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Westliche Doppelstrategie

"Hybride Kriegsführung" auf der Agenda der Münchner "Sicherheitskonferenz"

Von Peer Heinelt *

Der russische Außenminister Sergej Lawrow dürfte bei der heute beginnenden Münchner »Sicherheitskonferenz« wenig Freude haben. Erst am Montag abend hatte sich der Leiter der vormaligen »Wehrkundetagung«, Wolfgang Ischinger, im ZDF-»heute journal« für eine direkte militärische Intervention des Westens in den ukrainischen Bürgerkrieg ausgesprochen. Die zur Zeit im US-Establishment diskutierten Pläne, Waffen im Wert von bis zu drei Milliarden US-Dollar an Kiew zu liefern, nannte er »angemessen und wichtig«.

Danach zog der sogenannte Spitzendiplomat eine Parallele zum jugoslawischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre: Wie heute die Aufständischen in der Ostukraine hätten seinerzeit »die Serben« auf militärische »Geländegewinne« gesetzt, um die Lage zu ihren Gunsten zu beeinflussen – bis die NATO das »militärische Gleichgewicht« wieder hergestellt habe. Dass dies durch einen mörderischen Bombenkrieg unter Beteiligung der Bundeswehr geschah, focht Ischinger, damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, nicht an: »Manchmal braucht man Druck, um Frieden zu erzwingen.« Auf die daran anknüpfende Frage des ZDF-Journalisten Claus Kleber, ob das in Bezug auf die Ukraine nicht ein »Spiel mit dem Feuer« sei, gab sich sein von deutschen Militärs und Rüstungsindustriellen hoch geschätzter Interviewpartner ganz staatsmännisch: Es gebe nun einmal keinen anderen Weg, als der Ukraine zu helfen, sich vor den »aggressiven Vorstößen der Separatisten zu schützen«, erklärte Ischinger. Dazu gehörten Waffenlieferungen ebenso wie Verhandlungen; das sei die westliche »Arbeitsteilung«.

Ganz ähnlich äußerte sich Ischinger unlängst in der Zeitschrift Internationale Politik, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), einem Berliner Think-Tank, herausgegeben wird. Zunächst ließ er wissen, wer seiner Ansicht nach in Osteuropa das Sagen hat: »Die EU handelte richtig, als sie sicherstellte, dass nicht der Eindruck entstehen konnte, man ließe Moskau über die Zukunft der Ukraine entscheiden.« Gegen den »Revisionismus« des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der nach der »Annexion der Krim« auf die »Destabilisierung« der gesamten Ukraine ziele, helfe nur eine »Doppelstrategie« der NATO, so Ischinger weiter. Diese bestehe darin, Russland aus einer »Position der Stärke« zu »kooperativem« Verhalten zu zwingen, indem man Moskau anstelle der aktuell verhängten Sanktionen eine »wirtschaftliche Zusammenarbeit« anbiete. Unter Verweis auf entsprechende Überlegungen der »Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung« bezeichnete der Leiter der Münchner »Sicherheitskonferenz« das von ihm angeregte Vorgehen als »Coengagement« – »eine Mischung aus Einhegung (Containment) und Einbeziehung (Engagement)«.

Bei der Tagung in der bayerischen Landeshauptstadt wird es indes nicht nur um Strategien gegen Russland gehen, sondern um das gesamte »Krisenmanagement« des Westens. Im Mittelpunkt stehe der »Zerfall der internationalen Ordnung«, heißt es. Was darunter zu verstehen ist, haben Ischinger und seine Mitstreiter aus militär- und wirtschaftspolitischen Gremien in einer unlängst erschienenen Broschüre namens »Munich Security Report« dargelegt. Von den Bürgerkriegen in Syrien und im Irak ist dort ebenso die Rede wie von der Ebola-Epidemie in Westafrika und dem weltweiten Flüchtlingselend. Dass die genannten Phänomene aus Armut und Unterentwicklung resultieren und damit eine direkte Folge des kapitalistischen Systems und der von dessen Managern verteidigten kriegerischen Konkurrenzordnung sind, wird allerdings nicht gesagt, handelt es sich doch schlicht um »Bedrohungen«.

Damit sind Ischinger und die Seinen dann wieder ganz in ihrem Element. Auf der Agenda der »Sicherheitskonferenz« stehen denn auch einmal mehr Themen wie der »Krieg gegen den Terror«, die deutsche »Führungsverantwortung« und die Aufrüstung der EU. Besonders interessiert man sich nach eigenem Bekunden für »hybride Kriegsführung«, bei der der Truppeneinsatz mit moderner Propaganda, Diplomatie, Wirtschaftssanktionen und dem Schüren »innerer Unruhen« kombiniert wird. Wem das aus den bisherigen Kriegen der NATO nur allzu bekannt vorkommt, der irrt gewaltig – Urheber dieser neuen Perfidie ist selbstverständlich Russland.

* Aus: junge Welt, Freitag, 6. Januar 2015


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