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Münchner "Sicherheitskonferenz": Alter Wein in neuen Schläuchen?

Die Presse feiert den neuen Kurs der UD-Außenpolitik - Doch erhebliche Zweifel sind angebracht


USA wollen Waffen mit Diplomatie ergänzen

45. Münchner Sicherheitskonferenz beendet / Demonstrationen gegen NATO und Kriegsbeteiligung *

Nicht alles, aber vieles soll anders werden in den nordatlantischen Beziehungen wie bei der Lösung internationaler Konflikte. Manch Beobachter will gar ein wenig politischen Frühlingswind gespürt haben auf der 45. Münchner Sicherheitskonferenz.

München (ND). »Amerika braucht die Welt - wie die Welt Amerika braucht« - mit diesem Appell zur internationalen Zusammenarbeit hat US-Vizepräsident Joe Biden erstmals außerhalb der USA Grundzüge und Stil der Außenpolitik unter Barack Obama skizziert. »Die gute Nachricht: Amerika wird mehr tun. Die schlechte Nachricht: Amerika wird auch von unseren Partnern mehr verlangen«, sagte der Vizepräsident. Konflikte wolle man vor allem diplomatisch lösen.

Neben der Hoffnung auf mehr Dialog und Kooperation auch mit Moskau, betonte Biden Stabilität und Konsequenz bei der Verteidigung sogenannter westlicher Werte. »Es gibt keinen Konflikt zwischen unserer Sicherheit und den Idealen, an die wir glauben«, sagte er. »Die Macht der Waffen hat unsere Freiheit geschützt. Und das wird sich nicht ändern.«

Doch es gab auch nachdenkliche Töne. Die USA stünden nicht nur in Afghanistan und im Irak im Krieg. Biden sprach die drohende Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, den wachsenden Abstand zwischen Arm und Reich, die Erderwärmung und radikale Fundamentalisten als Bedrohung an.

Während der neue Sicherheitsberater der US-Regierung, der frühere NATO-Oberbefehlshaber General James Jones, erstmals offen strategische Fehler in Afghanistan einräumte, wehrte sich Afghanistans Präsident Hamid Karsai gegen Vorwürfe, seine Regierung tue nicht genug gegen grassierende Korruption. Er warb um mehr internationale Hilfe, die schneller und verlässlicher an die Bevölkerung weitergeleitet werden müsse. Zugleich rief er jene Taliban, die nichts mit Al Qaida oder anderen Terrornetzwerken zu tun haben, zur Aussöhnung und zur Rückkehr nach Afghanistan auf.

Erstaunliches kam auch vom deutschen Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Die Diskussion beschränke sich »viel zu oft« nur auf den militärischen Bereich. Deutschland habe die Obergrenze für seine Streitkräfte in Afghanistan von 3500 auf 4500 heraufgesetzt, das sei ausreichend, jetzt sei mehr ziviler Aufbau notwendig. Der für Afghanistan zuständige Befehlshaber des US-Zentralkommandos, David Petraeus, drängte die Verbündeten dagegen zu einem größeren militärischen Engagement.

Mit einem Aufruf zu einem neuen Aufbruch in der weltweiten Abrüstungspolitik hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier die Sicherheitskonferenz eingeleitet. Die 3000 Teilnehmer kamen aus Politik, Militär und Wirtschaft.

Die Konferenz war von Demonstrationen begleitet, die zugleich als Auftakt für weitere Proteste gegen die NATO und ihre bevorstehende 60-Jahr-Feier gelten. Über 6000 Demonstranten hätten klargemacht, dass die Kriegspolitik der NATO und die deutsche Beteiligung an Kriegen nicht erwünscht sind, hieß es gestern in einer Abschlusserklärung der Friedensaktivisten.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Februar 2009


Die irre Angst vor Afghanistan verhindert jeden Aufbruch

Biden will mehr Dialog mit den Verbündeten. Deutschland könnte dazu beitragen, wenn es mit eigener Unlogik aufräumt.

