Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schillerndes Gift

Weltweites Abkommen soll Produktion und Nutzung von Quecksilber beenden *

Am heutigen Mittwoch beginnt in Japan eine internationale Konferenz, bei der bis zum Freitag eine Konvention verabschiedet werden soll, die die Produktion und Verwendung von Quecksilber einschränkt. Zu einem völligen Verbot von Quecksilberemissionen hat es trotz vierjähriger Verhandlungen über den Vertragstext nicht gereicht. Mit der Abschlusskonferenz zu dem völkerrechtlich bindenden Vertrag kehrt das Thema faktisch an einen Ausgangspunkt zurück: In der japanischen Hafenstadt Minamata leitete ein Chemieunternehmen rund 30 Jahre lang quecksilberhaltige Abwässer ins Meer. Die giftigen Stoffe wurden von Fischen, Muscheln und Krustentieren angereichert. Viele Anwohner der Bucht von Minamata erlitten dauerhafte Hirnschädigungen, Kinder kamen schwer geschädigt zur Welt.

Erst in den 1970er Jahren wurde das Quecksilber aus der Fabrik offiziell als Ursache der »Minamata-Krankheit« zugegeben. Ähnliche Beschwerden treten bis heute überall dort vermehrt auf, wo Goldgräber das edle Metall mit Hilfe von Quecksilber aus dem Gestein lösen. Auf dem Höhepunkt des Goldfiebers um 1900 lag die Weltproduktion von Quecksilber bei 15 000 Tonnen. Inzwischen ist es höchstens noch ein Fünftel davon. Experten schätzen den jährlichen Verbrauch bei der Goldgewinnung auf 1600 Tonnen. Nach Schätzungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) gelangen aus den verschiedensten Quellen dennoch alljährlich zwischen 1010 und 4070 Tonnen Quecksilber in die Atmosphäre. Seit 1850 sind durch menschliches Zutun 200 000 Tonnen Quecksilber in die Umwelt gelangt. Allerdings setzen Vulkanausbrüche und Waldbrände noch größere Quecksilbermengen frei.

Weder für die Goldgewinnung noch für die Abgase von Kohlekraftwerken – die zweitgrößte künstliche Quelle – gelten die Regelungen der Minamata-Konvention. Zumindest bei der Goldgewinnung könnte allerdings eine Verteuerung des Quecksilbers alternative Produktionsverfahren fördern. Denn bis zum Jahr 2020 soll das Schwermetall nicht nur aus Konsumgütern verschwinden. Ab 2020 ist auch die Quecksilbergewinnung verboten. Wer es dann noch verwenden will, muss recyceln.

Damit die Konvention in Kraft tritt, müssen 50 Staaten das Abkommen ratifizieren

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 9. Oktober 2013


Ein bisschen verboten

Bei einer heute beginnenden Konferenz in Japan soll die Quecksilber-Konvention beschlossen werden

Von Marc Engelhardt **


Vier Jahre lang wurde die Minamata-Konvention gegen Quecksilber ausgehandelt. Das Ergebnis, das diese Woche auf einer Konferenz in Japan beschlossen wird, ist ein Kompromiss. Die größten Emittenten kommen vorläufig ungeschoren davon.

Die Tagesordnung des Gipfeltreffens, das heute in Japan beginnt und am Freitag mit der Unterzeichnung eines völkerrechtlich verbindlichen Abkommens enden soll, ist übersichtlich: Gerade einmal acht Punkte sind angesetzt. Kein Wunder, denn die eigentliche Arbeit ist getan. Seit Februar 2009 wurde unter dem Mandat des UN-Umweltprogramms verhandelt. Im Januar 2013 einigten sich Unterhändler aus über 140 Staaten in Genf auf eine Konvention zur Eindämmung der Quecksilber-Emissionen. In der japanischen Stadt Minamata, Ort der wohl schlimmsten Quecksilberverseuchung in der Geschichte, wird das Ergebnis jetzt nur noch formell beschlossen, den Rest der Zeit feiern die Diplomaten ihren Erfolg. Die Konvention tritt in Kraft, sobald sie von 50 Staaten ratifiziert wurde.

