Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rüstungsatlas: Panzer aus Hessen

Von Pitt von Bebenburg *

Mehr als hundert Firmen in Hessen stellen Rüstungsgüter her, wie aus dem "Rüstungsatlas Hessen" hervorgeht, den die Linken jetzt im Landtag vorgestellt haben. Das sind ihrer Ansicht nach mehr als hundert zu viel.

Wenn Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan mit dem Marder-Schützenpanzer unterwegs sind, fahren sie ein Produkt aus Kassel. Benötigen die Truppen einen elektronischen Zeitzünder für die Artillerie, verwenden sie ein Modell aus Maintal.

Mehr als hundert Firmen in Hessen stellen Panzer, Zielfernrohre, Gasmasken und andere Rüstungsgüter her. Das geht aus dem „Rüstungsatlas Hessen“ hervor, den die Fraktion der Linken im Landtag am Freitag (4. März) in Wiesbaden vorgestellt hat. Fraktionschef Willi van Ooyen forderte, „dass wir andere Produkte herstellen müssen“. Ziel sei „die Umstellung von militärischer auf zivile Produktion“.

Friedensratschlag erstellt Atlas

Nach Ansicht der Linken verstößt die Herstellung von Kriegsgerät gegen die hessische Verfassung. Dort heißt es in Artikel 69: „Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“

Erarbeitet wurde der Rüstungsatlas von Lühr Henken. Er gehört gemeinsam mit van Ooyen zu den Sprechern des Bundesausschusses Friedensratschlag, eines Gremiums der Friedensbewegung. Henken sagte, Hintergrund seiner Zusammenstellung seien „die Kriegsführung der USA im Irak und in Afghanistan“ sowie die geplante Bundeswehr-Reform, die zum Ziel habe, „dass sie ihre Kriegsführung noch ausdehnen kann“. Neben den Herstellern und Transporteuren von Rüstungsgütern listet der Atlas Standorte von Bundeswehr und US-Armee in Hessen auf. „Hervorstechendes militärisches Merkmal Hessens überhaupt“ werde das europäische Hauptquartier des US-Heeres sein, das von Heidelberg nach Wiesbaden verlegt wird, sagte Henken. Dessen Kommandozentrum solle im Februar 2012 fertig werden. Von dort würden Soldaten für weltweite US-Militäreinsätze befehligt. Weiter weist Henken auf eine Brigade des amerikanischen Militärgeheimdienstes hin, die von Darmstadt-Griesheim nach Wiesbaden umgezogen sei. Die Amerikaner spionierten Kommunikationsmittel aus, die über Satellit verbreitet würden, etwa Faxe, Mails und Telefonate, heißt es im Atlas.

Ausführlich erwähnt wird in der Publikation auch die Commerzbank, die ihre Zentrale in Frankfurt hat. Sie sei als einzige Bank Mitglied im „Förderkreis Deutsches Heer“, heißt es. Die Bank setze sich für eine engere Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Bundeswehr ein, schreibt die Linksfraktion. Dem Geldinstitut gehe es dabei um „die Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“, wird ein Vertreter der Bank zitiert.

Link zum Rüstungsatlas: www.ruestungsatlas2011.linksfraktion-hessen.de

* Aus: Frankfurter Rundschau, 5. März 2011


In Hessen wird aufgerüstet

Broschüre der Linksfraktion listet Bundeswehrstandorte und Waffenproduzenten

Von Hans-Gerd Öfinger **


Weil die Rolle Hessens als bedeutender Rüstungsstandort zu wenig bekannt sei, hat die dortige Linksfraktion jetzt einen »Rüstungsatlas Hessen« herausgegeben.

25 hessische Bundeswehrstützpunkte und ihre Bedeutung für Auslandseinsätze listet die Broschüre, weiterhin Einrichtungen der US Army und Industriebetriebe. So beherberge allein Kassel mit Waffenschmieden wie Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall Landsysteme die Hälfte der hessischen Rüstungsproduktion. Aus diesen Betrieben stammen Granatwerferwaffen und Splittermunition ebenso wie Schützenpanzer. Da die Branche mit 5000 Menschen nur 0,17 Prozent aller hessischen Erwerbstätigen beschäftige, sei eine »sozialverträgliche Konversion von Rüstungsgütern in zivile Produkte« im Rahmen eines umfassenden Konversionsprogramms »gesellschaftlich verkraftbar«, erklärte der Autor und Friedensaktivist Lühr Henken bei der Vorstellung der Broschüre in Wiesbaden.

Unter den hessischen Bundeswehrstandorten steche Stadtallendorf hervor, das den Stab der Division Spezielle Operationen (DSO) beherberge. Deren Motto laute »einsatzbereit – jederzeit – weltweit«. Die DSO stelle seit 2002 Soldaten für die ISAF in Afghanistan ab und umfasse Einheiten wie das Kommando Spezialkräfte (KSK) sowie zwei Luftlandebrigaden. Den Kern der im nordhessischen Fritzlar angesiedelten Luftbeweglichen Brigade bilde ein Kampfhubschrauberregiment, das der Aufstandsbekämpfung diene. Auch andere Bundeswehreinheiten aus dem nördlichen Hessen seien am Krieg in Afghanistan beteiligt, so Henken.