Von René Heilig **


Vizepräsident Joe Biden beteuerte gegenüber den Verbündeten der USA, man sei zum Dialog bereit. Zugleich betonte er die Erwartung an die Partner, verstärkt für gemeinsame Werte und Ziele einzutreten. In München übersetzte man das mit mehr Truppen zur Problemlösung für Afghanistan. Dabei ist Afghanistan gar nicht das Problem.

Dass der Westen in einem Krieg gegen den internationalen Terrorismus steht, hat man seit den »9/11-Anschlägen« schon zu oft gehört. Die »freie Welt« fiel mit diesem Hinweis über Afghanistan und Irak her - und etablierte dort objektiv ein Programm zur Aufzucht von Terroristen. Mag der Westen anfangs noch als Befreier wahrgenommen worden sein, seit Jahren schon hat er sich in die Rolle von Besatzern hineingebombt. Und dabei nicht bemerkt, dass er an der völlig falschen Front kämpft. In Afghanistan gibt es weder die alten Taliban noch Osamas Banden, die sich Al Qaida nennen. Es sind Afghanen, die mit ihrem Aufstand, der von der Masse des Volkes ganz offensichtlich nicht abgelehnt wird, zwei Ziele verfolgen: die Besatzer zum Rückzug zu zwingen und die prowestliche Regierung in Kabul zu stürzen. Eines wollen sie ganz sicher nicht: als Terroristen-Wallfahrer Mord und Totschlag in die westliche Städte bringen. Auch die Reste von Al Qaida, so sie sich überhaupt noch in der Region verstecken, hätten weder logistisch noch führungsmäßig nur die geringste Chance, das zu steuern. Wer will, kann das in CIA-Dokumenten oder in Reden westlicher Militärs vor Ort nachlesen.

Man muss also dumm oder abgebrüht sein, wenn man noch immer behauptet, dass Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt werde. Das ahnt auch der deutsche Verteidigungsminister, der jüngst noch sagte, wir bekämpfen den Terrorismus in Afghanistan oder er kommt zu uns nach Deutschland. Nun drängt Jung, da die USA Nachdenken erkennen lassen, nach mehr ziviler Aufbauhilfe.

Präsident Karsai, der im August wiedergewählt werden will, riskiert nur selten eine große Lippe gen Westen. Doch auch er hofft, dass Obama klare Worte besser versteht als bisher geübte Speichelleckerei. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus könne nicht in Afghanistan ausgetragen werden, sagt der US-»Stadthalter« in Kabul. Und hat damit jenen Kreis der Toleranz überschritten, auf dessen Einhaltung auch die neue Administration in Washington pocht.

US-Politiker und Militärs werfen dem afghanischen Präsidenten plötzlich vor, dass der Drogenhandel grassiert, die Korruption endlos mächtig ist und Karsais Truppe - weil selbst korrupt - das alles nicht in den Griff bekomme. US-Außenministerin Hillary Clinton bezeichnet Afghanistan zwar nicht mehr als Schurken-, wohl aber als Drogenstaat. Was sicher stimmt, doch zunächst einmal auf die Kappe der »internationalen Gemeinschaft« geht. Karsai wehrt sich: »Ich hoffe, dass man, anstatt uns unter Druck zu setzen, sich mit uns zusammensetzt, damit wir gemeinsam das Problem der toten Zivilisten lösen können.« Er scheint nicht daran zu glauben, weshalb er sich vor seinem Münchner Auftritt keck auch nach neuen Verbündeten umschaute. Da sind ihm selbst die Russen willkommen. Wiederholt hat Karsai in den letzten Wochen die hohe Anzahl ziviler Opfer nach Angriffen von NATO- und US-Truppen beklagt. Nachrichten über Attacken auf Hochzeits- und Trauergemeinschaften fachen das Feuer für den afghanischen Widerstand an.

