Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kasachstan: Ein "Geheimfavorit" in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit

Eine Analyse von Arnur Rachymbekow, Moskau *

Von Arnur Rachymbekow *

Seit etwas mehr als einem halben Jahr führt Kasachstan den Vorsitz in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ).

Nach Ansicht vieler Experten hat der jetzige Status des Landes die Integrationsprozesse in der Organisation zusätzlich gefördert. Kasachstans Staatsführung gibt regelmäßig zu verstehen, dass die Zusammenarbeit innerhalb der SOZ eine ihrer Hauptprioritäten ist. Das betont auch Präsident Nursultan Nasarbajew ständig.

Das Format der SOZ-Tätigkeit ist durchaus dafür förderlich, dass die Teilnehmerländer ihren Platz in der modernen geopolitischen und geoökonomischen Konstellation finden, ohne dabei ihr Gesicht zu verlieren. Infolge ihrer geopolitischen Lage kann die Organisation keine einseitige Politik betreiben und sich ausschließlich auf einen „Kraftpol“ orientieren. Kasachstan muss nun ständig zwischen den Interessen der Großmächte balancieren und kann auch nur so seine nationalen Interessen gewährleisten.

Die Teilnahme an der SOZ war Kasachstan auch vom politischen Selbsterhaltungstrieb diktiert worden: Anfang des 21. Jahrhunderts wird die nationale Sicherheit der Republik massiv herausgefordert. Dazu gehören der internationale Terrorismus, der Export des radikalen Islams, der Waffen- und der Rauschgiftschmuggel sowie die illegale Migration. Es wäre zu kompliziert, all diese Aufgaben allein zu bewältigen.

Das Zusammenwirken im Rahmen der SOZ bot Kasachstan die Möglichkeit, eine Reihe von territorialen Streitfragen zu regeln. Die planmäßige und transparente Reduzierung der Streitkräfte in den Grenzregionen bot die Möglichkeit, die Reste der militärpolitischen Spannungen zu entschärfen. Außerdem beeinflusst die Intensivierung des gegenseitigen Austauschs zwischen den SOZ-Mitgliedsländern in Handel und Wirtschaft in bedeutendem Maße die gesamte strategische Landschaft der Region, indem die Schwerpunkte vom militärpolitischen Bereich in den Bereich eines friedlichen wirtschaftlichen Zusammenwirkens verschoben werden.

Im Rahmen der Organisation setzt sich aber Kasachstan auch anspruchsvollere Ziele: Es ist bestrebt, in Zukunft eine Spitzenposition zu übernehmen. Diese Ambitionen untermauert die Republik mit ihren Erfolgen in der Außen-, der Innen- und der Wirtschaftspolitik.

Gerade dank der versierten Politik der Regierung von Kasachstan auf dem Gebiet der sozialen und wirtschaftlichen Reformen hat die Republik bereits eine führende Position unter den postsowjetischen Staaten beim Tempo des Wirtschaftswachstums eingenommen. Vor einigen Jahren haben der US-Kongress und der Europarat Kasachstan als ein marktwirtschaftliches Land anerkannt. Führende internationale Ratingagenturen vergaben Kasachstan das internationale Investitionsrating. Diese Fakten zeugen in markanter Weise davon, dass sich der Kurs auf die Wirtschaftsreformen voll bewährt hat.

Zu den unbestreitbaren innenpolitischen Erfolgen gehört auch die Tatsache, dass in Kasachstan in den Jahren der Unabhängigkeit im Unterschied zu den meisten ehemaligen UdSSR-Teilrepubliken (insbesondere der zentralasiatischen) kein einziger Fakt von ethnischen Fehden registriert wurde, obgleich das Land von 140 Nationalitäten besiedelt wird.

Was die außenpolitischen Voraussetzungen für Kasachstans Spitzenposition in der SOZ betrifft, so muss hier betont werden, dass die ausgewogene Diplomatie der Republik eine Schlüsselposition innerhalb der GUS und im System der internationalen Beziehungen in Eurasien insgesamt gesichert hat. Davon zeugen beispielsweise das wachsende Gewicht und das Ansehen Kasachstans in der OSZE.