Selbst Umweltschützer, die seit Jahrzehnten für ein Verbot von Quecksilber streiten, halten die Minamata-Konvention für einen guten Kompromiss – nicht weniger, aber auch nicht mehr. »Diese Konvention bringt keine sofortige Reduzierung von Quecksilber; sie muss verbessert und verstärkt werden«, urteilt etwa David Lennett, der einer Arbeitsgruppe von Nichtregierungsgruppen angehört, die sich die Forderung »Null Quecksilber« auf die Fahnen geschrieben hat. Von dieser Null ist man noch weit entfernt. Die Konvention sieht großzügige Übergangsfristen und Ausnahmen vor, obwohl die gesundheitlichen Gefahren von Quecksilber unbestritten sind.

So kann schon das Nervensystem ungeborener Babys im Bauch der Mutter durch Quecksilber dauerhaft beeinträchtigt werden. Auch Säuglinge und Kinder sind hochanfällig für die Auswirkungen des Schwermetalls, das bei Raumtemperatur flüssig ist und sich leicht in der Atmosphäre verteilt. Dort verweilt es über Jahrhunderte und dringt überall auf der Welt in den Nahrungskreislauf ein.

Zumindest aus den Haushalten soll Quecksilber verschwinden: In Batterien, Energiesparlampen, Thermometern, Seifen, Kosmetika und elektronischen Bauteilen wird das Schwermetall bis 2020 weltweit verboten sein. Zahnfüllungen aus Amalgam, in denen Quecksilber enthalten ist, sollen deutlich reduziert werden. Bis heute landen jährlich 340 Tonnen auf die eine oder andere Weise in Mündern. Immerhin ist der Druck auf die Industrie, auf das Schwermetall zu verzichten, hoch: Ab 2020 darf kein Quecksilber mehr gefördert werden. Wer es dann noch verwenden will, muss es recyceln. Der Preis, glauben Umweltschützer wie Bennett, wird dadurch steigen und die Alternativen begünstigen.

Die größten Quecksilberquellen aber geht die Konvention nicht an. Das hat vor allem China bewirkt, dessen Kohlekraftwerke für gut ein Drittel des globalen Ausstoßes verantwortlich sind. Vorläufig soll nur gemessen werden, wie viel Quecksilber ein Kraftwerk verlässt – und selbst dafür gibt es Übergangsfristen von bis zu zehn Jahren nach Inkrafttreten der Konvention, mit der erst in einigen Jahren zu rechnen ist. Ebenso offen bleibt die Kontrolle von Quecksilber, das von Goldsuchern zur Extraktion des Edelmetalls genutzt wird. Gut ein Viertel des Ausstoßes ist darauf zurückzuführen, vor allem in Afrika und Südamerika. Betroffene Länder sollen jetzt Strategien verabschieden, doch wie das in einigen der schwächsten Staaten der Welt gehen soll, ist unklar. Erst wenn der Ratifizierungsprozess vorbei ist, soll darüber im Detail gesprochen werden.

Damit überhaupt vorher gehandelt wird, haben die Schweiz, Norwegen und Japan je eine Million US-Dollar Anschubfinanzierung zugesagt. Mit ihr sollen alternative Projekte wie das von Mandal in der Mongolei finanziert werden. Goldsucher bringen das von ihnen geförderte Erz zu dieser Anlage, in der das Edelmetall mechanisch statt durch den Einsatz von Quecksilber von anderem Gestein getrennt wird. »Die Goldsucher sind zufrieden, weil sie genauso viel Gold aus dem Gestein gewinnen wie zuvor«, sagt Felix Hruschka, ein Ingenieur, der die aus Schweizer Entwicklungshilfe mitfinanzierte Anlage betreut. »Allein, es gibt nicht genug solcher Anlagen in der Mongolei.« Obwohl Quecksilber in dem asiatischen Land schon seit 2008 verboten ist, wird der jährliche Verbrauch auf elf Tonnen im Jahr geschätzt.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 9. Oktober 2013


UN-backed treaty curbing use of hazardous mercury opens for signature

9 October 2013 – An international convention to curb the use of mercury opened for signature today in Japan, marking a watershed moment in the effort to phase-out the toxic heavy metal in the many products and industries in which it is used, according to United Nations Environmental Programme (UNEP).

The Minamata Convention, named after a Japanese city where mercury pollution caused severe health effects in the mid-20th century, begins a process of long-needed regulation for the often hazardous substance, said UNEP’s Executive Director Achim Steiner.

“With this convention, nations have laid the foundations for a global response to a pollutant whose notoriety has been recognized since Greek and Roman times,” Mr. Steiner said.

