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Kaserne statt Klassenzimmer - Umstrittene Schüler-Praktika bei der Bundeswehr

Ein Beitrag von Charlotte Horn in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Joachim Hagen (Moderator):
[Werbefilm der Bundeswehr]
Mit diesem Phantom-Piloten aus Wittmund wirbt die Bundeswehr im Internet um Nachwuchs. Denn seit der Aussetzung der Wehrpflicht steht sie im Wettbewerb mit anderen Unternehmen. Der Werbe-Etat für die Personalgewinnung hat sich in den vergangenen drei Jahren verdreifacht - auf 30 Millionen Euro pro Jahr. Mit dem Slogan „Wir. Dienen. Deutschland.“ wirbt die Bundeswehr für die eigene Sache - auf Messen, bei Truppenschauen und auch mit Praktikumsplätzen für Schüler. Und genau dagegen richtet sich die Kritik. Minderjährige bei der Bundeswehr? Charlotte Horn hat einen Schülerpraktikanten bei der Bundeswehr begleitet:


Manuskript Charlotte Horn

O-Ton:
„Das ist der Aircraft Information Folder – Da hast Du jetzt zum Beispiel den Verkehrszulassungsschein für‘s Flugzeug. Niklas: Wie beim Auto oder was? - Ja. Dass das Flugzeug fliegen darf.“

Aufmerksam hört Niklas Kramer zu. In seinem von der Bundeswehr gestellten khakifarbenen Overall sieht der 15-Jährige fast aus wie der Soldat neben ihm. Der Oberfeldwebel erklärt dem Schüler die Unterlagen für den Eurofighter. Das Kampfflugzeug steht direkt hinter ihnen im Shelter. Seit einer Woche ist Niklas Praktikant bei der Taktischen Luftwaffengruppe im niedersächsischen Wittmund. Dabei durchläuft er verschiedene Bereiche in denen rund 800 Soldaten arbeiten - wie heute die Wartungs-Staffel, die die Flugzeuge startklar macht. Dazu gehört auch das Überprüfen der Triebwerke.

O-Ton Soldat
„Mal gucken, ob wir hier was haben, was sich bewegt?“

O-Ton Niklas
„Es ist wirklich viel Technik. Dass in so eine Form zu fassen, dass auch ich das verstehe, ist auf jeden Fall gegeben. Beeindruckend halt auch irgendwo.“

Das zweiwöchige Pflichtpraktikum in der 9.Klasse hat sich der thüringische Gymnasiast aus der Nähe von Jena selbst organisiert. Seit er ein Kind ist, interessiert er sich für das Fliegen.

O-Ton Niklas
„Luftwaffe, weil ich finde, die Bundeswehr, die Luftwaffe weil die Möglichkeiten die man hier hat sind sehr vielfältig. Und dadurch wollte ich nicht auf einen normalen Flughafen. Und die Bundeswehr bietet viele Dienstleistungen an und warum sollte man das nicht nutzen.“

Während seines Praktikums übernachtet der Schüler nicht auf dem Kasernengelände, sondern bei einer Gastfamilie. Pro Jahr hat die Luftwaffengruppe nach eigener Angabe knapp 100 Schülerpraktikanten. Sie sind alle zwischen 14 und 17 Jahre alt und kommen meistens aus der Umgebung. Die Nachfrage sei hoch, so Presse-Feldwebel Uwe Cremer.

O-Ton Cremer
„Wir sind darauf bedacht, dass man hier die Luftwaffe vielfältig kennenlernt. Demzufolge auch in alle Bereiche in 14 Tagen letztendlich durchläuft. Praktikanten dürfen hier natürlich nur zuschauen und können sich Informationen holen, dürfen Fragen stellen, dürfen aber nicht körperlich mitarbeiten. Das geben die Sicherheitsstandards einfach nicht her.“

Das heißt: selber Hand anlegen dürfen die Schülerpraktikanten nicht und auch Kontakt mit Munition ist Tabu. Das gilt für alle Streitkräfte. Denn wie Niklas Kramer bei der Luftwaffe so bieten auch Marine und Heer Schülerpraktika an. Über die genaue Zahl an Schülerpraktikanten führt die Bundeswehr nach eigener Angabe keine Statistik. Gerade Schüler kurz vor dem Abschluss sind eine wichtige Zielgruppe bei der Nachwuchsgewinnung. Vor den Sommerferien hat die Bundeswehr auch im Fernsehen für ihre Ausbildung geworben. Drei Wochen lang lief der aufwendig gedrehte Spot in öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsendern. Die Szene: In einem modernen Café unterhalten sich ein junger Mann und eine junge Frau über die Karrierechancen bei der Bundeswehr.

