"Wer für den Frieden ist, muss für den Dialog sein"
Interview mit dem Veranstalter über die 40. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik, Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik
Zum 40. Mal findet die Konferenz für Sicherheitspolitik (früher: "Wehrkundetagung") in München statt. Erwartet werden auch diesmal wieder über 250 ranghohe Politiker und außen- und sicherheitspolitische Experten sowie Spitzenmilitärs aus aller Welt. Diskutiert werden zentrale Fragen der globalen Außen- und Sicherheitspolitik. Der Veranstalter der Konferenz, Prof. Horst Teltschik, äußert sich in einem Interview zu Fragen rund um die Jubiläumskonferenz sowie zur Außen- und Sicherheitspolitik. Das Interview wurde schon am 24. November 2003 geführt. Es steht auf der offiziellen Homepage des Veranstalters (www.securityconference.de).
Herr Professor Teltschik, welcher diplomatische Erfolg
der Münchner Sicherheitskonferenz ist Ihnen besonders
im Gedächtnis geblieben ist?
Das ist eine Frage, bei der man der Anmaßung bezichtigt
werden könnte, wenn man die Konferenz als Instrument zu
einer konkreten Problemlösung betrachtet. Der Erfolg dieser
Konferenz liegt darin, dass sich die wichtigsten Entscheider
im Bereich der internationalen Sicherheitspolitik nicht nur zu
einer Plenardiskussion treffen, sondern dass am Rande
dieser Konferenz eine Vielzahl zweiseitiger bilateraler
Gespräche zwischen den Teilnehmern stattfinden.
Mit welchem Ergebnis?
Die Gespräche finden ohne Protokoll und ohne Medien statt.
Sie bieten also die Chance zu einer sehr offenen und sehr
direkten Aussprache. Und dies wiederum kann zur Lösung
von Konflikten beitragen.
Gibt es dafür Belege aus den vergangenen Tagungen?
Ich denke dabei an den deutschen Verteidigungsminister, der sich auf dem Höhepunkt der
deutsch-amerikanischen Krise mit seinem US-Kollegen getroffen hat. Oder an den indischen
Sicherheitsberater, der mit dem pakistanischen Außenminister ins Gespräch getreten ist. Oder
an den russischen Verteidigungsminister, der sich mit seinem amerikanischen Kollegen
getroffen hat. Es gab eine Vielzahl solcher Gespräche deren Ergebnisse aufgrund des
vertraulichen Charakters der Gespräche nicht öffentlich werden.
Wie hoch schätzen Sie die Wirkung solcher Gespräche für die Politik ein?
Persönliche Beziehungen zwischen Spitzenpolitikern sind von ausschlaggebender Bedeutung.
Das habe ich selbst in den 20 Jahren, in denen ich in der Politik tätig war, erlebt. Und diese
Konferenz bietet die Möglichkeit dazu, sich besser kennen zu lernen und miteinander sprechen
zu können. Das ist ein ganz entscheidender Beitrag zur Völkerverständigung und für eine
erfolgreiche Friedenspolitik. So hat mir Präsident Gorbatschow einmal gesagt: Ohne das
persönliche Vertrauensverhältnis zu Bundeskanzler Helmut Kohl und Präsident George Bush
hätte es keine Wiedervereinigung gegeben.
Welche Gäste erwarten Sie bei dieser Jubiläumskonferenz ?
Ich habe Herrn Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeladen, und ich hoffe sehr, dass er der
Einladung Folge leisten wird. Denn die besondere Bedeutung, die diese Konferenz im Laufe der
Jahrzehnte erhalten hat, soll sich auch in der Jubiläumsveranstaltung niederschlagen. Ich hoffe
auch, dass weitere bedeutende Persönlichkeiten die Einladung annehmen werden.
Wer?
Meine Erfahrung ist, dass viele dieser bedeutenden Persönlichkeiten sehr kurzfristig zu- oder
absagen. Ich bitte daher um Verständnis, dass wir zu diesem Zeitpunkt keine Namen nennen
können.
Vor sechs Jahren haben Sie von Ewald von Kleist die Leitung der Sicherheitskonferenz
übernommen. Was machen Sie anders?
