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Amnesty fordert von Berlin Konzept gegen Rassismus

Menschenrechtsorganisation tagt demonstrativ in der Pegida-Stadt Dresden *

Dresden. Amnesty International (ai) hat von der Bundesregierung ein Konzept zur Bekämpfung des Rassismus gefordert. Dabei sei Rassismus nicht mit Rechtsextremismus gleichzusetzen, sondern als gesamtgesellschaftliches Problem anzuerkennen, sagte die Generalsekretärin der deutschen Sektion, Selmin Caliskan, der Deutschen Presse-Agentur vor der ai-Jahresversammlung am Samstag in Dresden. Zugleich kündigte sie einen Bericht ihrer Organisation über Hassverbrechen in Deutschland an. Derzeit sei ein Ermittlerteam aus dem Londoner ai-Zentrale in Deutschland unterwegs, um rassistische Übergriffe und Verfehlungen von Polizei und Justiz zu dokumentieren.

»Unter anderem wird der NSU-Skandal auch noch mal von Amnesty beleuchtet werden. Der Bericht mit den Ergebnissen wird aber erst Anfang nächsten Jahres veröffentlicht«, sagte Caliskan. Einzelheiten wollte sie noch nicht nennen. »Nur so viel: Im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei ist es sehr schwer, Menschen zu finden, die bereit sind, darüber zu sprechen.«

Rund 500 Amnesty-Mitglieder aus ganz Deutschland wollen bis Pfingstmontag in Dresden über Rassismus diskutieren. Gerade in der Pegida-Stadt müsse eine Organisation wie Amnesty Flagge zeigen, sagte Caliskan. »Pegida ist für mich nicht Ursache für, sondern Konsequenz aus einem gesellschaftlichen Problem, nämlich dem Rassismus.«

Sie verwies auf die gestiegene Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte und dass sich die Bundesregierung nicht konsequent genug von Pegida abgegrenzt habe. »Das wird dann aus der Bevölkerung heraus auch als Legitimation dafür genommen, dass es richtig ist, zu denken, dass man Menschen, die einen anderen kulturellen Hintergrund oder eine andere Religion haben oder auf der Flucht sind, diskriminieren oder sogar gewalttätig gegen sie vorgehen darf.«

Deshalb brauche es ein umfassendes politische Konzept zur Bekämpfung des Rassismus »auch in der Mitte der Gesellschaft - also dem Alltagsrassismus, dem institutionellen Rassismus und den unbewussten Rassismen«. Als Beispiel nannte sie die interkulturelle Öffnung der Institutionen und die Bekämpfung des Rassismus innerhalb der Institution Polizei. »Diskriminierende Polizeikontrollen sind immer noch an der Tagesordnung und gehören abgeschafft.«

Ein weiteres Thema der nicht öffentlichen Jahresversammlung sind die Menschenrechte im digitalen Zeitalter. Dazu wird auch die Frau des inhaftierten saudischen Bloggers Raif Badawi erwartet. Zudem finden bei der Jahresversammlung Vorstandswahlen statt. Amnesty hat nach eigenen Angaben in Deutschland mehr als 130 000 Mitglieder und Unterstützer.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 23. Mai 2015


Mitgliedschaft tagte in Dresden

Amnesty Jahresversammlung setzt Zeichen gegen Rassismus



25. Mai 2015 - Amnesty International fordert die Politik auf, nicht auf Kosten von Flüchtlingen und Migranten Stimmenfang zu betreiben, sondern rassistischen Ressentiments mit einer eindeutigen Haltung zugunsten der Menschenrechte entgegen zu treten. Das beschlossen die über 400 Delegierten und Mitglieder auf der Jahresversammlung der deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation.

Daneben diskutierte die Versammlung unter anderem den Schutz der Menschenrechte im Internet angesichts von Massenüberwachung und Onlinezensur. Gast war dazu neben anderen Thomas Drake, ehemaliger Mitarbeiter des US-amerikanischen Geheimdienst NSA und Annie Machon, ehemalige Mitarbeiterin des britischen MI5, beide heute Kritiker der Massenüberwachung.

"Rassismus ist nicht nur am rechten Rand der Gesellschaft verbreitet", sagte Gabriele Stein, neugewählte Vorstandssprecherin von Amnesty International zum Abschluss der Versammlung in Dresden. "Für uns ist klar: Der Einsatz gegen Rassismus ist eine demokratische und menschenrechtliche Grundaufgabe."

Ehefrau von Raif Badawi zu Gast

Auf der Jahresversammlung sprach auch Ensaf Haidar, Ehefrau des inhaftierten saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi. Ein Strafgericht verurteilte Badawi am 7. Mai 2014 zu zehn Jahren Haft und 1.000 Stockschlägen. Badawi hatte die Webseite "Saudi-Arabische Liberale" gegründet, eine Plattform zum öffentlichen Meinungsaustausch. Laut Anklage soll er Beiträge veröffentlicht haben, die "den Islam beleidigten". Amnesty fordert, Badawi bedingungslos freizulassen.

Daneben setzte sich die Jahresversammlung in einer Resolution für den Schutz von Journalisten und Bloggern in Bangladesch ein, die wegen ihres Glaubens oder Atheismus verfolgt und mit dem Tod bedroht werden. Weitere Beschlüsse forderten sichere Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa und eine europäische Seenotrettung im Mittelmeer. Amnesty begrüßte die Vorschläge der EU-Kommission, eine Quote für die Übernahme von Flüchtlingen aus besonders stark belasteten Mitgliedstaaten einzuführen, und fordert insgesamt erheblich mehr Aufnahmeplätze für Flüchtlinge in der EU. Den Vorschlag, mit militärischen Mitteln gegen Schleuser und Fluchthelfer vorzugehen, lehnt Amnesty entschieden ab. "Solche Maßnahmen sind zum einen völkerrechtswidrig. Zum anderen soll damit Flüchtlingen der Zugang zum Schutz in Europa verwehrt werden", heißt es in einem Beschluss.

