Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Von Schurken und Raketen

Irak ist nur ein Beispiel

Nachfolgender Kommentar befasst sich mit der Schurkenstaaten-Theorie, die in den Vereinigten Staaten erfunden und erst vor kurzem zugunsten der Theorie der "states of concern" fallen gelassen wurde - wodurch sich in der praktischen Außenpolitik aber nichts Wesentliches ändern wird.

Schurkenentfernung als offizielle US-Außenpolitik

Von Edward S. Herman

In ihrer Rede beim Wahlparteitag der Republikaner am 1. August erklärte Bushs außenpolitische Beraterin Condoleeza Rice dem Auditorium, dass Bush «anerkennt, dass die großartigen Männer und Frauen von Amerikas Streitkräften keine Weltpolizei sind. Sie sind nicht die 911 der Welt.» Im Gegenteil, meinte sie, diese großartigen Männer und Frauen werden nicht nur unsere Küsten und unseren Himmel gegen alle Bedrohungen schützen, sie werden «überdies Frieden, Wohlstand und Freiheit auch über unsere gesegneten Gestade hinaustragen». Und die republikanische Wahlplattform fordert die aktive Verfolgung einer Strategie der «Schurkenentfernung», um Outlaws, welche die dekadente Clinton-Administration lediglich einzudämmen versuchte, aus dem Verkehr zu ziehen («Bush plans to undermine ‹rogue› states», Financial Times, 2.8.2000).

Das heißt nun wahrlich entschieden Unrecht tun gegenüber Clinton, der ein ganzes Arsenal von Boykotten, Sanktionen, Versagung von medizinischer Hilfe und Aushungern von Zivilisten, von Bombenangriffen, Inspektionen, Unterstützung von Dissidenten im Ausland und von Anreizen für das irakische Militär aufgeboten hat, um den Schurkenführer Saddam Hussein zu stürzen. Desgleichen hat Clinton bei einer weiteren, breit angelegten Schurken-entfernungs-operation in Jugoslawien massive Bombardierungen, Sanktionen, Eingriffe zugunsten von Dissidentenparteien, Tribunalverurteilungen Milosevics angewandt und einen Preis auf Milosevics Kopf ausgesetzt als Anreiz, den Bösewicht ins Jenseits zu befördern. Das Einzige, was Clinton nicht gemacht hat: er ist nicht mit US-Truppen eingedrungen, um diese Schurkenstaatsführer zu entfernen.

Es ist keineswegs ausgemacht, dass die Republikaner an der Macht im Umgang mit Schurken weitergehen werden als Clinton, aber sie müssen sich von ihm unterscheiden, besonders da sie verpflichtet sind, ihre Absicht zu rechtfertigen, den ohnehin schon riesigen Militäretat noch einmal entschieden zu vergrößern. Sie müssen behaupten, einen Aktionsplan für «nationale Sicherheit» zu haben, über den Clinton angeblich nicht verfügt hat. Es ist für die Republikaner misslich, dass er im Fall des Irak den unter Bush Eins begonnenen Subversionsprozess mit völkermörderischer Energie betrieben hat. Die Antiraketen-Gschaftelhuberei zielt auf eine andere große Bedrohung der nationalen Sicherheit, Nord-Korea, dessen Führer irgendeinmal in ferner Zukunft in der Lage sein könnten, dadurch nationalen Selbstmord zu begehen, dass sie eine Rakete über den Pazifik schicken. Die Republikaner treiben diese leere Geschäftigkeit eifrig voran, zweifellos in der Hoffnung, dass die mögliche Annäherung zwischen Nord- und Süd-Korea sie nicht zwingen wird, anderswo nach einem Grund für Gschaftelhuberei Ausschau zu halten. Aber das wird die Sache der Schurkenstaatsführerentfernung auch nicht voran bringen.