Die Struktur und Organisationsform der Konferenz ist unverändert. Was sich verändert hat, ist
die Globalisierung der Konferenz. Wir sind über den Bereich der transatlantischen Teilnehmer
hinausgegangen. Hochrangige Vertreter aus der Volksrepublik China, Indien oder Japan
nehmen heute genauso selbstverständlich teil sowie Vertreter aus anderen Regionen wie
Zentralasien oder dem Mittleren Osten.
Mit welchem Thema wird sich die Jubiläumskonferenz schwerpunktmäßig befassen?
Mit der Weiterentwicklung der transatlantischen Beziehungen. Diese Frage betrifft nicht nur die
Vereinigten Staaten von Amerika und die Mitglieder der Europäischen Union, sondern ganz
Europa, also auch Osteuropa. Wir müssen unbedingt darüber sprechen, vor welchen
zukünftigen Gefahren und Bedrohungen wir stehen und wie wir sie gemeinsam meistern
können. Wie soll die zukünftige Aufgabenverteilung zwischen den Europäern und den USA
aussehen? Das bedeutet, dass wir eine gemeinsame Bedrohungs- und Gefahrenanalyse
brauchen.
Werden Sie weitere Themenschwerpunkte setzen?
Es liegt natürlich nahe, das Thema Naher und Mittlerer Osten aufzugreifen.
Am Rande der Sicherheitskonferenz gibt es immer wieder Demonstrationen. Die Gegner
werfen Ihnen vor, das Treffen sei in Wahrheit eine Nato-Konferenz und diene dazu,
Kriege vorzubereiten.
Die Demonstranten haben sich nie mit der Konferenz selbst beschäftigt. In einem persönlichen
Gespräch hat einer der Gegner mir gegenüber sogar eingeräumt, dass die Konferenz ihn
überhaupt nicht interessiere. Man verfolge vielmehr eigene Interessen. Insofern nehme ich den
Inhalt dieser Kritik nicht ernst.
Dennoch bleibt der Vorwurf, man bereite in München Kriege vor.
Diese Behauptung ist absurd und entspricht nicht der Wahrheit. Das Gegenteil ist richtig:
Dieses Treffen ist eine internationale Friedenskonferenz. Die Teilnehmer befassen sich
ausschließlich mit der Frage: Wie können Konflikte eingedämmt und friedlich gelöst werden?
Und vor allem: Wie kann man die Entstehung von Krisen verhindern? Wer für Frieden ist, muss
auch für den Dialog sein
Kritik gibt es auch an der Wahl des Konferenzortes. Das Hotel "Bayerischer Hof" liegt
mitten im Zentrum von München. Aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen und der
Demonstrationen müssen in der Innenstadt ganze Straßenzüge abgesperrt werden.
Wegen der Beeinträchtigung für die Bevölkerung hat der Oberbürgermeister Ihnen sogar
empfohlen, mit der Konferenz umzuziehen. Warum lehnen Sie dies ab?
Dafür gibt es drei Gründe. Erstens ist der Bayerische Hof das traditionelle Veranstaltungshotel,
über Jahrzehnte hinweg ist die Konferenz dort abgehalten worden. Zweitens entspricht es dem
Wunsch der Teilnehmer. Sie können in den Konferenzpausen einkaufen gehen und die Stadt
genießen. Drittens hat sich das Hotel seit Jahrzehnten bewährt. Und die Polizei- und
Sicherheitskräfte sagen mir, dass sie die Sicherheit dort jederzeit gewährleisten können.
Herr Professor Teltschik, auf der 40. Sicherheitskonferenz werden die
deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder ein Hauptthema sein. Wie schätzen Sie die
Entwicklung ein?
Das Gebot der Stunde heißt: Man muss miteinander reden. Deshalb bin ich sehr erfreut
darüber, dass der Bundeskanzler nach immerhin eineinhalb Jahren persönlich mit dem
amerikanischen Präsidenten gesprochen hat. Und dass dieses Treffen positiv verlaufen ist.
