Rüstungsatlas: Panzer aus Hessen
Von Pitt von Bebenburg *
Mehr als hundert Firmen in Hessen stellen Rüstungsgüter her, wie aus dem
"Rüstungsatlas Hessen" hervorgeht, den die Linken jetzt im Landtag vorgestellt haben. Das sind ihrer Ansicht nach mehr als hundert zu viel.
Wenn Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan mit dem Marder-Schützenpanzer unterwegs sind, fahren sie ein Produkt aus Kassel. Benötigen die Truppen einen elektronischen Zeitzünder für die Artillerie, verwenden sie ein Modell aus Maintal.
Mehr als hundert Firmen in Hessen stellen Panzer, Zielfernrohre, Gasmasken und andere Rüstungsgüter her. Das geht aus dem „Rüstungsatlas Hessen“ hervor, den die Fraktion der Linken im Landtag am Freitag (4. März) in Wiesbaden vorgestellt hat. Fraktionschef Willi van Ooyen forderte, „dass wir andere Produkte herstellen müssen“. Ziel sei „die Umstellung von militärischer auf zivile Produktion“.
Friedensratschlag erstellt Atlas
Nach Ansicht der Linken verstößt die Herstellung von Kriegsgerät gegen die hessische Verfassung. Dort heißt es in Artikel 69: „Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“
Erarbeitet wurde der Rüstungsatlas von Lühr Henken. Er gehört gemeinsam mit van Ooyen zu den Sprechern des Bundesausschusses Friedensratschlag, eines Gremiums der Friedensbewegung. Henken sagte, Hintergrund seiner Zusammenstellung seien „die Kriegsführung der USA im Irak und in Afghanistan“ sowie die geplante Bundeswehr-Reform, die zum Ziel habe, „dass sie ihre Kriegsführung noch ausdehnen kann“. Neben den Herstellern und Transporteuren von Rüstungsgütern listet der Atlas Standorte von Bundeswehr und US-Armee in Hessen auf. „Hervorstechendes militärisches Merkmal Hessens überhaupt“ werde das europäische Hauptquartier des US-Heeres sein, das von Heidelberg nach Wiesbaden verlegt wird, sagte Henken. Dessen Kommandozentrum solle im Februar 2012 fertig werden. Von dort würden Soldaten für weltweite US-Militäreinsätze befehligt. Weiter weist Henken auf eine Brigade des amerikanischen Militärgeheimdienstes hin, die von Darmstadt-Griesheim nach Wiesbaden umgezogen sei. Die Amerikaner spionierten Kommunikationsmittel aus, die über Satellit verbreitet würden, etwa Faxe, Mails und Telefonate, heißt es im Atlas.
Ausführlich erwähnt wird in der Publikation auch die Commerzbank, die ihre Zentrale in Frankfurt hat. Sie sei als einzige Bank Mitglied im „Förderkreis Deutsches Heer“, heißt es. Die Bank setze sich für eine engere Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Bundeswehr ein, schreibt die Linksfraktion. Dem Geldinstitut gehe es dabei um „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“, wird ein Vertreter der Bank zitiert.
Link zum Rüstungsatlas: www.ruestungsatlas2011.linksfraktion-hessen.de
* Aus: Frankfurter Rundschau, 5. März 2011
In Hessen wird aufgerüstet
Broschüre der Linksfraktion listet Bundeswehrstandorte und Waffenproduzenten
Von Hans-Gerd Öfinger **
Weil die Rolle Hessens als bedeutender Rüstungsstandort zu wenig bekannt sei, hat die dortige
Linksfraktion jetzt einen
»Rüstungsatlas Hessen« herausgegeben.
25 hessische Bundeswehrstützpunkte und ihre Bedeutung für Auslandseinsätze listet die Broschüre,
weiterhin Einrichtungen der US Army und Industriebetriebe. So beherberge allein Kassel mit
Waffenschmieden wie Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall Landsysteme die Hälfte der
hessischen Rüstungsproduktion. Aus diesen Betrieben stammen Granatwerferwaffen und
Splittermunition ebenso wie Schützenpanzer. Da die Branche mit 5000 Menschen nur 0,17 Prozent
aller hessischen Erwerbstätigen beschäftige, sei eine »sozialverträgliche Konversion von
Rüstungsgütern in zivile Produkte« im Rahmen eines umfassenden Konversionsprogramms
»gesellschaftlich verkraftbar«, erklärte der Autor und Friedensaktivist Lühr Henken bei der
Vorstellung der Broschüre in Wiesbaden.
Unter den hessischen Bundeswehrstandorten steche Stadtallendorf hervor, das den Stab der
Division Spezielle Operationen (DSO) beherberge. Deren Motto laute »einsatzbereit – jederzeit –
weltweit«. Die DSO stelle seit 2002 Soldaten für die ISAF in Afghanistan ab und umfasse Einheiten
wie das Kommando Spezialkräfte (KSK) sowie zwei Luftlandebrigaden. Den Kern der im
nordhessischen Fritzlar angesiedelten Luftbeweglichen Brigade bilde ein
Kampfhubschrauberregiment, das der Aufstandsbekämpfung diene. Auch andere
Bundeswehreinheiten aus dem nördlichen Hessen seien am Krieg in Afghanistan beteiligt, so
Henken.