Laut Condoleeza Rice ergibt sich die Notwendigkeit für eine Verteidigung gegen Raketen «zum frühestmöglichen Zeitpunkt» aus dem Umstand, dass die Schurkenbemühungen um den Zugang zu Langstreckenraketen strikt auf «Erpressung» zielen. Die Schurken könnten schon deshalb Raketen nicht zu «Verteidigungszwecken» wollen, weil dieses friedliebende Land eine überragende Militärmacht und ein Anti-Raketen-System offenkundig nur wegen unserer «besonderen Verantwortung für die Bewahrung des Friedens» anstrebt! Hätten die Römer auf dem Höhepunkt der imperialen Macht bei der Verfolgung ihrer eigensüchtigen Interessen noch unverschämter sein können?

Frau Rice behauptet, Clintons Politik habe lediglich auf eine weltweite «Polizeitruppe» und «911» abgezielt, ohne dass es dafür einen wesentlicheren Grund gegeben hätte. Doch Clintons Außenpolitik stand natürlich im Dienst von Konzerninteressen, und er hat sein schmutziges Subversionsgeschäft zum Teil deshalb betrieben, weil er wie die Republikaner dem «nationalen Interesse» der USA an der Schaffung eines für die transnationalen Konzerne gastlichen globalen Systems verpflichtet ist. Doch Clinton hält es auch für nötig, sich einen abzubrechen, um zu beweisen, dass er und die Demokraten nicht «soft» sind, sondern mindestens ebenso entschlossen wie die Republikaner, ein Grenada, ein Nikaragua, einen Irak usw. aufzumischen und die nationalen, also Konzerninteressen über alles zu stellen. Die Republikaner brauchen ihre patriotische Bereitschaft zum Bomben und ihre unbeirrbare Hingabe an die Konzerninteressen nicht unter Beweis zu stellen; deshalb müssen sie gelegentlich das Land aus Kriegen herausmanövrieren, in denen sich die Demokraten festgefahren haben (Korea, Vietnam). Andrerseits stehen die Republikaner dem militärisch-industriellen Komplex wahrscheinlich näher als die Demokraten (der Lockheed-Vorstand konnte seine Begeisterung angesichts der Aussicht auf eine Bush-Präsidentschaft gar nicht zügeln; Lynne Cheney ist für $125.000 pro Jahr Mitglied seines Verwaltungsrats); sie haben intimere Beziehungen zur Ölindustrie (sowohl Bush als Cheney kommen direkt aus diesem Geschäft); und die Republikaner nähren ein größeres Kontingent von durchgedrehten Ideologen als die Demokraten (Rice gehört zu den «Gemäßigten» im Bush-Team, und sie hat angeblich die Aufgabe, Richard Perle und Paul Wolfowitz und andere Hardline-Krieger im Zaum zu halten). So wird es eng im Wettbewerb um die größere Anfälligkeit für imperialistische Exzesse.

Bemerkenswert aber ist, wie viel offener und schamloser seit dem Ende der Sowjetunion und ihrer bescheidenen «Eindämmung» der Vereinigten Staaten deren gegen ausländische Feinde gerichtete Subversion geworden ist. Schon Clinton ging verdammt weit damit, und die Republikaner erklären jetzt, dass die Subversion zur offiziellen Politik werden und noch weiter getrieben werden soll. Noch gibt es jene kleine «Verbeugung» vor der «Moral» in Form der Kennzeichnung der Ziele als «Schurken», Nachfolgebegriff für den vor einigen Jahren üblichen der «Terroristen»-Staaten. Doch das Recht, ein Land als «Schurken» zu bezeichnen und sich dann systematisch daran zu machen, seine Regierenden zu entfernen und neue zu installieren, wird heute als völlig selbstverständlich dargestellt. In den US-Medien gab es keinerlei Fragen zur Behauptung dieses Rechts und dessen Verhältnis zur vermeintlichen Herrschaft des Rechts in den internationalen Beziehungen. Der liberale Boston Globe beglückwünscht in seinem Editorial die Republikaner zu ihrer Programmforderung nach Schurkenentfernung («Being Clear About Saddam», 8.8.2000). Für die loyalen Medien ist Recht das, was ihre Führer sagen und tun. Das Wort «Subversion» wird natürlich nicht zur Beschreibung der außenpolitischen Vorhaben der Republikaner verwendet. Es ist, wie Terrorismus, ein altmodischer Begriff aus den Jahren des Kalten Kriegs, der Bemühungen der Sowjets kennzeichnen sollte, durch Desinformation seitens des KGB und Propaganda, durch wirtschaftliche Destabilisierung mit Hilfe von Boykotten und Sanktionen, durch Politikerkauf und durch die Ermutigung von Gewalt und Mordanschlägen Regierungen zu stürzen. Dies waren genau die von der CIA und anderen Organen des US-Sicherheitsapparats in Lateinamerika und weltweit angewandten Taktiken. Der frühere CIA-Agent Philip Agee hat dies in seinem Buch «Inside the Company» nachdrücklich beschrieben, doch da die Mainstream-Medien unser natürliches Recht zur Subversion als selbstverständlich betrachtet haben, wurde ein so hässliches Wort wie Subversion nie auf uns angewandt.