Freundschaft ist keine Selbstverständlichkeit. Man muss an guten Beziehungen arbeiten,
zumal viele wichtige Fragen auf der Agenda stehen: Was sind die Bedrohungen der Zukunft?
Wie soll die Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten und den Europäern aussehen?
Wie wird die verschiedene Verantwortlichkeit gesehen und umgesetzt? Und konkret: Wie wird
die deutsche Rolle in Afghanistan und im Mittleren Osten aussehen?
Wird ein stärkeres Europa auch ein stärkerer Partner für die USA sein?
Es muss eine gemeinsame europäische Außen- und Verteidigungspolitik geben. Die
Europäische Union muss ein gleichberechtigter Partner Amerikas werden. Hier müssen die
Europäer die Initiative ergreifen, dies kann nicht Aufgabe der USA sein.
Vor welchen Herausforderungen steht demnach die europäische Sicherheitspolitik?
Wir brauchen Antworten auf die entscheidenden Fragen: Wie soll eine zukünftige Arbeitsteilung
zwischen den USA und den Europäern aussehen? Welche Ziele wird die europäische
Sicherheitspolitik verfolgen? Eine mögliche Antwort wäre, dass die Europäer vorrangig die
Verantwortung in ihrem Umfeld übernehmen, also in Osteuropa, auf dem Balkan, in
Zentralasien, im Mittelmeerraum oder in Afrika. Gleichzeitig müssen die Europäer, und hier
insbesondere die Deutschen, die Voraussetzungen für ein stärkeres Engagement schaffen. So
muss für eine Eingrifftruppe, egal ob auf europäischer oder auf Nato-Ebene, die Bundeswehr
entsprechend aufgestellt sein. Dafür müssen wir auch die nötigen Mittel bereit stellen.
Welche globalen Themen werden auf der Sicherheitskonferenz eine Rolle spielen?
An erster Stelle der internationale Terrorismus und die Frage der Nichtweiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen. Für diese Bedrohungs-Szenarien gibt es bislang keine
überzeugenden Antworten. Weiter die Entwicklung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen
zwischen den großen Industrienationen und den Entwicklungsländern. Ich denke dabei an die
laufenden WTO-Verhandlungen, die Cancun Runde und das Thema "Öffnung der Agrarmärkte".
Dies sind außerordentlich schwierige Themen, weil sie darüber entscheiden, ob das
Wohlstandgefälle zwischen den westlichen Industrienationen und den Entwicklungsländern
weiter wächst oder sich irgendwann, wie ich hoffe, zu Gunsten der Dritten Welt verbessert.
Überhaupt nimmt die Bedeutung der Sicherheitspolitik immer weiter zu.
Inwiefern?
Sicherheitspolitik ist heute schon längst nicht mehr ausschließlich eine Frage von Militär- oder
Verteidigungspolitik, sondern ist heute eine umfassende Aufgabe, die alle Bereiche der Politik
und der Gesellschaft einbezieht: Kommt es zu einem Zusammenprall der verschiedenen
großen Religionen? Wie gefährlich wird der islamische Fundamentalismus? Oder denken Sie
an die großen wirtschaftspolitischen Aufgaben, vor denen wir im Zeichen der Globalisierung
stehen: Armut, Klimaschutz, der Kampf ums Trinkwasser. Sicherheit umfasst heute alle
Bereiche menschlichen Lebens. Und es werden Antworten benötigt, die weit über das
Militärische hinausgehen.
Welche Rolle spielt dabei die Verteilung von Reichtum und Armut auf der Welt?
Vordergründig könnte man natürlich sagen, Armut begünstigt Krieg. Aber die Erfahrung zeigt,
dass Arme gar keine Chance haben, Krieg zu führen. Hier steht der Kampf ums tägliche
Überleben im Vordergrund. Da bleibt kein Geld, um Waffen zu kaufen. Das Problem armer
Länder besteht darin, dass sie häufig von einer korrupten Elite geführt werden, die die arme
Bevölkerung noch weiter ausbeutet und mit dem persönlich erworbenen Reichtum dann
versucht, Nachbarstaaten- wie in Afrika häufig geschehen- zu überfallen, um ihren Reichtum zu
mehren. Die Armut des Volkes dient nur als Vorwand, um Krieg zu führen. Wichtig sind also
Antworten auf die Fragen: Wie gehen wir zukünftig mit solchen Führungseliten in der Dritten
Welt um? Können wir sie zu einer verantwortlichen Politik zwingen?