»Zu einem bevorzugten Anlaufpunkt für die Antikriegsbewegung« werde wohl das Europa-
Hauptquartier des US-Heeres, das in Wiesbaden-Erbenheim entstehe, sagt Henken. Ab 2012 sollen
von dort aus 25 000 US-Soldaten für weltweite Militäreinsätze befehligt. Aber der Friedensaktivist
hat noch zwei weitere »bundesweite Unikate« in Hessen als Ziele für künftige Protestaktionen
ausfindig gemacht. Da Deutschland drittgrößter Rüstungsexporteur sei, könne das in Eschborn bei
Frankfurt ansässige Bundesausfuhramt eine Adresse für die Forderung nach einem Exportstopp
werden. Die Frankfurter Commerzbank sei »als einzige Bank Mitglied im Förderkreis Deutsches
Heer«. Ihr Aufsichtsratsvorsitzender Klaus-Peter Müller wolle deutsche Spitzenmanager »näher an
die Bundeswehr und an Fragen der Sicherheitspolitik heranführen«, wie Henken zitiert.
In den aktuellen Ereignissen in Nordafrika und im Nahen Osten erkennt der Fraktionsvorsitzende
Willi van Ooyen eine »neue Brisanz von Rüstungsexport und skandalösen Militär- und Polizeihilfen
für Folterregime und Despoten«. Er bekräftigte die Forderung nach Konversion und nichtmilitärischen
Konfliktlösungen sowie die Einstellung von Rüstungsexporten. Angesichts drastischer
Kürzungsprogramme sei die Parole »Abrüstung statt Sozialabbau« aktueller denn je.
Hessens Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) hat unterdessen seine für April geplante Reise
nach Saudi-Arabien abgesagt. Dies meldete der Hessische Rundfunk am Freitag. Ende letzter
Woche hatte ihn die Linksfraktion öffentlich gefragt, ob er an seinen ursprünglichen Reiseplänen
festhalte und welche Gesprächspartner er in Saudi-Arabien, Libyen, Marokko und Algerien treffen
wolle.
Ein wichtiger Umschlagplatz im internationalen Waffenhandel ist dem »Spiegel« zufolge ganz
Deutschland. Zwischen den Jahren 2005 und 2009 nutzten 63 Länder die Bundesrepublik als
Transitstation für ihre Rüstungsgeschäfte, berichtete das Magazin und berief sich auf die Antwort der
Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Jan van Aken von den LINKEN.
Insgesamt erteilten die deutschen Behörden dem Bericht zufolge 1046 Genehmigungen für den
Transit von Kriegswaffen. Der Zoll habe in dem genannten Zeitraum außerdem 54 illegale
Lieferungen mit zusammen mehr als 6800 Schuss- und Kriegswaffen beschlagnahmt.
** Aus: Neues Deutschland, 5. März 2011
Dokumentiert: Vorwort des Rüstungsatlas Hessen
Eine Kultur des Friedens statt Militär und Rüstungsproduktion
DIE LINKE, die konsequent gegen Waffenlieferungen in alle Welt
und Kriegseinsätze der Bundeswehr Position bezieht, kann in ihrer
friedenspolitischen Ausrichtung auf Geist und Wortlaut der Hessischen
Verfassung verweisen. In Artikel 69 heißt es unmissverständlich:
„Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung.
Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der
Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“
Um Kriegseinsätze zu ermöglichen und das Geschäft von Rüstungsprofiteuren
nicht zu behindern, auch um militärische Forschung an
den Universitäten und eine Militarisierung in der Außen- und Innenpolitik
voranzutreiben, wird dieser Verfassungsartikel systematisch
ausgehöhlt, ignoriert oder uminterpretiert. Von Standorten in
ganz Hessen aus unterstützt die Bundeswehr Kriege in aller Welt.
Wir brauchen weder Rüstungsproduktion und Bundeswehreinsätze,
noch die wieder verstärkte propagandistische Beeinflussung
der Jugend für den Militarismus durch so genannte Jugendoffiziere.
Was wir brauchen, ist die Entwicklung und Förderung einer umfassenden
„Kultur des Friedens“ (UNESCO).
Die US-Armee errichtet – mit Unterstützung der Hessischen Landesregierung
– das neue US-Hauptquartier Europa in Wiesbaden.
Die Leitidee: „Der Krieg gegen den Terror“ soll mit der Umstrukturierung
„optimiert“ werden. Wiesbaden spielt in den Plänen für
die künftige globale Kriegslogik der US-Army eine zentrale Rolle.
Solche Umstrukturierungen und damit verbundene finanziellen
Belastungen zeigen, dass weltweite Militäreinsätze zur „Normalität“
werden sollen. Gemeinsame Übungen und die Vorbereitung
von Kriegseinsätzen mit NATO-Partnern finden in Hessen z. B. auf
dem Truppenübungsplatz Wildflecken statt. „Weniger Waffen bringen
mehr Sicherheit“, diese einfache Einsicht ist in Deutschland
und in der Welt leider immer noch nicht verbreitet. Bündniserwägungen
und Exportinteressen dürfen keinen Vorrang vor humanitären
Erwägungen haben!