Und sie machen all jene heiß, vor denen man sich in den westlichen Ländern wirklich fürchten sollte. Sie leben hier im Westen, haben keinen Kontakt zu Osama bin Laden, akzeptieren Al Qaida höchstens als Idee. Der Islam ist bei vielen so aufgesetzt wie bei ihren Nachbarn der Katholizismus. Sie besuchen auch keine (dort längst nicht mehr existierenden) Ausbildungscamps am Hindukusch. Weshalb entsprechende Strafverschärfungen, wie sie gerade in Deutschland geschehen, absurd sind.

Aber sie schauen Fernsehen, wandern durchs Internet, telefonieren mit Verwandten - und wollen es nicht länger ertragen, dass der Westen Terror mit Islam und sie mit Menschen zweiter Klasse gleichsetzt, um daraus - egal ob in Afghanistan oder in Gaza - das Recht zum Töten abzuleiten. So entsteht wahrer Terrorismus - in unserer Mitte. Computer und Wohnungen ersetzen Camps und Drill. Erkläre einer, wie man dem militärisch beikommen will? Zumal am Hindukusch.

Wenn die USA nun wirklich gemeinsame Wege suchen, um gemeinsame Probleme zu lösen, dann ist es Pflicht der Bundesregierung, Obama bei der Erkenntnis zu helfen, dass Krieg Terror nicht abschaffen kann. Da reicht es nicht, froh zu sein, wenn Biden in München nicht explizit mehr Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan erwartet, die mehr US-Militärs zur Seite stehen sollen. Ideen für Exitstrategien sind gerade vom wichtigsten Verbündeten der USA, Deutschland, gefordert. Mag sein, dass ein sofortiger Rückzug westlicher Militärs unmöglich ist. Doch ein zeitlich klar definiertes Programm, das dies anstrebt, ist möglich. So wie eines für mehr Polizeiausbildung, für mehr Schulen und Krankenhäuser. Und vor allem muss man verhandeln: mit den neuen Taliban. Wie im Falle von Iran, nicht über Mittelsmänner.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Februar 2009


Washington geht auf Partnersuche

Vizepräsident Joe Biden stellte Grundzüge der US-Außenpolitik unter Barack Obama vor

Von Hans Voß ***


Die alljährigen Münchener Sicherheitskonferenzen haben stets ihre Besonderheiten. Vor zwei Jahren rechnete Russlands Präsident Wladimir Putin mit der Einkreisungspolitik der NATO gegenüber seinem Land ab. In diesem Jahr wartete man gespannt auf Klarstellungen, wie sich die neue US-Administration auf die zukünftige Gestaltung der europäischen Sicherheitslandschaft einstellt. Einige Elemente zeichneten sich zwar bereits ab, so eine stärkere Hinwendung zum Thema Abrüstung. Was aber noch fehlte, waren klare Konturen über die künftige Stellung der NATO in der Welt und über deren Verhältnis zu Russland.

Wie anzunehmen war, blieb US-Vizepräsident Joe Biden in München auf einigen Politikfeldern vage. Wichtig war aber für die Verbündeten die Versicherung, eine intensivere Partnerschaft zu suchen. Im internationalen Vorgehen, auch im Kampf gegen den Terrorismus, soll das Recht beachtet werden. So wird die Folter in den USA unter Strafe gestellt. Biden wiederholte die Ankündigung des US-Präsidenten Barack Obama, dass das Gefangenenlager in Guantanamo aufgelöst wird. An die NATO-Staaten appellierte er, das US-Vorgehen dadurch zu unterstützen, dass sie entlassene Gefangene, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, bei sich aufnehmen.

Als Schwerpunkt der US-Sicherheitspolitik bezeichnete Biden die Beendigung des Krieges in Afghanistan. Obgleich er ein stärkeres Engagement der Verbündeten anmahnte, erhob er - zur Erleichterung deutscher Politiker - nicht die Forderung nach Entsendung zusätzlicher Streitkräfte. Zivile Hilfe und Ausbildung von Polizeikräften seien gefragt. Iran kündigte er Dialogbereitschaft an, die von Teheran aber mit Entgegenkommen honoriert werden müsse.