Welche Lehren können wir aus den vergangenen Konflikten für die zukünftige
Sicherheitspolitik ziehen?
Wir müssen in zwei Richtungen gehen. Erstens: Nach wie vor kommen wir nicht daran vorbei,
unsere eigene Sicherheit auch zukünftig militärisch abzusichern. Wir brauchen also eine gut
ausgebildete und gut ausgestattete Bundeswehr. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass
Militär allein nicht ausreichend ist. Wir brauchen den Dialog, die Verständigung, die
Zusammenarbeit mit allen Staaten dieser Erde, um Konflikte zu verhindern oder zu regeln. Das
gilt auch und gerade für die Frage: Wie gehen wir zukünftig mit Diktaturen um? Beispiel Irak: Im
Gegensatz zu den Amerikanern waren die Europäer gegen den Krieg, hatten aber keine eigene
Alternative. Da stellt sich die Frage: Hat man nicht vieles im Irak in den letzten Jahren versäumt
oder falsch gemacht?
Kann ein präventiver Krieg ein geeignetes Instrument der Sicherheitspolitik sein?
Die Welt verändert sich dramatisch. Es lösen sich Staaten und Staatengebilde auf. Gerade in
Afrika mündet dies in Bürgerkriege und Völkermord. Wie reagieren wir darauf? Durch Prävention
oder durch Zuschauen? Wie gehen wir mit Diktaturen um, die über Massenvernichtungswaffen
verfügen? Darauf gibt es noch keine Antworten. Wir brauchen darüber einen Dialog, der in den
Vereinten Nationen und innerhalb der Atlantischen Allianz geführt werden muss. Generell gilt:
Krieg muss das letzte Mittel bleiben. Man muss vorher alle anderen Mittel ausgeschöpft haben.
Warum ist es so schwierig sich auf eine gemeinsame europäische bzw. globale Außen-
und Sicherheitspolitik zu verständigen?
Die Nationalstaaten in Europa müssen bereit sein, auf diesem wichtigen Gebiet ihre
Souveränität abzutreten an eine supranationale Institution, d.h. auf einen europäischen
Außenminister oder einen europäischen Präsidenten. Aus meiner Sicht geht die Entwicklung
mittelfristig in diese Richtung, aber das ist natürlich für viele Staaten ein noch sehr schwieriger
Schritt. In anderen Feldern, zum Beispiel in der Währungs- und Agrarpolitik, sind wir da schon
viel weiter. Aber wir müssen auch Geduld haben. Wir können nicht Jahrhunderte europäischer
Politik in wenigen Jahren grundlegend verändern. Wir haben in den letzten 50 Jahren
unglaublich viel erreicht. Wenn wir Politiker haben, die mit Mut und Weitblick in diese Richtung
gehen, bin ich ganz optimistisch.
Und auf globaler Ebene?
Eine schwierige Frage. Es gäbe nur ein Instrument, das sind die Vereinten Nationen. Der
Generalsekretär spricht selbst davon, dass die Rolle der Vereinten Nationen neu durchdacht
werden muss. Ob die Vereinten Nationen eines Tages in der Lage sein werden, internationale
Konflikte selbständig zu lösen, hängt von der Bereitschaft der Weltgemeinschaft ab. Und bis
dahin ist es noch ein sehr langer Weg.
Das Interview führte Bettina Hunold
Prof. Dr. h.c. Horst M. Teltschik, 63, ist Präsident von Boeing Deutschland. In den achtziger
Jahren war Teltschik außen- und sicherheitspolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut
Kohl, anschließend Mitglied des Vorstands der BMW AG und Vorsitzender des Vorstands der
BMW Stiftung Herbert Quandt. Seit 1998 ist Teltschik Veranstalter der Münchner Konferenz
für Sicherheitspolitik, die jedes Jahr im Februar in München stattfindet.
Quelle: www.securityconference.de
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