Der neue Vorstand der deutschen Sektion von Amnesty International: Ingrid Bausch-Gall, Gabriele Stein, Martin Roger, Nadja Wenger, Mathias John, Jessica Böhner und Roland Vogel (von links nach rechts): © Amnesty International / Sarah EickDer neue Vorstand der deutschen Sektion von Amnesty International: Ingrid Bausch-Gall, Gabriele Stein, Martin Roger, Nadja Wenger, Mathias John, Jessica Böhner und Roland Vogel (von links nach rechts): © Amnesty International / Sarah Eick

Neuer Vorstand gewählt

Auf der Jahresversammlung fand turnusgemäß die Neuwahl des Vorstands statt. Die Delegierten wählten die Mathematikerin Gabriele Stein (58) aus Aachen zur neuen Vorstandssprecherin, die Politologin Nadja Wenger (26) aus Erlangen zur stellvertretenden Vorstandssprecherin. Mathias John (58) ist im neuen Vorstand für die Themen- und Länderarbeit zuständig, Roland Vogel (55) für Finanzen, Ingrid Bausch-Gall (64) für die Mitgliedschaft, Jessica Böhner (41) für Öffentlichkeitsarbeit und Martin Roger (57) für politische Flüchtlinge.

Im Rahmen der Jahresversammlung setzten die Amnesty-Mitglieder am Pfingstsamstag auf dem Dresdener Theaterplatz ein Zeichen gegen Rassismus. Sie bildeten mit gelben Pappen den Schriftzug #NORACISM.


P-1: Solidarität mit rassistisch bedrohten und angegriffenen Menschen

Die Jahresversammlung stellt fest und beschließt:

Die Jahresversammlung versteht es als wichtige Aufgabe für Amnesty International, solidarisch an der Seite von Menschen zu stehen, die in Deutschland in gewalttätiger, ausgrenzender und subtiler Form Rassismus ausgesetzt sind.

Die Jahresversammlung begrüßt es, dass in vielen Städten und Gemeinden Amnesty-Gruppen gegen rassistische und flüchtlingsfeindliche Aufmärsche öffentlich Stellung bezogen und menschenrechtliche Gegenpositionen sichtbar gemacht haben.

Sie ist besorgt über vorurteilsmotivierte Angriffe auf Menschen, denen unterstellt wird, "anders" zu sein. Sie ist besorgt darüber, dass Menschen in Deutschland rassistisch bedroht, angepöbelt und angegriffen werden, dass angesichts von rassistischen Aufmärschen Asylsuchende und People of Color Angst auf der Straße haben oder sich in Wohnungen und Unterkünften einschließen, dass Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und Einrichtungen religiöser Minderheiten zunehmen. Die Jahresversammlung nimmt die Ängste derjenigen, die von solchen Angriffen in ihrer Würde und womöglich in ihrer körperlichen Unversehrtheit verletzt werden, sehr ernst.

Die Jahresversammlung fordert deshalb politische Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen auf,
  • Betroffenen von Rassismus zuzuhören, ihre Erfahrungen ernst zu nehmen und sich gemeinsam offensiv gegen Rassismus zu positionieren.
  • anzuerkennen, dass Rassismus kein nur rechtsextremes Phänomen ist, sondern quer durch die Bevölkerung geht
  • im Dialog mit der Bevölkerung rassistischen Ressentiments mit einer eindeutigen Haltung zugunsten der Menschenrechte entgegen zu treten
  • deutlich zu machen, dass Einsatz gegen Rassismus nicht Ausdruck einer parteipolitischen Richtung, sondern demokratisches und menschenrechtliches Engagement ist
  • nicht auf Kosten von Flüchtlingen und Migrant_innen politischen Stimmenfang zu betreiben.
Die Jahresversammlung fordert die für die Durchführung von Versammlungen Zuständigen in Verwaltung und Polizeien auf,
  • in Übereinstimmung mit dem völkerrechtlichen Schutzanspruch von Flüchtlingen als einer besonders verletzlichen Gruppe sicherzustellen, dass Versammlungsfreiheit nicht zur Einschüchterung von Schutzsuchenden missbraucht wird
  • bei mehreren Demonstrationen in der Nähe von Sammelunterkünften sicherzustellen, dass Flüchtlingen nicht nur der Anblick von gegen sie gerichteten, rassistischen Protesten zugemutet wird, sondern auch Solidaritätsbekundungen in ihrer Sicht- und Hörweite zugelassen werden
  • das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit, wie es z.B. in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt ist, auch für Asylsuchende und Flüchtlinge zu gewährleisten und ihren Zugang zu Demonstrationen nicht zu behindern.
Die Jahresversammlung ermutigt Amnesty-Gruppen,
  • die Möglichkeit entsprechend den Regelwerken zu prüfen, sich an lokalen Demonstrationen und Veranstaltungen sowie - in Absprache mit den zuständigen Amnesty-Gremien - an breiten Bündnissen gegen Rassismus und für Menschenrechte zu beteiligen
  • zu überlegen, ob oder wie sie im Rahmen ihres Engagements auch von Rassismus Betroffenen eine Stimme geben können
  • das Engagement auch anderer Gruppierungen in Übereinstimmung mit den Zielen von Amnesty zu unterstützen, z.B. durch Vernetzung in sozialen Medien.
      Informationen laut amnesty-Website; www.amnesty.de/




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