O-Ton Werbevideo
„Was willst Du später mal machen? Was Kreatives oder was mit Technik. Auf jeden Fall ein Job mit Verantwortung. Auf den man stolz sein kann. Aber vor allem karrieremäßig so richtig durchstarten. Karriere mit Zukunft! Bundeswehr. Wir dienen Deutschland.“

Zuständig für den Nachwuchs und Schülerpraktikanten wie Niklas Kramer sind bei der Bundeswehr Karriereberater. Deutschlandweit gibt es aktuell 450. Vor der Abschaffung der Wehrpflicht 2010 waren es noch 360. Sie beraten Interessenten - wie bei der Schüler-Jobmesse Vocatium Ende Juni in Hamburg.

Am breiten Stand der Bundeswehr drängeln sich Schüler um Stehtische. Sie sprechen mit Soldaten und zivilen Mitarbeitern und die haben im Vorhinein einen Beratungstermin vereinbart - so wie der 17-jährige Schüler Leon Herwig vom Hamburger Gymnasium Ohmoor.

O-Ton Herwig/Fritz
„Herwig: Mir ist nicht klar, ob ich als Mensch in die Bundeswehr reinpasse?
Fritz: Nach meiner Erfahrung können sie es nur selber feststellen in dem sie es testen. Mal ein Praktikum dort machen in den Ferien, das klassische Schulpraktikum oder sogenannte Schnuppertage mal den ein oder anderen Tag lang eine bestimmt Truppe kennenlernen?
Herwig: Und wenn ich jetzt in den Sommerferien beim Bundeswehrkrankenhaus ein Praktikum machen würde - das wäre zu knapp oder?
Fritz: Das ist zu knapp. Der Sommer ist ausgebucht. Sommer ist dicht. Viele Nachfragen, gerade Medizin. Aber in den Herbstferien mal eine Woche davon opfern, zwei drei Tage ist auch möglich.“


Eine Offiziers-Laufbahn mit Medizin-Studium - das würde Leon Herwig reizen. Sein Schülerpraktikum hat er bei der Polizei gemacht und vielleicht macht er jetzt doch noch eins bei der Bundeswehr in den Herbstferien.

O-Ton Herwig
„Wenn ich mich dafür verpflichte, kann es sein, dass ich mein Leben dafür lasse und dann möchte ich mir sicherer sein als in einem normalen Beruf, deswegen wollte ich nachfragen.“

Jeder Schüler kommt mit einem anderen Anliegen zu Karriereberater Michael Fritz, auch am zweiten Tag der Messe. Am Tag zuvor hätten sich knapp 500 Schüler beraten lassen, so der Hauptmann. Die Frage nach Praktika werde oft gestellt.

O-Ton Fritz
„Wir haben viele Schulen in Hamburg, die den Weg zu uns suchen und den Berufsberater Bundeswehr in der Schule haben möchten, weil sie vermitteln wollen, was die Bundeswehr als Arbeitgeber anzubieten hat. Wir haben aber auch einzelne Schüler oder Eltern die auf uns zukommen. Oder den Vater, der früher bei der Bundeswehr war, geh mal hin, was die Bundeswehr heute zu bieten hat.“

Kritik an der Nähe der Bundeswehr zu Schulen, vor allem an Schülerpraktika bei den Streitkräften, kommt von der Lehrer-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW. Die Bundeswehr sei kein Arbeitgeber wie jeder andere, sagt Ilka Hoffmann, verantwortlich für den Bereich Schule in der GEW.

O-Ton Hoffmann
„Die Realität sehen sie ja nur, wenn sie in einem Konflikt sind. Also unsere Befürchtung ist, dass, was sie da sehen, die Schokoladenseite der Tätigkeit und das eigentlich gar keinen richtigen Eindruck von diesem Beruf vermittelt.“

Für den zivilen Bereich der Bundeswehr wie bei der Verwaltung befürwortet die GEW ein Schülerpraktikum, nicht aber im militärischen Bereich. Gerade Lehrer an Schulen in der Nähe von Bundeswehr-Standorten fragten oft nach, wie sie sich verhalten sollen, so Hoffmann.

