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Grundlagen des Ressentiments

Wo zeigt der Antisemitismus seine miese Fratze? Moshe Zuckermann hat in Berlin sein Buch über ein Herrschaftsinstrument vorgestellt

Von Claudia Wangerin *

Es ist ein Buch, das ein unerwünschtes Publikum begrüßen könnte«, sagte Moshe Zucker­mann zur Einleitung, als er am Samstag abend in Berlin sein Buch »'Antisemit!' Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument« vorstellte. Die junge Welt-Ladengalerie war mit über hundert Zuhörern gut gefüllt. Falsche Freunde oder erbitterte Gegner Zucker­manns gaben sich allerdings nicht zu erkennen.

Er habe sich die Frage gestellt, ob man Dinge aussprechen dürfe, auf die man vielleicht »positive Reaktionen von Leuten bekommt, die einem weder politisch noch menschlich noch sonst irgendwie erträglich sind«, so der Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Die Frage habe er mit Ja beantwortet, denn Schweigen sei keine Option.

Als erstes Beispiel für den Mißbrauch des Antisemitismus-Vorwurfs als politische Waffe nannte Zuckermann die Behauptung des früheren israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon, Kritik aus Europa sei grundsätzlich antisemitisch und verdeutliche ihm, wie es zur Shoa gekommen sei. Entweder habe Scharon nicht verstanden, was die Shoa gewesen sei, »und das weiß jeder in Israel«, oder er habe sie bewußt banalisiert und diese Parallele gezogen, um die Shoa für eine Politik zu vereinnahmen, die Israel in eine Sackgasse geführt habe. »Es ist kein Zufall, daß es in Israel keine ernstzunehmende Antisemitismusforschung gibt«, sagte Zuckermann.

In der BRD hätten sich »antideutsche Kommunisten« mit israelischen Politikern solidarisiert, die für jeden israelischen Linken untragbar gewesen seien. Die Logik der ehemals linken »Antideutschen« ende in der Verteidigung des Kapitalismus. Sie hätten Israel, wo nicht einmal die Hälfte aller Juden lebe, zum »ideellen Gesamtjuden« gemacht, und seien im Nahost-Konflikt folglich gegen die Palästinenser. Israel-Solidarität sei eine Profilierungsmöglichkeit auf dem Weg zur »Mitte«.

Zuckermann weiß, daß seine jüdische Herkunft ihn nicht davor schützt, selbst als Antisemit bezeichnet zu werden. Er ließ keinen Zweifel daran, daß er den Antisemitismus als reales und in Teilen der Welt virulentes Problem sieht: »Der Antisemitismus muß überall dort, wo er seine miese Fratze zeigt, bekämpft werden«, betonte er. Wer ihn bekämpfen wolle, müsse aber bedenken, daß die Grundlagen des Ressentiments »mit Rassismus, mit Fremdenfeindlichkeit, vielleicht auch mit Islamophobie zu tun haben«. Menschen, die sich durch ihre Hautfarbe von den Europäern unterscheiden, seien in Ländern wie Deutschland viel gefährdeter als Juden, deren Sicherheit auch in Israel nicht gewährleistet sei: »Das Versprechen, daß man als Jude in Israel sicher leben kann, ist nicht eingelöst worden.« Ein wesentlicher Grund dafür sei die Politik Israels gegenüber den Palästinensern.

Der Behauptung, Antizionismus sei nur ein Synonym für Antisemitismus, setzte Zuckermann entgegen, es gebe durchaus antisemitische Befürworter des Zionismus - nämlich jene, die der Meinung seien, daß Juden nur in Israel etwas zu suchen hätten. Bei dieser Gelegenheit erinnerte Zuckermann an Ignatz Bubis, der als Zentralratsvorsitzender der Juden in Deutschland die Frage, ob seine Heimat nicht Israel sei, als Provokation empfunden habe.

Der Zionismus sei eine reaktive Ideologie gewesen, eine Antwort auf den in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa aufkommenden Antisemitismus. Später seien die Shoa-Überlebenden in Israel gar nicht so willkommen gewesen, da sie nicht dem zionistischen Ideal des »neuen Juden« entsprochen hätten.

Nach einer aktuellen Lageeinschätzung gefragt, sagte der Philosoph, er halte nur eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt für möglich, denn es gebe keine historischen Protagonisten, die einen binationalen Staat wollten.

Moshe Zuckermann: »Antisemit!« - Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument. Pro-Media Verlag, Wien 2010, 208 Seiten, 15,90 Euro

* Aus: junge Welt, 25. Oktober 2010


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