“Everyone in the world stands to benefit from it, in particular the workers and families of small-scale gold miners, the peoples of the Arctic and this generation of mothers and babies and the generations to come,” he added.

The Convention marks the culmination of four years of complex negotiations among over 140 member states, which were convened in Geneva by UNEP beginning in 2009 and resulted in a wide-ranging and legally binding text in January 2013, according to UNEP.

It provides controls and reductions of mercury in applications from medical equipment to energy-saving light bulbs to the mining, cement and coal-fired power sectors. Pinpointing populations at risk, boosting medical care and promoting better training of health care professionals in identification and treatment of mercury-related illness are also part of the agreement.

According to UNEP, exposure to mercury and its various compounds can cause brain and neurological damage, especially in young people, as well as harm to kidneys and the digestive system. Victims can suffer memory loss and language impairment alongside many other well- documented effects.

According to a recent UNEP report, Global Mercury Assessment 2013, Asia is the largest regional emitter of mercury, and accounts for just under half of all global releases. The report also finds that an estimated 260 tonnes of mercury - previously held in soils - are being released into rivers and lakes.

Aquatic environments are the critical link to health because much of the human exposure to mercury is due to the consumption of contaminated fish, UNEP said.

Through the new treaty, governments have agreed on a range of mercury-containing products whose production, export and import will be banned by 2020. These include batteries (except for 'button cell' batteries used in implantable medical devices), as well as switches and relays, certain types of fluorescent lamps and soaps and cosmetics.

The treaty will also target the artisanal and small-scale gold mining industries, where mercury is used to separate gold from the ore-bearing rock. In addition, it will control emissions from large industrial facilities ranging from coal-fired power stations and industrial boilers to certain kinds of smelters handling, for example, zinc and gold.

Initial funding to accelerate action as the new treaty comes into force - in the expected three to five years' time – has been pledged by Japan, Norway and Switzerland.

UN News Centre, 9 October 2013; http://www.un.org




Die schleichende Vergiftung von Minamata

Eine Bucht in Japan wurde zum Symbol für industrielle Umweltverschmutzung

Von Kurt Stenger ***


Ein Chemieunternehmen leitete in Japan jahrzehntelang quecksilberhaltige Abwässer ins Meer – und vergiftete eine ganze Region.

Alles begann mit toten Fischen, die auf dem Meer trieben. Dann verhielten sich Hauskatzen seltsam. Schließlich klagten Menschen über Schmerzen, erlitten ganz plötzlich Krämpfe, hatten Probleme beim Sprechen und beim Laufen. Viele siechten dahin und starben.

An der Bucht rund um die Stadt Minamata auf Japans südlichster Insel Kyushu herrschte Mitte der 1950er Jahre der blanke Schrecken. Dieser bekam alsbald einen Namen: Minamata-Krankheit. Ärzte und Wissenschaftler stellten Schädigungen am zentralen Nervensystem von Menschen und Tieren fest, die auf eine Schwermetallvergiftung zurückgeführt wurden. Der örtliche Chemiekonzern Chisso stritt jeglichen Zusammenhang der Epidemie mit seiner Acetaldehyd-Anlage ab, deren Abwässer ungefiltert ins Meer geleitet wurden. 1963 wiesen Forscher des öffentlichen Gesundheitsdienstes nach, dass die Einleitung von Methylquecksilberiodid ins Meer zu einer dramatischen Anreicherung von Quecksilberverbindungen in den Meeresalgen führte und über Fische in die Nahrungskette gelangte. Doch die Politik interessierte sich kaum für die Ereignisse – man wollte den Nachkriegs-Wirtschaftsboom nicht gefährden. Selbst die Bewohner der Region versuchten, Krankheitsfälle zu verheimlichen – aus Furcht davor, von Nachbarn ausgegrenzt zu werden. Fischer wollten zunächst nicht, dass ein Zusammenhang mit ihrer Haupteinnahmequelle deutlich wurde. Und Chisso, wo rund 60 Prozent der örtlichen Indus-triearbeiterschaft beschäftigt waren, hatte quasi die Rolle eines Feudalherren inne.

