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Schulleiter bricht Schweigen zu Horst-Wessel-Lied

Diskussion unter Schülern über angezeigten Vorfall im Musikunterricht / Staatsanwaltschaft hat Akten erhalten

D Von Martin Kröger *

Die bundesweite Medienberichterstattung hat das Emmy-Noether-Gymnasium in Köpenick kalt erwischt. «Die mediale Gewalt hat mich erschrocken», sagt Jürgen Vinzelberg am Mittwoch dem «neuen deutschland». Der Schulleiter bricht damit nach einem Tag der Presseanfragen das Schweigen der Bildungseinrichtung zur Behandlung des «Horst-Wessel-Liedes» im Musikunterricht einer 11. Klasse der Oberstufe. Auch in dem Gymnasium selbst, das Mitglied des Netzwerkes «Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage» ist, begann am Tag nach dem Medienfuror die offene Aufarbeitung – und dies trotz laufender Abiturprüfungen, die aber «konfliktlos» laufen, sagt der Schulleiter. Größte Sorge unter den Schülern sei, so Vinzelberg, dass die Musiklehrerin, die die inoffizielle Nazi-Hymne im Unterricht behandelte, in Zukunft nicht mehr unterrichten dürfe.

Das «neue deutschland» hatte im Berlinteil seiner Mittwochsausgabe exklusiv berichtet, dass es Ermittlungen der Polizei gegen eine Musiklehrerin an dem Köpenicker Gymnasium gibt, das nach der jüdischen Emigratin Emmy Noether benannt ist, die in den 1930er Jahren aus Deutschland in die Vereinigten Staaten fliehen musste. Demnach sollten die Schüler dort am 19. März das «Horst-Wessel-Lied» singen und dazu marschieren. So hat es eine Quelle dieser Zeitung mitgeteilt. Zudem gibt es eine Anzeige wegen Volksverhetzung zu diesem Vorfall.

Aus Sicht der Schulleitung stellt sich das Ganze indes anders dar: Demnach sollten die Schüler über den «Kälbermarsch» von Hanns Eisler, den dieser für Bertold Brechts Schauspiel «Schweyk im zweiten Weltkrieg» als Parodie auf das Horst-Wessel-Lied komponiert hatte, «strukturelle Merkmale» erkennen. Beide Lieder sind «miteinander verknüpft», sagt Vinzelberg. Und: «Das Horst-Wessel-Lied war nicht alleinstehend, sondern in die Musik von Diktaturen eingebettet.» Eine Aufforderung zum «zwanghaften Singen» habe es nicht gegeben, behauptet der Schulleiter. Außerdem habe die Lehrerin von Anfang an darauf aufmerksam gemacht, dass das Horst-Wessel-Lied in Deutschland verboten ist und nicht in der Öffentlichkeit behandelt werden darf.

Mediale Kritik am falschen Umgang der Schule mit dem Fall wies der Schulleiter am Mittwoch zurück. Bald nach Bekanntwerden der Anzeige am 24. März dieses Jahres sei die Berliner Schulaufsicht über den Vorgang schriftlich informiert worden. Zudem wurde die beschuldigte Lehrerin gebeten, «eine Reflexion des Unterrichts» anzufertigen. Dem ist sie nachgekommen. Darüber hinaus beschäftigten sich Lehrerkonferenzen unter anderem der Musikpädagogen mit der Thematik. «Nach Prüfung all dieser Dinge in Absprache mit der Schulaufsicht, haben wir gesagt, dass hier kein strafrechtlich relevantes Dienstvergehen vorliegt», sagt Vinzelberg.

Vorwürfe der Polizei, dass die Ermittlungen des Staatsschutzes insofern behindert wurden, weil sich die Schulleitung weigerte, eine Liste der teils Minderjährigen Schüler des Oberstufen-Grundkurses zu übergeben, damit die Ermittler eine Einverständniserklärung der Erziehungsberechtigten für Vernehmungen einholen können, weist der Schulleiter ebenfalls zurück. «Eine Nichterstellung einer Liste ist mir nicht bekannt», sagt Vinzelberg.

Die Polizei übergab das laufende Verfahren unterdessen an die Berliner Staatsanwaltschaft. «Heute haben wir die Akten bekommen», bestätigt der Pressesprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner«, dem »nd«. Die Strafermittler werden jetzt das Material bearbeiten. Eine erste Einschätzung ergibt allerdings, dass ein »strafrechtlich relevantes Verhalten« nicht sehr wahrscheinlich ist, sagt Steltner. Wie auch immer das Verfahren aus geht, bleibt abzuwarten. Am »Emmy-Noether-Gymnasium« hat auf jeden Fall eine Auseinandersetzung über den Vorfall begonnen – wäre die Schule von Beginn an transparent mit den Vorwürfen umgegangen, hätte sie sich sicher viel Stress erspart 2015

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 17. April 2015


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