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Bunte Bürger, braune Banden

Proteste gegen neofaschistischen »Trauermarsch« in Weimar. Nazischläger greifen Kirmesfest in Ballstädt an

Von John Lütten *

Auch der dritte Versuch ging gehörig schief: Nur knapp 50 Neofaschisten waren am Sonnabend nachmittag dem Aufruf für einen rechten »Trauermarsch« durch die Weimarer Innenstadt gefolgt. Unter dem Vorwand, den Opfern der Bombardements durch die Alliierten in Weimar zu gedenken, hatten freie Kräfte um den Thüringer Neonazikader Michael Fischer aufgerufen und mobilisiert. An den Gegenprotesten nahmen diesmal fast 500 Menschen teil. Nach nur gut 750 Metern der geplanten Route mußte der Marsch umdrehen und zurück zum Bahnhof laufen. Jüngste Attacken neofaschistischer Schläger in Ballstädt zeigen jedoch: Es gibt in Thüringen keinen Grund, sich auf den Erfolgen auszuruhen.

Mit dem »Trauermarsch« für die Opfer des »Bombenterrors« sollte auch in den zwei Jahren zuvor schon versucht werden, in Thüringen einen der bundesweiten revisionistischen Gedenkmärsche, wie in Magdeburg oder Dresden, zu etablieren. Dafür waren am Sonnabend Neofaschisten aus mehreren Bundesländern angereist – doch es waren nicht einmal halb so viele wie im Jahr zuvor. Unter dem Motto »Laß dir nichts verdrehen« veranstaltete das »Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar« (BgR) am Vormittag eine Kundgebung auf dem Goetheplatz, an der knapp 500 Bürger und Antifaschisten teilnahmen. Die Polizei hatte das Gebiet um den Weimarer Hauptbahnhof weiträumig abgesperrt und die Route des »Trauermarsches« entsprechend gesichert. Es gelang engagierten Neonazigegnern jedoch, die Marschroute der Neonazis durch eine Sitzblockade zu stören. Die Polizei verkürzte daraufhin die Route und ließ die Neonazis wieder umdrehen. Diese waren darüber so erbost, daß sie kurzerhand noch den zuständigen Polizeichef umschubsten. Zu Festnahmen kam es schließlich auf dem Bahnhofsvorplatz, als Antifaschisten aus den Reihen des »Trauermarsches« mit Pyrotechnik beworfen wurden und diese zurückschmissen.

Bündnissprecher Torsten Zern zieht insgesamt eine positive Bilanz: »Die Proteste waren ein Erfolg, wir haben ein klares Zeichen für zivilgesellschaftliches Engagement und gegen Geschichtsrevisionismus setzen können.« Gegenüber den Vorjahren hätten noch mehr aktive Bürger, aber auch Theater und andere Institutionen eingebunden werden können. Das Bürgerbündnis will die Möglichkeiten zur Beteiligung nun ausbauen und dafür sorgen, daß Protestformen des zivilen Ungehorsams größeren Anklang finden.

Befürchtungen, daß sich ein geschichtsrevisionistischer Aufmarsch in Thüringen etabliert, dürften damit endgültig abgehakt sein. Doch die Freude über den antifaschistischen Erfolg hielt nicht lange an: In der Nacht zum Sonntag griffen zwischen 15 und 20 vermummte Neonazis ein Kirmesfest in Ballstädt, westlich von Erfurt, an und schlugen auf die Besucher ein. In Weimar war erst Ende Januar ein dunkelhäutiger Gast einer linksalternativen Kneipe von rechten Schlägern attackiert worden. Die aufgebauten Netzwerke rechter Schläger bleiben also weiterhin eine akute Bedrohung in Thüringen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Februar 2014


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