Beachtung fanden Bidens Ausführungen zum Verhältnis zu Russland. Er räumte ein, dass es auch in Zukunft Differenzen mit Moskau geben werde. So würden die USA nicht Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anerkennen. Es gebe aber genügend Felder, auf denen man zusammenarbeiten könne. Das sei beim Krieg in Afghanistan der Fall, aber auch beim Vorgehen gegenüber Iran. Versöhnliche Töne schlug Biden auch beim Thema Raketenschild in Polen und Tschechien an. Die USA würden zwar grundsätzlich an ihren Plänen festhalten, machten deren Verwirklichung jedoch von der vorherigen Klärung technischer Voraussetzungen sowie von Absprachen mit den NATO-Staaten und von Konsultationen mit Russland abhängig. Vertreter Polens und Tschechiens hatten zuvor gefordert, dass sich an den getroffenen Absprachen nichts ändern dürfe.

In den Debatten, an denen unter anderem Kanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Nikolas Sarkozy teilnahmen, zeichnete sich ab, dass die NATO-Staaten - trotz aller russischen Einwände - am eingeschlagenen Kurs festhalten wollen. Auch Joe Biden äußerte sich in gleicher Weise. Danach wird das Projekt der Osterweiterung des Paktes weiter verfolgt. Auf dem Jubiläumsgipfel anlässlich des 60. Jahrestages der NATO Anfang April soll zudem der Startschuss für die Verabschiedung eines neuen strategischen Konzepts der NATO gegeben werden.

Wie ein roter Faden zog sich durch zahlreiche Beiträge der Zustand des Verhältnisses zu Russland. Wenn auch allgemein anerkannt wurde, dass die Verbesserung dieses Verhältnisses für die europäische Zusammenarbeit von großem Gewicht ist, gab es unterschiedliche Bewertungen über die Chancen. NATO-Generalsekretär Javier de Hoop Scheffer äußerte sich skeptisch über die Aussichten, den NATO-Russland-Rat wiederzubeleben. Präsident Nikolas Sarkozy hingegen betonte nachdrücklich, dass Russland weder für seine Nachbarn noch für die NATO eine Bedrohung darstelle.

Eine besondere Diskussionsrunde war den Problemen der Abrüstung gewidmet. Offenbar unter dem Eindruck von Bekundungen Barack Obamas zum Thema forderte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, die Stagnation bei den verschiedenen Verhandlungskomplexen zu beenden. Er verwies auf die besondere Verantwortung der Atommächte, die ihre Verpflichtung zur Abrüstung nicht erfüllten. Das würden viele Staaten zum Vorwand nehmen, die von ihnen eingegangenen Verpflichtungen nicht umzusetzen. Beim KSE-Vertrag wiederholte der deutsche Außenminister seine zum Jahresende gegebene Versicherung, zum Juni ein Expertentreffen nach Berlin einzuberufen, auf dem Möglichkeiten zur Beendigung der Blockade gesucht werden sollen.

Sowohl Merkel als auch Sarkozy äußerten sich zum Vorschlag des russischen Präsidenten Dmitri Medwedjew, einen neuen Sicherheitsvertrag für Europa auszuarbeiten. Der Pariser Staatschef erneuerte das französische Interesse und ordnete das Projekt zugleich der OSZE zu. Merkel zeigte trotz grundsätzlicher Bereitschaft zum Dialog Zweifel an der Machbarkeit eines neuen Vertrages. Beide Politiker mahnten zusätzliche russische Präzisierungen an. Polens Premier Donald Tusk befürchtete, dass das russische Vorgehen auf die Liquidierung bestehender Strukturen abziele.

*** Aus: Neues Deutschland, 9. Februar 2009


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