Traditionell pflegt Kasachstan enge Beziehungen mit Russland, wozu übrigens die vertrauensvollen persönlichen Beziehungen zwischen Wladimir Putin und Nursultan Nasarbajew beigetragen haben. Jedenfalls ist Russland ein natürlicher geopolitischer, geoökonomischer und geokultureller Partner Kasachstans. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass gerade die Russische Föderation und die Republik Kasachstan eine zentrale Rolle in solchen wichtigen Kooperationsstrukturen des postsowjetischen Raums spielen wie die GUS, die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft und die Organisation des kollektiven Sicherheitsvertrags. In der internationalen Arena agieren Kasachstan und Russland oft gemeinsam. Wie die Praxis zeigt, setzen sie auf diese Weise die Lösung recht komplizierter Probleme durch. Gerade die Bemühungen Kasachstans und Russlands haben beispielsweise geholfen, eine Lösung des „Kaspisee-Problems“ zu finden.

Die strategische Partnerschaft zwischen Russland und Kasachstan bildet das Gerüst des Sicherheitssystems im zentralen und im östlichen Teil Eurasiens. In der postsowjetischen Zeit wurden dort enorme Erfahrungen beim gemeinsamen Widerstand gegen Terrorismus und Extremismus, gegen den illegalen Rauschgifthandel und gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen gesammelt.

Einer der wichtigsten außenpolitischen Bereiche besteht für Kasachstan im Zusammenwirken mit China. Diese Beziehungen entwickeln sich in letzter Zeit überaus dynamisch und evolutionieren schrittweise in Richtung einer strategischen Kooperation. Überaus enge bilaterale Beziehungen pflegt Kasachstan auch mit den anderen Mitglieds- und Beobachterstaaten in der SOZ (Tadschiksitan, Iran, Indien, die Mongolei usw.) Diese Beziehungen hatten sich auch lange vor der Bildung der Organisation entwickelt und vertieft.

Intensiv entwickeln sich auch die Beziehungen Kasachstans mit solchen Staaten wie die Türkei und Saudi-Arabien. Die Spitzenpolitiker Saudi-Arabiens unterstützen beispielsweise Kasachstans Initiativen zur Intensivierung der Tätigkeit im Rahmen der Beratung für Zusammenwirken und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien. Das muss berücksichtigt werden, weil die Türkei bereits ihren Wunsch bekundet hat, einen Beobachterstatus in der SOZ zu bekommen. Diese Möglichkeit wird nach Ansicht einiger Analysten auch in Saudi-Arabien erwogen.

Der Vorsitz in der SOZ bietet die Möglichkeit, Kasachstans Positionen als eines regionalen Spitzenreiters nicht nur innerhalb der SOZ-Mitglieder als auch außerhalb dieser Vereinigung zu festigen. Kasachstan sondiert durchaus gekonnt und umsichtig den internationalen Boden auf dem Wege der Entwicklung enger Beziehungen mit anderen Ländern der Region in Handel und Wirtschaft sowie im militärstrategischen Bereich und in der Diplomatie. Auf diese Weise entwickelt sich die Zusammenarbeit auch mit den Staaten, die außerhalb der Region liegen, jedoch ein großes Gewicht in der heutigen Welt haben - USA, Großbritannien und Saudi-Arabien. Diese Politik bietet Astana die Möglichkeit, glücklich zwischen Peking und Moskau zu balancieren und dabei diesen „Senior-Partnern“ in einigen Fällen ihre Spielregeln innerhalb der SOZ aufzuzwingen.

* Arnur Rachymbekow, ist Chefkorrespondent des Moskauer Büros der Nachrichtenagentur Kazinform.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: RIA Novosti (Russische Nachrichtenagentur), 17. Juli 2007;
http://de.rian.ru



Zurück zur "Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit" (SOZ)

Zur Kasachstan-Seite

Zurück zur Homepage