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Schnöggersburg ist überall

Sachsen-Anhalts LINKE: Bundeswehr bereitet sich in Colbitz-Letzlinger Heide auf Bürgerkrieg vor

Von Hendrik Lasch, Magdeburg *

Ungeachtet auch schwerer Verstöße gegen den Naturschutz baut die Bundeswehr in der Altmark eine Übungsstadt, in der Militärs aus aller Welt schon jetzt Anschauungsunterricht nehmen. »Es geht hier explizit um das Training einer Bürgerkriegssituation«, sagte LINKE-Fraktionschef Wulf Gallert am Montag in Magdeburg.

Anfang November haben auf dem Militärareal die Bauarbeiten für die Übungsstadt »Schnöggersburg« begonnen. In der Übungsstadt »Schnöggersburg« sollen künftig bis zu 1500 Soldaten gleichzeitig ausgebildet werden. Für möglichst viel Realität werden laut Bundeswehr auch eine Altstadt, eine Hochhaussiedlung, ein Industriegebiet und ein Elendsviertel gebaut - mehr als 520 Gebäude. (dpa/nd)

Sachsen-Anhalts Linksabgeordnete würden gern nach »Schnöggersburg« fahren: in die neue Übungsstadt der Bundeswehr in der Colbitz-Letzlinger Heide, für die kürzlich der erste Spatenstich erfolgte. Doch der Besuch in der Siedlung mit 500 Gebäuden samt Autobahn und Flussabschnitt lässt auf sich warten. Es gebe so viele Anfragen von Delegationen selbst aus Japan, teilte die Bundeswehr mit - da müssten sich die Genossen noch ein wenig gedulden. Das internationale Interesse ist für Wulf Gallert, den sachsen-anhaltischen Fraktionschef der LINKEN, nur ein Beleg dafür, dass in der Altmark ein »Pilotprojekt« entsteht.

In dem bereits seit Jahren betriebenen Gefechtsübungszentrum werden schon bisher Soldaten auf Einsätze im Ausland vorbereitet, etwa alle europäischen NATO-Kräfte, die nach Afghanistan gehen. Dass nun aber eine Siedlung samt Flughafen und Slum errichtet wird, belegt für Gallert, dass die Soldaten zunehmend nicht mehr an klassischen militärischen Einsätzen teilnehmen sollen, sondern bei Bürgerkriegen eingesetzt würden - womöglich auch in einem zunehmend von Krisen geschüttelten Europa: »Warum sonst benötigt man sogar eine U-Bahnstation?!«

Diese Perspektiven sorgen bei der LINKEN für eine grundsätzliche Ablehnung des Projektes, ebenso wie die »Kommerzialisierung des Militärischen«, die sich in der Altmark darin zeigt, dass der Übungsplatz zu einem großen Teil von der Rheinmetall Defence AG betrieben wird.

Mit Elendsviertel

In der Übungsstadt »Schnöggersburg« sollen künftig bis zu 1500 Soldaten gleichzeitig ausgebildet werden. Für möglichst viel Realität werden laut Bundeswehr auch eine Altstadt, eine Hochhaussiedlung, ein Industriegebiet und ein Elendsviertel gebaut – mehr als 520 Gebäude.



Allerdings gibt es Kritik an »Schnöggersburg« auch im Detail. Das Vorhaben verstoße massiv gegen den Naturschutz, sagt Uwe-Volkmar Köck, LINKE-Experte für Landesentwicklung. In der Antwort auf eine Große Anfrage räumt die Landesregierung ein, dass mit dem Vorhaben »erhebliche Beeinträchtigungen« von Schutzgebieten verbunden seien. Das Vorhaben hätte deshalb laut Naturschutzgesetz des Bundes »zunächst als unzulässig« eingestuft werden müssen. Doch habe eine »Ausnahmeprüfung« zur Genehmigung geführt. Ironischerweise hatte diese das Bundesministerium für Verteidigung selbst »gebilligt«.

Die für »Schnöggersburg« veranschlagten 100 Millionen Euro werden nach Einschätzung der LINKEN für das Bauvorhaben mit allein 20 Kilometer Straßennetz nicht ausreichen: »Das wird deutlich teurer«, sagt Köck. Zugleich würden alternative Verwendungen des großen Heidegebietes im Norden Sachsen-Anhalts, das seit Jahrzehnten militärisch genutzt wird, erschwert. Von einer »Monokultur des Militärischen« spricht Gallert. Zwar wurde beim »Heidekompromiss« zwischen Land und Bund 1997 vereinbart, dass ein Teil des Areals auch weiterhin Militärgebiet bleibt. Doch der Übungsbetrieb, der künftig nach Erwartung der LINKEN zunehmen wird, erschwert die touristische Nutzung angrenzender Gebiete. Bernd Luge von der Initiative »Offene Heide« rechnet etwa mit Fluglärm durch Hubschrauber und Verschmutzung durch Transportflugzeuge, von denen 20 pro Jahr landen sollen.

Der Widerstand hält sich freilich sehr in Grenzen, was nicht zuletzt an 400 Arbeitsplätzen für Zivilisten auf dem Übungsplatz liegen dürfte. Die »Offene Heide« setzt ihre »Friedenswege« in der Altmark dennoch fort - am ersten Dezembersonntag zum 233. Mal. Im September gab es zudem ein Protestcamp gegen »Schnöggersburg«, bei dem es doppelt so viele Einsatzkräfte wie Demonstranten agierten. Neben 1500 Polizisten waren auch viele Feldjäger der Bundeswehr unterwegs, sagt Luge: »Da hat man die Bekämpfung von Aufständen schon einmal geübt.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 20. November 2012


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