O-Ton Hoffmann
„Also meine Empfehlung ist: genau nachzufragen, was primäres Interesse in Schülerpraktikum. Eher technisch, eher sozial und was sie sich von der Bundeswehr versprechen. Und wenn das in die Richtung geht: das ist ein Abenteuer, da kann man auch schießen. Dann würde ich ein anderes Praktikum suchen. Weil das einfach auch kein Abenteuerspielplatz ist.“

Karriereberater Fritz kennt die Kritik an Schülerpraktika bei den Streitkräften. Doch genau deswegen sollten sich die Jugendlichen selber ein Bild von der Bundeswehr machen.

O-Ton Fritz
„Denn die Bundeswehr ist kein Arbeitsgeber wie jeder andere. Die Bundeswehr ist zwar ein Arbeitgeber, sie bietet viele Berufsfelder an, aber sie ist ein besonderer Arbeitsgeber als Staatsorgan, die auch nicht ungefährlich sein können. Das müssen die jungen Menschen wissen und sich damit auseinandersetzen, ob das etwas für sie ist.“

Bei der Schüler-Jobmesse läuft auch Lehrer Andreas Jellinghaus zwischen den Ständen herum. Er unterrichtet am Hamburger Gymnasium Ohmoor Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. Grundsätzlich stellt der Lehrer es den Schülern frei, wo sie ihr Pflichtpraktikum machen. Seiner Meinung nach sollte die Schule die Vielfalt der verschiedenen Berufsmöglichkeiten aufzeigen - eben auch bei der Bundeswehr. Es fehlt ihm aber an Erfahrung damit. Denn bisher war die Nachfrage der Schüler nach einem Praktikum bei der Bundeswehr gering.

O-Ton Jellinghaus
„Ich weiß nicht, wie sich das verändert im Zuge der Imagekampagne der Bundeswehr, ob wir zukünftig damit rechnen müssen. Dann müssen wir gucken, wie wir uns aufstellen. Wir wissen aus der Erfahrung, dass Schüler bei der Bundespolizei oder bei der Landespolizei ihr Praktikum machen und da ist es auch schon in Teilen so, dass die Polizei ein gutes Praktikum anbietet. Zeigt, welche Möglichkeiten es gibt und welche Anforderung gestellt werden.“

Nach Ansicht der Hamburger Schulbehörde liegt es in der Verantwortung der einzelnen Schulen, wie sie mit dem Thema Bundeswehr umgehen. Vorgaben gebe es keine, so Sprecher Peter Albrecht.

O-Ton Albrecht
„Wenn Bundeswehr auf Schule zugeht und zum Beispiel Informationsveranstaltungen machen will, Praktika einbinden will, Boys Day, Girls Day machen will, dann geht das natürlich. Allerdings erwarten wir von den Schulen und das wissen die Schulen, eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema. Bundeswehr ist nun mal - zumindest was das Soldat sein angeht - kein normaler Job, sondern einer mit ganz besonderen Risiken.“

Und genau aus diesem Grund befürwortet Albrecht ein Schülerpraktikum bei der Bundeswehr im schulischen Rahmen.

O-Ton Albrecht
„Weil es dann mit Lehrkräften besprochen wird, weil man sich dann damit auseinandersetzt. Mündlich, schriftlich in der Diskussion auch mit den Klassenkameraden. Das finde ich besser, als wenn jemand privat hergeht und dann völlig für sich privat ein solches Praktikum macht.“

Am Luftwaffenstützpunkt in Wittmund heben zwei Eurofighter nacheinander von der Startbahn ab. Niklas Kramer verfolgt den Start vom Balkon des Towers. Auf dem Kopf hat er große Ohrenschützer versehen mit dem Aufkleber: Praktikant. Drinnen erklärt ihm später der Fluglotse den Bildschirm.

O-Ton Soldat
„Hier wird alles mit abgebildet. Nicht nur Militär auch zivile Flugzeuge. Niklas: Also erkennen Sie auch, was das für eine Maschine ist? - Ja genau.“

Die nächsten Tage wird der Schüler seinen Einblick in die Flugsicherung noch vertiefen und sich mit Soldaten austauschen. Das Praktikum - schon jetzt eine gute Entscheidung, so sein Zwischenfazit.

O-Ton Niklas
„Das ist das einzige Praktikum. Und wenn man das nicht nutzt? Ich hätte mich auch in den Kindergarten setzen können. Aber das ist nicht mein Wunsch für später und deswegen habe ich mich gekümmert hier herzukommen.“

Nach den zwei Wochen Schülerpraktikum muss Niklas Kramer einen Bericht schreiben über die Zeit bei der Luftwaffe. Als Fazit steht dann bei Berufswunsch vermutlich: Pilot im Jagdgeschwader. Aber bis zum Abitur sind es noch drei Jahre.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 26. Juli 2014; www.ndr.de/info


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