtsbild oder Schulbüchern gar nicht mehr präsent. In Politikerreden zu den jeweiligen Jahrestagen wird er nur sehr selten erwähnt. Selbst wenn der Männer und Frauen des 20. Juli 1944 gedacht wird, werden nicht einmal die an Stauffenbergs Seite stehenden Sozialdemokraten und Gewerkschafter, Hitlergegner der ersten Stunde, wie Adolf Reichwein oder Georg Leber, und erst recht nicht die Kommunisten wie Anton Saefkow oder Franz Jacob genannt, bemerkt Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVNBdA, im hier anzuzeigenden Band.

In der Ausstellung des Deutschen Historischen Museums Unter den Linden in Berlin sind lediglich die Porträts der Hitlerattentäter Georg Elser, Rudolf-Christoph Freiherr von Gerstorff, Claus Graf Schenk von Stauffenberg und Henning von Tresckow zu sehen. Auf der Website des DHM erfährt man nur etwas vom Widerstand aus der Wehrmacht, des Kreisauer Kreises, der Weißen Rose, der Bekennenden Kirche und – immerhin – der »Roten Kapelle«. Doch: »Den Arbeiterwiderstand sucht man vergeblich.«

Der Sohn der von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfer Hans und Hilde Coppi polemisiert gegen Relativierung und Minimierung widerständigen Verhaltens, wie sie nicht nur in der genannten DHM-Ausstellung zum Ausdruck kommt: »Die Ablehnung und die Bekämpfung der Hitlerdiktatur durch Zehntausende aus der Arbeiterbewegung war weit mehr als ›unangepasstes Verhalten‹, punktuelle Unzufriedenheit, Distanz, kultureller Eigensinn, loyale Widerwilligkeit oder auch widerwillige Loyalität als defensive, renitente Milieubewahrung.« Ihr Widerstand speiste sich aus einer respektablen ethischen und weltanschaulichen Gesinnung und Haltung. »Die in ihrer sozialistischen, kommunistischen, anarchistischen oder trotzkistischen Herkunft wurzelnde Überzeugung bestärkte die Aktivisten und ihre Mitstreiter in ihrem ideologischen Dissens und gab ihnen die innere Kraft für Aufbegehren, Selbstbehauptung, Protest, Auflehnung und Verweigerung.«

Diese Tatsache unterstreichen die einzelnen Beiträge der sachkundigen Autoren, die sich teils seit Jahr und Tag mit dem Thema befassen wie Hans-Rainer Sandvoß, Herausgeber einer achtungsheischenden Schriftenreihe über den Berliner Widerstand und hier vertreten mit einem Beitrag über die hauptstädtischen Sozialdemokraten 1933 is 1945, oder Dieter Nelles (u. a. »Se krieje us nit kaputt. Gesichter des Wuppertaler Widerstands«), der – als der Experte hierfür – die Aktivitäten der Internationalen Transportarbeiter- Föderation vorstellt. Vertreten sind im Band erfreulicherweise auch jüngere Historiker, die nicht nur Akten studierten, sondern auch Zeitzeugen befragten.

Unhaltbaren Entwertungen des kommunistischen Widerstands als »illusionär und selbstmörderisch« widerspricht Stephan Stracke energisch: »Der Widerstand der KPD war bis 1935/36 überraschend kompetent angeleitet, und die (internationalen) Solidaritätskampagnen wurden zum Teil sehr wirkungsvoll durchgeführt.« Er belegt dies am Beispiel der Wuppertaler KPD, der es gelungen ist, 48 betriebliche Widerstandsgruppen aufzubauen. Nach Massenverhaftungen im Januar 1935 kam es zu spektakulären Prozessen, bei denen 628 Gewerkschafter angeklagt wurden, was allein auf die Dimension der hier erreichten Vernetzung der Opposition verweist. Das zu deren Unterstützung gegründete internationale Komitee adelt der Dozent von der Bergischen Universität Wuppertal als »eine außergewöhnliche moderne Menschenrechtskampagne«.

Stracke wie auch andere Autoren des Bandes sprechen in der DDR-Geschichtsschreibung großteils ausgeblendete Probleme wie die verhängnisvolle Vielzahl von V-Leuten in Widerstandsgruppierungen oder die psychologische Zermürbung der aktiven Hitlergegner, wenn etwa ihre tausendfachen Aufrufe zur Sabotage der Rüstungsproduktion verhallten. Ein Desiderat in der Erforschung des kommunistischen Widerstands ist die Taktik des »Trojanischen Pferdes«, das (indes letztlich nicht sehr erfolgreiche) Eindringen und Wirken in NS-Organistionen. Stefan Heinz beschreibt die notwendige wie mühselige Umorientierung in der kommunistischen Gewerkschaftspolitik, deren RGO zuvor fatalerweise auch »Sozialfaschisten « und »Gewerkschaftsbonzen « als primäre Feinde ansah.

Erst ansatzweise untersucht und dokumentiert ist der Widerstand von Zwangsarbeitern, über den hier Cord Pagenstecher und Thomas Irmer berichten. Gleiches trifft auf den Frauenwiderstand zu, woran Gisela Wenzel mit ihrer Hommage an die 1943 zum Tode verurteilten Berlinerinnen polnischer Herkunft um Hedwig Neumann gemahnt. Dass Frauen »keinesfalls nur helfend und unterstützend « für die Männer tätig waren, sondern »einen eigenständigen Anteil« leisteten, betonen Anette Neumann und Bärbel Schindler-Saefkow in ihrem Beitrag über die Saefkow-Jacob-Bästlein- Organisation, der 120 Frauen (25 Prozent!) angehörten.

Lobenswert sind die Porträts über die Trotzkisten Hanna und Walter Herz (Knut Bergbauer), den Anarchisten und Kleinfabrikanten Otto Weidt, der »seine« Juden zu retten versucht hatte (Robert Kain) sowie über den von Hitler und Stalin verfolgten Kommunisten Ernst Wollenberg (Sven Schneider). Deutlich wird in diesem verdienstvollen Band, dass die Widerständler ein zutiefst humanistisches Grundmotiv einte: Menschlichkeit bewahren, auch und gerade in Zeiten der Unmenschlichkeit. Wünschenswert wäre es, wenn die in diesem verdienstvollen Band doch recht starke Fokussierung auf Berlin und Wuppertal in wünschenswerten Folgebänden durchbrochen wird.

Hans Coppi/Stefan Heinz (Hg.): Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter. Karl Dietz Verlag, Berlin 2012. 383 S., geb., 29,90 €.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 10. Mai 2012


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