»Zu einem bevorzugten Anlaufpunkt für die Antikriegsbewegung« werde wohl das Europa- Hauptquartier des US-Heeres, das in Wiesbaden-Erbenheim entstehe, sagt Henken. Ab 2012 sollen von dort aus 25 000 US-Soldaten für weltweite Militäreinsätze befehligt. Aber der Friedensaktivist hat noch zwei weitere »bundesweite Unikate« in Hessen als Ziele für künftige Protestaktionen ausfindig gemacht. Da Deutschland drittgrößter Rüstungsexporteur sei, könne das in Eschborn bei Frankfurt ansässige Bundesausfuhramt eine Adresse für die Forderung nach einem Exportstopp werden. Die Frankfurter Commerzbank sei »als einzige Bank Mitglied im Förderkreis Deutsches Heer«. Ihr Aufsichtsratsvorsitzender Klaus-Peter Müller wolle deutsche Spitzenmanager »näher an die Bundeswehr und an Fragen der Sicherheitspolitik heranführen«, wie Henken zitiert.

In den aktuellen Ereignissen in Nordafrika und im Nahen Osten erkennt der Fraktionsvorsitzende Willi van Ooyen eine »neue Brisanz von Rüstungsexport und skandalösen Militär- und Polizeihilfen für Folterregime und Despoten«. Er bekräftigte die Forderung nach Konversion und nichtmilitärischen Konfliktlösungen sowie die Einstellung von Rüstungsexporten. Angesichts drastischer Kürzungsprogramme sei die Parole »Abrüstung statt Sozialabbau« aktueller denn je.

Hessens Wirtschaftsminister Dieter Posch (FDP) hat unterdessen seine für April geplante Reise nach Saudi-Arabien abgesagt. Dies meldete der Hessische Rundfunk am Freitag. Ende letzter Woche hatte ihn die Linksfraktion öffentlich gefragt, ob er an seinen ursprünglichen Reiseplänen festhalte und welche Gesprächspartner er in Saudi-Arabien, Libyen, Marokko und Algerien treffen wolle.

Ein wichtiger Umschlagplatz im internationalen Waffenhandel ist dem »Spiegel« zufolge ganz Deutschland. Zwischen den Jahren 2005 und 2009 nutzten 63 Länder die Bundesrepublik als Transitstation für ihre Rüstungsgeschäfte, berichtete das Magazin und berief sich auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Jan van Aken von den LINKEN.

Insgesamt erteilten die deutschen Behörden dem Bericht zufolge 1046 Genehmigungen für den Transit von Kriegswaffen. Der Zoll habe in dem genannten Zeitraum außerdem 54 illegale Lieferungen mit zusammen mehr als 6800 Schuss- und Kriegswaffen beschlagnahmt.

** Aus: Neues Deutschland, 5. März 2011

Dokumentiert: Vorwort des Rüstungsatlas Hessen

Eine Kultur des Friedens statt Militär und Rüstungsproduktion

DIE LINKE, die konsequent gegen Waffenlieferungen in alle Welt und Kriegseinsätze der Bundeswehr Position bezieht, kann in ihrer friedenspolitischen Ausrichtung auf Geist und Wortlaut der Hessischen Verfassung verweisen. In Artikel 69 heißt es unmissverständlich:
„Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Krieg ist geächtet. Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.“

Um Kriegseinsätze zu ermöglichen und das Geschäft von Rüstungsprofiteuren nicht zu behindern, auch um militärische Forschung an den Universitäten und eine Militarisierung in der Außen- und Innenpolitik voranzutreiben, wird dieser Verfassungsartikel systematisch ausgehöhlt, ignoriert oder uminterpretiert. Von Standorten in ganz Hessen aus unterstützt die Bundeswehr Kriege in aller Welt.

Wir brauchen weder Rüstungsproduktion und Bundeswehreinsätze, noch die wieder verstärkte propagandistische Beeinflussung der Jugend für den Militarismus durch so genannte Jugendoffiziere. Was wir brauchen, ist die Entwicklung und Förderung einer umfassenden „Kultur des Friedens“ (UNESCO).

Die US-Armee errichtet – mit Unterstützung der Hessischen Landesregierung – das neue US-Hauptquartier Europa in Wiesbaden. Die Leitidee: „Der Krieg gegen den Terror“ soll mit der Umstrukturierung „optimiert“ werden. Wiesbaden spielt in den Plänen für die künftige globale Kriegslogik der US-Army eine zentrale Rolle. Solche Umstrukturierungen und damit verbundene finanziellen Belastungen zeigen, dass weltweite Militäreinsätze zur „Normalität“ werden sollen. Gemeinsame Übungen und die Vorbereitung von Kriegseinsätzen mit NATO-Partnern finden in Hessen z. B. auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken statt. „Weniger Waffen bringen mehr Sicherheit“, diese einfache Einsicht ist in Deutschland und in der Welt leider immer noch nicht verbreitet. Bündniserwägungen und Exportinteressen dürfen keinen Vorrang vor humanitären Erwägungen haben!

