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"Wir haben lange um eine Einladung gekämpft"

"Sicherheitskonferenz" in München: 95 Prozent der Teilnehmer sind auf NATO-Linie. Ein Gespräch mit Alexander Neu


Dr. Alexander Soranto Neu, Abgeordneter der Partei Die Linke, ist Obmann im Verteidigungsausschuss des Bundestages und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat es in Europa kaum eine so unmittelbare Bedrohung des Friedens gegeben wie jetzt durch den Konflikt in der Ukraine. Am kommenden Wochenende (6. bis 8. Februar) treffen sich wieder Militärs und Politiker aus vielen Ländern zur »Sicherheitskonferenz« in München. Was erwarten Sie von dieser Veranstaltung, speziell im Hinblick auf die aktuelle Krise?

Ich erwarte, dass dieses Thema im Zentrum der Debatte stehen wird, zu der rund 20 Staats- und Regierungschefs und etwa 60 Außen- und Verteidigungsminister kommen. Der Organisator des ganzen, der deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger, hat ja die Marschrichtung schon vorgegeben, nachzulesen auf der Homepage dieser »Sicherheitskonferenz«. Es wird demnach im wesentlichen diskutiert, dass Russland in diesem Konflikt einlenken soll. Natürlich wird es auch um die Krim gehen, deren Rückgabe an die Ukraine gefordert wird – unter Berufung auf das Völkerrecht.

Ein weiterer Aspekt dieses Treffens wird der Terrorismus sein, vor allem vor dem Hintergrund des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris.

Von einer Konferenz, bei der es um »Sicherheit« geht, erwartet man eigentlich, dass Vertreter verschiedener Seiten ins Gespräch kommen. So, wie Sie es schildern, klingt das eher nach »NATO-Konferenz«.

Das ist nicht verkehrt, 95 Prozent der Eingeladenen sind Vertreter der NATO-Linie: Politiker, außenpolitische Experten, Journalisten aus dem NATO-Umfeld. Dass es auf diesen jährlichen Konferenzen von dieser Linie abweichende Positionen gibt, ist nicht üblich. Es wird dieses Jahr allerdings auch Gegenpositionen geben, zum Beispiel wurde der russische Außenminister Sergej Lawrow eingeladen. Aber angesichts des massiven NATO-Übergewichts ist jetzt schon klar, wie in München die Debatte verlaufen wird.

Seit Jahren wird gegen diese »Sicherheitskonferenzen« protestiert – hat die Politik je erkennen lassen, dass sie die Bedenken der Friedensbewegung ernst nimmt?

Meines Wissens nicht. Das wird auch in Zukunft wohl so sein, wenn es nicht gelingt, das Thema »Frieden« parteipolitisch etwa höher anzusetzen. Es ist vielmehr so, das habe ich von Herrn Ischinger vernommen, dass man die Demonstration gegen die Konferenz als »unnötig« empfindet, als »störend«. In dem Pressegespräch, in dem er das vor einigen Tagen sagte, hat er mich selbst sogar persönlich angegriffen.

Er hat Ihnen als Konferenzteilnehmer geraten, doch besser in einer Jugendherberge statt im Bayerischen Hof zu nächtigen …

Ischinger hat unterschlagen, dass nicht nur er selbst, sondern so gut wie alle Gäste auf Kosten der Steuerzahler untergebracht werden. Unterschlagen hat er auch, dass die gesamte Konferenz im wesentlichen vom Bund finanziert wird. Und wenn der Bund schon »Eigner« dieser Konferenz ist, dann ist das keine Privatveranstaltung mehr; alle Bundestagsparteien haben also auch das Recht, daran teilzunehmen. Wir haben lange darum gekämpft, eine Einladung zu bekommen.

Über uns allen schwebt wie ein Damoklesschwert die Befürchtung, dass sich die Ukraine-Krise noch ganz böse entwickeln kann. Trägt das dazu bei, dass mehr besorgte Demonstranten als in den vergangenen Jahren zu erwarten sind? Vielleicht auch aus anderen europäischen Ländern?

Ich schätze schon, dass mehr Leute nach München kommen als früher, auch aus dem Ausland. Es werden auch viele aus dem Spektrum der Montagsmahnwachen oder des »Friedenswinters« dabei sein, in der Bevölkerung ist das Bewusstsein dafür deutlich gewachsen, dass der Frieden in ganz Europa bedroht ist.

Und was die Zahl der Teilnehmer angeht, sollten wir nicht vergessen, dass in den vergangenen Jahren immer wieder Busse von Friedensaktivisten von der Polizei angehalten wurden, so dass sie nicht mehr rechtzeitig zu Demo kommen konnten.

Ischinger gibt sich in der Öffentlichkeit gerne offen für den Dialog – hat es schon mal das Angebot eines Gesprächs mit NATO-Kritikern wie Ihnen gegeben?

Wohl nicht, davon ist mir nichts bekannt. Warum wird nicht einfach angeboten, dass 50 der 400 Teilnehmer dieser Konferenz von der Friedensbewegung benannt werden? Das gäbe mit Sicherheit eine hochinteressante, kontroverse und konstruktive Debatte.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Februar 2015


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