Kriegsspiel für Kinder
"Ferienprogramm" für den Nachwuchs: Reservistenkameradschaft bietet Fahrt auf Wehrmachtspanzer an
Von Frank Brendle *
Als Höhepunkt eines »Kinderferienprogramms« hat eine Reservistenkameradschaft in Baden-Württemberg Grundschulkinder in ein »Spähtrupp-Kommando« eingebunden – traditionsbewußt auf einem ehemaligen Wehrmachtspanzer. Mit im Angebot waren »Schlachten« mit uniformierten Soldaten. Die jüngste Teilnehmerin war sechs Jahre alt.
»Ein buntes, abwechslungsreiches und interessantes Programm« hatte die Gemeinde Herdwangen-Schönach denjenigen Kindern versprochen, die im Sommer zu Hause blieben. Unternehmer und Vereine des 3000-Einwohner-Ortes nahe des Bodensees boten insgesamt 26 Veranstaltungen an, darunter Filmabende, Malkurse, Spiel- und Grillnachmittage. Für den 10. August hatte die Reservistenkameradschaft »Oberer Linzgau« unter der Überschrift »Die etwas andere Cabriofahrt« einen »Spähtrupp durch den Wald« beworben. Dahinter verbarg sich ein Ausflug in einem offenen Kettenfahrzeug. Das Regionalblatt Südkurier schreibt darüber: »Die Mitglieder des Kinderferien-Spähtrupps sind mit Feuereifer dabei, zwischen den Bäumen nach Angreifern Ausschau halten. Schnell unter den Zweigen hindurchgeduckt, und immer die Wasserpistole im Anschlag, heißt das Motto. Und plötzlich sind sie da, aus dem Hinterhalt springen getarnte Soldaten aus dem Wald und eröffnen das Feuer, besser gesagt das Wasser: Eine lustige ›Schlacht‹ mit dem kühlen Naß beginnt, die beiden Parteien sichtbar Spaß macht«. Nach der Aktion demonstrierte ein aktiver Sanitätsfeldwebel, wie man »klaffende Wunden oder freiliegende Därme« versorgt.
In der Ankündigung hatten die Reservisten auf ein Mindestalter von zehn Jahren hingewiesen – tatsächlich war dem Südkurier zufolge unter den 14 Kindern auch ein sechsjähriges Mädchen auf dem Panzer – passend bekleidet im Tarnanzug. Dem Chef der örtlichen Reservistenkameradschaft war es wichtig zu betonen, daß das sechsjährige Mädchen die Tochter eines Reservisten sei. Auf die Frage, ob er Kritik an der Aktion nachvollziehen könne, antwortete er gegenüber jW: »Dann dürfen wir ja gar nichts mehr machen«.
Die Gemeindeverwaltung ließ wissen, sowohl der Verantwortliche für das Ferienprogramm als auch Bürgermeister Ralph Gerster (CDU) seien in Urlaub. Auf vorsichtige Distanz ging unterdessen die Bundeswehr: Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte zwar, daß die Bundeswehr die Veranstaltung mit einem Sanitätsfahrzeug und einem Sanitäter unterstützt habe. Für die Panzerfahrt sei aber allein die Reservistenkameradschaft verantwortlich. Deren Idee bezeichnete der Bundeswehrsprecher als »Blödsinn«. Die Gliederungen des Reservistenverbandes erhalten umfangreiche Bundesmittel und haben unter anderem die Aufgabe, die Öffentlichkeitsarbeit der Truppe zu unterstützen.
Bei dem verwendeten Panzer handelt es sich nach Angaben mehrerer von jW befragter Rüstungsexperten um ein ehemaliges »Sonderkraftfahrzeug« der Wehrmacht. Zur Verfügung gestellt wurde es von einem privaten Hobby-Museumsbetreiber, der in der Lokalpresse angab, das »Halbkettenfahrzeug« mit 7,5 Tonnen Gewicht und 120 PS sei nach 1945 von der tschechoslowakischen Armee aus Einzelteilen zerstörter Wehrmachtspanzer zusammengesetzt worden.
Gar nicht lustig findet die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Annette Groth, die Aktion. In einem Brief an Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der jW vorliegt, wirft sie den Reservisten vor, die kindliche Lust an abenteuerlichen Geländespielen zu mißbrauchen: »Mit Kindern Kriegsspiele unter Nutzung von realem Kriegsgerät (militärisches Kettenfahrzeug) und Kinderspielzeug (Wasserpistolen) durchzuführen, ist nicht akzeptabel.« Groth forderte »personelle Konsequenzen«.
