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"Wir raten den Schülern zu öffentlichen Protesten"

NRW-Landesregierung ist wenig geneigt, das Kooperationsabkommen mit der Bundeswehr zu kippen. Ein Gespräch mit Robin Cramer *


Robin Cramer ist Mitglied des Vorstandes der LandesschülerInnenvertretung NRW.



Die neue Landesregierung von SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen könnte die 2008 unterzeichnete Kooperationsvereinbarung zwischen dem Schulministerium und der Bundeswehr kippen. Die Betonung liegt auf »könnte« - warum müßte sie das aus Ihrer Sicht tun?

Die Vereinbarung erleichtert der Bundeswehr den Zugang in die Klassenzimmer. Jugendoffiziere - rhetorisch und didaktisch geschulte jüngere Militärs - sollen Schülerinnen und Schüler über Sicherheitspolitik aufklären. Natürlich nur über deren militärische Aspekte. Über friedliche und zivile Wege der Konfliktlösung klärt die Bundeswehr hingegen nicht auf - den jungen Menschen soll vielmehr das politische Instrument »Militär« nahegelegt werden. Außerdem sieht die Kooperationsvereinbarung zwischen Armee und Schulministerium die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften durch die Bundeswehr vor.

Ihr Vorstand hat sich deswegen Ende August mit der neuen Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) und dem Staatssekretär im Schulministerium, Ludwig Hecke, getroffen. Was ist bei dem Gespräch herausgekommen?

Frau Löhrmann äußerte sich zwar kritisch zur bestehenden Vereinbarung. Kündigen möchte sie das Abkommen aber nicht, sondern lediglich Änderungen einbringen. Wie man allerdings eine solche Vereinbarung ändern kann, ist für uns Schülervertreter nicht nachvollziehbar. Das Abkommen räumt der Bundeswehr einen exklusiven Zugang in die Schulen ein und verstößt damit eindeutig gegen das für die politische Bildung bindende Neutralitätsgebot. Zumal Frau Löhrmann bei dem Treffen noch einmal klargemacht hat, daß Schüler dem Unterricht bei Besuch eines Jugendoffiziers nicht fernbleiben dürfen - es gelte auch für diesen Fall die Schulpflicht. Die jungen Menschen haben rein rechtlich also keine Chance, der Militärwerbung in Schulen zu entgehen.

Wäre es nicht auch möglich, neben der Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr eines mit der Friedensbewegung abzuschließen, um ein Gegengewicht zu haben?

Nein. Zum einen kann es nicht sein, daß irgendeiner Organisation - egal welcher - ein exklusives Zugangsrecht zu den Schulen eingeräumt wird. Daher lehnen wir solche Kooperationsverträge generell ab. Im konkreten Fall gibt es zudem weitere Probleme: Es gibt nicht die eine Friedensbewegung, sondern mitunter sehr unterschiedlich organisierte Gruppen, die sich friedenspolitisch engagieren. Zudem verfügen die Friedensgruppen nicht über die Mittel, die die Bundeswehr für ihre Schulbesuche hat. Die Jugendoffiziere werden für ihre Arbeit bezahlt und geschult, Friedensaktivisten sind fast ausschließlich ehrenamtlich aktiv und rechechieren auf eigene Kosten. Außerdem stellt sich die Frage, welcher Friedensaktivist vormittags Zeit hat, in die Schulen zu gehen, um dem Bundeswehr-Offizier Paroli zu bieten und für einen ausgeglichenen Schulunterricht zu sorgen.

Die nordrhein-westfälische Linksfraktion hat am Mittwoch (15. Sep.) einen Antrag zur Aufkündigung der Kooperationsvereinbarung in den Landtag eingebracht. Der wurde aber sofort an den Schulausschuß weitergeleitet ...

Die Chancen auf Annahme des Antrags sind momentan wohl leider nicht so groß. Neben der Abschaffung der Kooperationsvereinbarung konzentriert sich die Landesschülervertretung daher auch darauf, den Schülern zu zeigen, wie sie sich gegen Bundeswehr-Besuche wehren können. Wir wollen die Schüler ermutigen, Anträge für eine »Schule ohne Bundeswehr« an die Schulleitungen zu stellen, um Besuche von Jugendoffizieren zu verhindern. Wenn der Militär-Besuch nicht mehr abzuwenden ist, raten wir den jungen Leuten, öffentliche Proteste zu organisieren.

Damit haben wir schon einige Erfolge zu verzeichnen. So wurde die Bundeswehr erst kürzlich für eine Berufsmesse in der Hulda-Pankok-Gesamtschule in Düsseldorf Anfang Oktober von der Schulleitung wieder ausgeladen, nachdem sich antimilitaristische Proteste abzeichneten. Weder Bundeswehr noch Schulleitungen haben es gern, wenn sie aufgrund von Schülerprotesten im Mittelpunkt einer kritischen Diskussion in der Öffentlichkeit stehen. Interview: Michael Schulze von Glaßer

* Aus: junge Welt, 17. Sep. 2010


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