Ein weiterer Grund, warum wir nicht subversiv tätig sind, liegt darin, dass allen unseren Bemühungen zum Umgang mit Schurken die Sorge um unsere «nationale Sicherheit» zu Grunde liegt, einer der elastischsten Begriffe in englischer Sprache. Wenn in einem fernen Land eine Regierung an die Macht kommt, die einen US-Konzern stärker zu besteuern droht, dann ist dies ein Problem der nationalen Sicherheit. Indem sie derart droht, hat diese Regierung ihre Feindschaft und Unvernunft bewiesen - sie hat etwas getan, dem wir uns widersetzen, und sie hat die neoliberale Wahrheit, dass solche höheren Steuern ungesund sind usw., nicht anerkannt. Natürlich stellt auf der Grundlage dieses Begriffs von nationaler Sicherheit jeder, der nicht genau unserem Geheiß folgt, eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar und kann mit Recht ein Schurke genannt werden. Das ist offenkundig ein hervorragendes Instrument für eine aggressiv imperialistische Politik.

Ein weiteres bedeutsames Merkmal der nationalen Sicherheit ist, dass wir - wie «Hoovers Gesetz», demzufolge die subversive Bedrohung durch die Kommunisten desto größer ist, je kleiner ihre Zahl ist - auch ein «Gesetz über die Bedrohung der nationalen Sicherheit» haben, wonach eine auswärtige Ablehnung der Wünsche der USA desto fürchterlicher und unerträglicher ist, je stärker unser Land ist und je größer seine militärische Überlegenheit andern gegenüber. Dieses Gesetz ist ein Symptom jener als «Mitleidiger-Riese-Syndrom» bekannten Krankheit, die unsere militärisch-politische Elite vor Ärger und Wut schäumen lässt angesichts unserer vermeintlichen Hilflosigkeit bei der Bekämpfung all dieser externen Gefahren.

Möglicherweise lässt sich in all dem eine Spur von Unaufrichtigkeit und ein Stück berechnender Rationalisierung des Wunschs finden, die Überlegenheit aufrechtzuerhalten und nach eigenem Gusto zu intervenieren, wo immer wir das wollen. Doch für viele kann es auch eine verinnerlichte «Wahrheit» sein. Der militärisch-industrielle Komplex braucht Rechtfertigungen für das wachsende Militärbudget, und die Bedrohungsinflation hat eine lange Geschichte in der Kalte-Kriegs-Soap «Lücken», die es nicht gab. Die Bush-Zwei-Gang hat ihre Arbeit darauf zugeschnitten, wenn sie erhöhte Militärausgaben in der postsowjetischen Bedrohungsära rechtfertigt; auf die Hilfe der Mainstream-Medien dabei ist Verlass. Und die voraussichtlich unbegrenzte Gefälligkeit von Bush Zwei gegenüber der Gier AG könnte es erforderlich machen, dass unsere «großartigen Männer und Frauen» in den Streitkräften ein paar jener weniger großartigen Männer und Frauen in die Mache nehmen, die Opfer des «Marktwunders» geworden sind und deshalb zuhause und in der Fremde befriedet werden müssen.
Aus: ZNet-Kommentar vom 11.8.2000. Aus dem Englischen übersetzt von Hermann Kopp.

Zurück zur Seite "Schurkenstaaten"

Zurück zur Homepage