Es war vor allem einem Bildband des in der Region lebenden »Life«-Fotografen Eugene Smith und seiner Frau Aileen zu verdanken, dass die Ereignisse international bekannt wurden. In Japan selbst begann die Aufarbeitung erst in den 70er Jahren nach der Ausstrahlung einer TV-Dokumentation. Was dabei herauskam, war haarsträubend: Der Chemiekonzern Chisso hatte in eigenen Versuchsreihen festgestellt, dass das Abwasser aus seiner Anlage genau die beobachteten Symptome an Tieren hervorrief. Die Ergebnisse wurden verschwiegen. Um die Herkunft der giftigen Abwässer zu verschleiern, leitete man diese um – und verseuchte ein noch größeres Gebiet. Erst 1968 stellte Chisso auf ein neues Produktionsverfahren um, das ohne Quecksilber auskam.

Das Acetaldehyd diente als Ausgangsstoff für die Kunststoffproduktion. Diese boomte im Zuge der Industrialisierung in Japan. Quecksilberverbindungen wurden dabei als Katalysator verwendet.

Nach heutigen Schätzungen wurden bis zu 30 000 Menschen mehr oder weniger schwer geschädigt, Etwa 3000 dürften an der Vergiftung gestorben sein. Nur ein kleiner Teil der Betroffenen konnte Entschädigungszahlungen durchsetzen. Und dies oft erst nach monatelangen Protesten vor der Chisso-Zentrale in Tokio.

Noch heute leiden Bewohner von Minamata an den Spätfolgen der Vergiftung. Die Einwohnerzahl der Stadt ist um ein Drittel geschrumpft. Und Chisso produziert weiter Chemikalien und Dünger; derzeit testet man hier die Bioethanol-Herstellung aus Bambus. Indes sind die Langzeitfolgen unklar: Der mit Quecksilber verseuchte Meeresboden wurde einst mit Schichten aus Stahl und Zement zugeschüttet. Doch noch immer werden bei einigen Fischarten erhöhte Quecksilberkonzentrationen festgestellt.

Minamata wurde zum Symbol für Umweltverschmutzung durch Verklappung von Abfällen ins Meer. Der Wissenschaftshistoriker Douglas Allchin von der University of Minnesota spricht von »einem der dramatischsten und emotional bewegendsten Fälle von industrieller Verseuchung in der Geschichte«. Minamata habe die Schattenseite der Industrialisierung vor Augen geführt und deutlich gemacht, dass »die Menschen und ihre Umwelt untrennbar miteinander verknüpft sind«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 9. Oktober 2013


Das Merkur der Alchemisten

Was Lampenhersteller und Zahnärzte verbindet

Von Steffen Schmidt


Quecksilber ist ein höchst sonderbares Metall: Bei Zimmertemperatur ist es flüssig, und obwohl es eigentlich ungiftig ist, findet sich auf den Eisenflaschen mit Quecksilber ein Totenkopfzeichen. Denn sobald das Metall verdampft, wird es gefährlich. So kann es über die Lunge ins Blut kommen und sich im Gehirn anreichern. Dort kann es als Nervengift zum Tode oder zu massiver Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten führen. Und auch bei den chemischen Verbindungen des Metalls steht das ungiftige Zinnober (Quecksilbersulfid) neben dem extrem giftigen Methylquecksilber.

Da Quecksilber mit vielen anderen Metallen sogenannte Amalgame bilden kann (mancher hat so was noch als Füllung in Zahnlöchern), gehörte es zu den Lieblingselementen der mittelalterlichen Alchemisten. Mancher vermeintliche Goldmacher hatte seine Gönner nur mit Amalgam geblendet. Seit der Antike wurden Quecksilber und einige seiner Verbindungen auch als Arzneien verwendet (gegen die Syphilis etwa), nicht selten mit entsprechend üblen Nebenwirkungen.

Wegen seiner Eigenschaften ist die Verwendung von Quecksilber in Leuchtstoffröhren und Sparlampen von Anfang an umstritten. Die enthalten zwar nur Milligramm-Mengen, doch da viele defekte Lampen fälschlich im Hausmüll landen, dürfte sich die Quecksilberlast der Umwelt wieder erhöhen. Allerdings sind diese Mengen klein im Vergleich zu denen aus Vulkanen, Waldbränden oder Kohlekraftwerken. Vor allem letztere trugen zu den etwa 200 000 Tonnen Quecksilber bei, die die Menschheit seit 1850 freisetzte.

(neues deutschland, Mittwoch, 9. Oktober 2013)




Zurück zur Rohstoff-/Ressourcen-Seite

Zur Umwelt-Seite

Zur Japan-Seite

Zurück zur Homepage