Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Mit "einfacher Gewalt" gegen Bundeswehr-Kritiker

Bochumer Protest gegen Rekrutenwerbung hat Nachspiel – Ratherren wollen Auskunft

Von Marcus Meier *

Sie wurden per Polizei von einer Berufsbildungsmesse entfernt, nun wollen sie wissen, auf welcher Rechtsbasis das geschah: Bochumer LINKE-Ratsleute, die gegen Bundeswehrwerbung protestierten.

Was passieren werde, wenn er nicht mitkomme? Dann würden die Uniformierten »einfache Gewalt« anwenden, antwortet der junge Polizist im Plauderton. Adressat der Drohung: Ein Mann mit schwarzen, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren; unter seinem Sakko ist ein T-Shirt zu erkennen, auf dem »Kein Werben fürs Sterben« steht.

Wir befinden uns im RuhrCongress, einer Bochumer Mehrzweckhalle, wo an jenem Oktobertag die Berufsbildungsmesse Mittleres Ruhrgebiet stattfindet. Rund 40 junge und ältere Menschen demonstrieren gegen einen hochgradig umstrittenen Informations-Stand der Bundeswehr, die auf Suche ist nach neuen Rekruten. Flugblätter werden verteilt. Transparente und deren Träger werden weggezerrt. Hoch emotional wird über die Legitimität des Protestes debattiert.

Der Mann, der schließlich von der Polizei durch den Hinterausgang nach draußen begleitet wird, heißt Uwe Vorberg. Er ist der Vorsitzende der Linksfraktion im Rat der Stadt Bochum und einer von 35 Demonstranten, die an diesem Tag ein Hausverbot im RuhrCongress erhalten. Darunter sind auch drei weitere Ratsherren, zwei von der LINKEN, einer von der »Sozialen Liste«. So geschehen am 9. Oktober. Nun, gut eine Woche später, begehrt die Linksfraktion Auskunft zum Sicherheitskonzept der Messe, die vom städtischen Jugendamt federführend organisiert wurde, zu deren Veranstaltern die Kommunen der Region und das Land zählen. Mithin eine öffentliche Veranstaltung, finden die LINKEN, also müsse Protest erduldet werden. In einer Anfrage an die Stadtspitze fordern sie daher Aufklärung: Auf welcher Grundlage wurden die Hausverbote erteilt? Wer hat sie veranlasst? Kritische Meinungen seien unterdrückt worden, die Auseinandersetzung um die Bildungsmesse sei kein Lehrstück für Demokratie, so die Kritik der Ratsleute.

Doch nicht nur die LINKE ist wenig begeistert vom Agieren privater wie staatlicher Uniformierter auf der Messe. So wirft eine Lehrerin Security-Mitarbeitern »Übergriffe« vor. Ihr und vielen Schülern seien die bundeswehrkritischen Flugblätter von Security-Mitarbeitern regelrecht aus den Händen gerissen worden. Die Lehrerin habe provoziert und Securitys »in die Bredouille« gebracht, kontern die Veranstalter. Sie erwägen eine Strafanzeige gegen die Pädagogin. – »Krieg beginnt hier«, so ist das Flugblatt überschrieben. »Mit Werbeauftritten wie diesem sollen permanente Kriege und Militär als etwas Normales dargestellt werden.« Auch diesen Satz sollen Schüler weder lesen noch im Unterricht diskutieren dürfen.

Eigentlich war die Bundeswehr, nach massiven Protesten 2012 zur diesjährigen Berufsbildungsmesse Mittleres Ruhrgebiet nicht wieder eingeladen worden. Doch der Rat revidierte seine Meinung auf Druck der CDU. Der Kompromiss: Die Bundeswehr darf nur für »zivile Berufe« werben. Doch Schautafeln zeigten martialisch blickende Soldaten in Kampfuniform. Die Standbetreuer wirkten freundlicher und kommunikativer, berieten aber auch potenzielle Panzerfahrer. Ein Mann, der sich dem »nd« als »ehemaliger Leiter dieses Informationsstandes« vorstellt, variierte das Argument, die Kriegsgegner hätten doch gar nicht gedient: »Die kennen den Krieg doch nur aus Erzählungen ihrer Großeltern.«

Wegen der Bundeswehr-Kritiker hatte die Messe eine Diskussionsrunde in das Programm aufgenommen. Bei der waren kritische Töne allerdings rar. Die Moderatorin bemühte Heiner Geißler (»Der Pazifismus der 1930er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht«) und suggerierte, die Bundeswehr sei »ein guter, sicherer Arbeitgeber«.

Ein Jugendoffizier erwähnte in der Nicht-Debatte immerhin das drohende »üble Ende« einer Soldatenkarriere. Die Linksfraktion will in ihrer Anfrage aufgeklärt sehen, warum drei Befürwortern des Bundeswehrstandes nur ein – zudem sehr milder – Kritiker des Militärs gegenübersaß.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 18. Oktober 2013


Zurück zur Seite "Schule und Bundeswehr"

Zurück zur Homepage