Ralf Willinger von der Kinderrechtsorganisation terre des hommes kritisierte die traditionslastige Panzerfahrt: »Krieg ist kein Abenteuer, im Krieg werden Menschen getötet«, sagte er im jW-Gespräch. Statt »verharmlosender Kriegsspiele mit sechsjährigen Kindern zu veranstalten«, sollten Kinder lernen, wie Konflikte gewaltfrei gelöst werden können.
* Aus: junge Welt, Freitag, 23. August 2013
Ein Leserbrief
Am 14. August 2013 erschien im "Südkurier" ein Bericht unter dem Titel "Ferienprogramm: Kinder-Spähtrupp erkundet den Wald". Darin ging es um das Kinderferienprogramm in Herdwansen-Schönach. Insgesamt 14
Kinder hatten in dessen Rahmen einen Tag mit der Reservistenkameradschaft
Oberer Linzgau verbracht. Dazu veröffentlichte der Südkurier ein paar Tage später folgenden Leserbrief, den wir hier gern dokumentieren.
Keine lustige Cabriofahrt
Was für ein lustiges Abenteuer für die
Kinder im Wald bei Herdwangen. Ihnen
wird einen Tag lang vorgegaukelt,
Krieg sei ein spannendes, fröhliches
Spiel. DerWald ist aufregend, nichtwegen
der Tiere und Pflanzen, sondern
weil dort Feinde versteckt sind, die es
aufzuspüren gilt. Kinderlachen aus
dem Panzer heraus, heiter wippende
Mädchenzöpfe untdr einer grünen
Tarnmütze. So schön kann Krieg sein,
zumindest in den Augen der Reservistenkameradschaft
Oberer Linzgau und
wohl auch in den Augen derhöchst unkritischen
Journalistin. Aus unserer
Sicht ist es absolut verwerflich, Kindern
im Alter von sechs Iahren und wenig
mehr "Spaß" am "Panzerfahren", am
"Ausschau halten nach Angreifernl", an
"aus dem Hinterhalt springenden Soldaten"
und an einer "Schlacht" anzutrainieren.
Über die Fahrt mit dem "über die Wege
im Wald ratternden Kettenfahrzeug"
dann als "Cabriofahrt" zu plaudern, ist
eine journalistische Meisterleistung
darin, die Wirklichkeit zu verfälschen.
Vermutlich um dem Ganzen einen
Touch pädagogischer Seriosität anzukleben,
wurden die Kleinen mit
"Grundlagen des Sanitätsdienstes" beglückt,
wie berichtet wird. Diese Unterweisung
scheint allerdings sehr speziell
ausgefallen zu sein. Kinder mit
Imitationen von "klaffenden Wunden
oder freiliegenden Därmen" zu konfrontieren
und sie mit der Herzmassage
vertraut machen zrt wollen, ist
schauderlich und in jeder Hinsicht unprofessionell.
Wir meinen, hier sind
Kinder missbraucht worden. Kinder
vertrauen Erwachsenen zunächst einmal
gutgläubig und uneingeschränkt.
Dieses Vertrauen wird unverzeihlich
missbraucht, wenn Erwachsene ihnen
die brutale Wirklichkeit des Krieges,
der Gewalt und des Tötens als heiteren
Zeitvertreib vermitteln. Ein wenig beachteter
Aspekt dieser Wirklichkeit: In
den USA verlieren mehr Soldaten
durch Selbstmord ihr Leben als im
Kampf. Viele kehren als schwerst Traumatisierte
zu ihren Familien zurück.
Auch in Deutschland leben mittlerweile
ungezählte traumatisierte Soldaten,
deren Einsatz z.B. in Afghanistan eben
keine lustige "Cabriofahrt" war. Das sogenannte
Ferienprogramm und der Artikel
darüber sind eine Schande. Sie
zeigen die zunehmenden Versuche,
unsere Gesellschaft zu militarisieren.
Und sie zeigen, wie man dabei bei den
Schwächsten und Wehrlosesten anfängt:
bei den Kindern.
Ingrid und Klaus Schittich,
Owingen-Billafingen
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