Hessen ist einer der größten Rüstungsstandorte in der BRD. Mit
gut 100 Rüstungsfirmen hat Rüstungsproduktion und -export in
Hessen einen großen Stellenwert. Darunter sind Marktführer wie
Kraus-Maffei-Wegmann in Kassel auf dem Gebiet des Panzerbaus
und Global Player wie Honeywell in Maintal auf dem Gebiet der Militärelektronik.
Zudem finden in Frankfurt internationale Rüstungsmessen
statt.
Das alles wird in der Öffentlichkeit viel zu wenig thematisiert. In
der offiziellen Landespolitik wird das Thema ausgeblendet oder
heruntergespielt. Mit dem Hinweis, Rüstung schaffe doch Arbeitsplätze,
wird es leider auch von Gewerkschaften wenig kritisch hinterfragt.
Als LINKE können wir nur sagen: Arbeitsplätze ja, aber nicht für
den Krieg – Rüstungskonversion, die Umstellung von militärischer
auf zivile Produktion ist das Ziel.
Auf der einen Seite versuchen uns die Vertreterinnen und Vertreter
der anderen Parteien gebetsmühlenartig einzureden, dass die
öffentlichen Schulden reduziert werden müssen (Schuldenbremse),
weil alles andere ungerecht gegenüber unseren Kindern und
Enkeln wäre. Gleichzeitig wird jedoch an deren Zukunft gespart.
DIE LINKE will Geld für Bildung, Gesundheit, öffentliche Dienstleistung
und Infrastruktur des Landes und der Kommunen statt weitere
Milliarden für überflüssige Rüstungsvorhaben und Waffen für
weltweite Kriegseinsätze. Das wäre eine zukunftsorientierte Agenda
für die Zukunft.
Die Erklärungen Deutschlands für Nichtverbreitung von Waffen
und Abrüstung einzutreten, bleiben leere Versprechungen. So betreibt
die Bundesregierung zur Zeit mehr als 25 militärische Großvorhaben
− wie das bekannte Eurofighter-Programm − die den
deutschen Steuerzahler mehr als 50 Milliarden Euro kosten werden.
Zum Vergleich: für den Ausbau eines flächendeckenden, gebührenfreien
KiTa-Netzes würde gerade einmal die Hälfte dieser
Mittel benötigt.
Deutschland ist der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt. Von
2005 auf 2006 sind die Einnahmen aus dem Waffenexport um
1,5 Milliarden Euro auf 7,7 Milliarden Euro gestiegen. Waffen für
eine Milliarde Euro gehen an Länder, die gleichzeitig Entwicklungshilfe
erhalten; mehr als 50 Millionen Euro davon betreffen den Export
von Kleinwaffen und Munition. Hinzu kommt die Lieferung von
Rüstungsbestandteilen, die erst außerhalb Deutschlands zu fertigen
Waffen montiert werden.
DIE LINKE steht für eine konsequente Abrüstungspolitik. Wir brauchen
ein Ende der Rüstungsexporte und ein Ende der Rüstungsexportförderung.
Abrüstung beginnt im eigenen Land. DIE LINKE
spricht sich für die Einrichtung eines Konversionsfonds aus. Dieser
hätte Signalwirkung. Mittels gezielter Zuschüsse für Forschungsprojekte
und Investitionshilfen soll die Rüstungskonversion vorangetrieben
werden. Ziel wäre ein Programm, das die Umstellung
militärischer auf zivile, gesellschaftlich nützliche und umweltverträgliche
Produktion und die Vermarktung der neuen Güter fördert,
soweit beispielsweise mittelständische Unternehmen nicht selbst
dazu in der Lage sind.
DIE LINKE spricht sich ferner dafür aus, an mehreren hessischen
Hochschulen eine Initiative zur Einrichtung eines Forschungs- und
Lehrbereichs ‚Friedenswissenschaften/Konversionsforschung’ zu
ergreifen. Notwendig sind hier eine Bestandsaufnahme der bestehenden
universitären Kompetenzen und Kapazitäten und die
Durchführung eines öffentlichen Hearings, um den konkreten Bedarf
für entsprechende Forschungs- und Lehrbereiche zu ermitteln.
Mit der vorliegenden Broschüre wollen wir über die umfassende
Kriegsvorbereitungspolitik in Hessen informieren und dazu anregen,
Diskussionen über Alternativen zu Rüstungsproduktion und
einer Militarisierung nach Innen und Außen zu führen.
„Abrüstung statt Sozialabbau“ und
„Spart endlich an der Rüstung“
sind die richtigen Schlussfolgerungen – auch was Militär und
Rüstung in Hessen betrifft.
Hier geht es zur ganzen Broschüre: pdf-Datei
Zur Seite "Militärstandorte"
Zur Deutschland-Seite
Zur Bundeswehr-Seite
Zur Seite "Rüstungsproduktion, Rüstungsexport, Rüstung, Abrüstung und Konversion"
Zurück zur Homepage