Hessen ist einer der größten Rüstungsstandorte in der BRD. Mit gut 100 Rüstungsfirmen hat Rüstungsproduktion und -export in Hessen einen großen Stellenwert. Darunter sind Marktführer wie Kraus-Maffei-Wegmann in Kassel auf dem Gebiet des Panzerbaus und Global Player wie Honeywell in Maintal auf dem Gebiet der Militärelektronik. Zudem finden in Frankfurt internationale Rüstungsmessen statt.

Das alles wird in der Öffentlichkeit viel zu wenig thematisiert. In der offiziellen Landespolitik wird das Thema ausgeblendet oder heruntergespielt. Mit dem Hinweis, Rüstung schaffe doch Arbeitsplätze, wird es leider auch von Gewerkschaften wenig kritisch hinterfragt.

Als LINKE können wir nur sagen: Arbeitsplätze ja, aber nicht für den Krieg – Rüstungskonversion, die Umstellung von militärischer auf zivile Produktion ist das Ziel.

Auf der einen Seite versuchen uns die Vertreterinnen und Vertreter der anderen Parteien gebetsmühlenartig einzureden, dass die öffentlichen Schulden reduziert werden müssen (Schuldenbremse), weil alles andere ungerecht gegenüber unseren Kindern und Enkeln wäre. Gleichzeitig wird jedoch an deren Zukunft gespart.

DIE LINKE will Geld für Bildung, Gesundheit, öffentliche Dienstleistung und Infrastruktur des Landes und der Kommunen statt weitere Milliarden für überflüssige Rüstungsvorhaben und Waffen für weltweite Kriegseinsätze. Das wäre eine zukunftsorientierte Agenda für die Zukunft.

Die Erklärungen Deutschlands für Nichtverbreitung von Waffen und Abrüstung einzutreten, bleiben leere Versprechungen. So betreibt die Bundesregierung zur Zeit mehr als 25 militärische Großvorhaben − wie das bekannte Eurofighter-Programm − die den deutschen Steuerzahler mehr als 50 Milliarden Euro kosten werden. Zum Vergleich: für den Ausbau eines flächendeckenden, gebührenfreien KiTa-Netzes würde gerade einmal die Hälfte dieser Mittel benötigt.

Deutschland ist der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt. Von 2005 auf 2006 sind die Einnahmen aus dem Waffenexport um 1,5 Milliarden Euro auf 7,7 Milliarden Euro gestiegen. Waffen für eine Milliarde Euro gehen an Länder, die gleichzeitig Entwicklungshilfe erhalten; mehr als 50 Millionen Euro davon betreffen den Export von Kleinwaffen und Munition. Hinzu kommt die Lieferung von Rüstungsbestandteilen, die erst außerhalb Deutschlands zu fertigen Waffen montiert werden.

DIE LINKE steht für eine konsequente Abrüstungspolitik. Wir brauchen ein Ende der Rüstungsexporte und ein Ende der Rüstungsexportförderung. Abrüstung beginnt im eigenen Land. DIE LINKE spricht sich für die Einrichtung eines Konversionsfonds aus. Dieser hätte Signalwirkung. Mittels gezielter Zuschüsse für Forschungsprojekte und Investitionshilfen soll die Rüstungskonversion vorangetrieben werden. Ziel wäre ein Programm, das die Umstellung militärischer auf zivile, gesellschaftlich nützliche und umweltverträgliche Produktion und die Vermarktung der neuen Güter fördert, soweit beispielsweise mittelständische Unternehmen nicht selbst dazu in der Lage sind.

DIE LINKE spricht sich ferner dafür aus, an mehreren hessischen Hochschulen eine Initiative zur Einrichtung eines Forschungs- und Lehrbereichs ‚Friedenswissenschaften/Konversionsforschung’ zu ergreifen. Notwendig sind hier eine Bestandsaufnahme der bestehenden universitären Kompetenzen und Kapazitäten und die Durchführung eines öffentlichen Hearings, um den konkreten Bedarf für entsprechende Forschungs- und Lehrbereiche zu ermitteln. Mit der vorliegenden Broschüre wollen wir über die umfassende Kriegsvorbereitungspolitik in Hessen informieren und dazu anregen, Diskussionen über Alternativen zu Rüstungsproduktion und einer Militarisierung nach Innen und Außen zu führen.

„Abrüstung statt Sozialabbau“ und „Spart endlich an der Rüstung“ sind die richtigen Schlussfolgerungen – auch was Militär und Rüstung in Hessen betrifft.

Hier geht es zur ganzen Broschüre: pdf-Datei




Zur Seite "Militärstandorte"

Zur Deutschland-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Rüstungsproduktion, Rüstungsexport, Rüstung, Abrüstung und Konversion"

Zurück zur Homepage