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Das große Zittern der Bürgermeister

Zu den bevorstehenden Truppenreduzierungen der USA in Deutschland

Von Gerhard Piper*

Gegenwärtig besitzen die US-Streitkräfte mindestens 6000 Militärbasen in den USA und über 700 Stützpunkte in 130 Staaten. Alle paar Jahre stehen die amerikanischen Streitkräfte stehen vor einer neuen Welle von Standortschließungen, weil die US-Regierung ihre weltweite Militärstruktur an Veränderungen der internationalen Sicherheitslage anpaßt. "Base Realignment and Closure" (BRAC) heißt diese weltweite Truppenverschiebung im Pentagon.

Außerhalb des Pentagons weiß niemand so genau, wieviele Basen die US-Streitkräfte tatsächlich unterhalten. Der aktuelle "Base Structure Report" des Pentagons nennt eine Zahl von 6700 Standorten. Hinzu kommen die so genannten temporären US-Militärstützpunkte in ex-Jugoslawien, dem Irak und Afghanistan; auch zahlreiche Basen der Spezialeinheiten und Geheimdienstinstallationen fehlen in der amtlichen Auflistung des Pentagon. Allein im Irak sind die US-Truppen auf schätzungsweise 125 "Camps" verteilt.

Das Geflecht an US-Militärbasen wurde seit dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich aufgebaut. Wo immer sich dem Pentagon eine Möglichkeit bot, eine Kaserne zu eröffnen, wurden Truppen stationiert. Später blieben viele Militäranlagen auch dann noch erhalten, wenn es für sie keinen aktuellen Bedarf mehr gab. Aktuelle Änderungen der US-Militärpolitik hatten so kaum Auswirkungen auf das weltweite US-Stützpunktsystem. Dies soll sich mit der neuen Interventionspolitik nun ändern.

Die aktuelle Runde zur Truppenverlegung wurde bereits im Dezember 2001 eingeläutet aber vom Kongreß im Jahre 2003 unterbrochen: Der Krieg gegen den Terror drängte alle weiterreichenden Fragen in den Hintergrund. Nun wird die Frage der Standortschließungen erneut aufgerollt. Im Januar 2004 forderte das US-Verteidigungsministerium alle Oberbefehlshaber der weltweit verstreuten Regionalkommandos auf, die Militärstützpunkte in ihrem Gebiet in den kommenden Monaten einer Inventur zu unterziehen. Im März wurden die endgültigen Kriterien zur militärischen und politischen Standortbewertung festgelegt.

Nach dem offiziellen Zeitplan muß das Pentagon seine Empfehlungen bis zum 15. Mai 2005 einer unabhängigen Regierungskommission vorlegen, die vier Monate Zeit hat, die Beschlußvorlage im Detail zu prüfen. Anschließend muß der US-Präsident - George Bush oder John Kerry - bis zum 7. November 2005 endgültig entschieden, welche Basen geschlossen, verkleinert oder vergrößert werden sollen. Bis zu 25 Prozent der US-Militärbasen gelten heute als militärisch überflüssig und werden wahrscheinlich aufgelöst.

Gerade die Bundesrepublik wäre von den geplanten Truppenverlegungen betroffen, schließlich unterhalten die Amerikaner hierzulande noch 73 Standorte mit 310 Militärobjekten - Kasernen, Radartürme und Funkanlagen etc. Damit befinden sich über sechzig Prozent der US-Militärinstallationen in Europa allein in Deutschland. 70.000 US-Soldaten sind hierzulande stationiert, darunter das V. Korps in Heidelberg. Dessen 1. Panzerdivision aus Wiesbaden hat gerade ihren Irakeinsatz beendet, sie wird dort durch die 1. Infanteriedivision aus Würzburg ersetzt. Unter den gefallenen US-Soldaten im Irak waren nicht wenige in Deutschland stationiert.

War zunächst von einem Abzug von 15.000 Soldaten die Rede, wird jetzt eine Größenordnung von 35.000 Mann genannt. Extreme Überlegungen innerhalb des Pentagons fordern gar einen Abzug von bis zu 48.000 GIs aus Deutschland. Seit November letzten Jahres reisen amerikanische Delegationen rund um den Globus, um sich mit den Regierungen ihrer Partnerländer zu beraten. Wenn der US-Präsident seine Entscheidung über die Standortschließungen getroffen hat, beginnt für viele Bürgermeister angesichts klammer Gemeindekassen das große Zittern. Betroffen sind insbesondere US-Standorte in Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern.

Bisher ist durchgesickert, daß das Hauptquartier des US-Kommandos Europa (EUCOM) in Stuttgart ebenso erhalten bleibt, wie die nachgeordneten Kommandos der US-Army in Heidelberg und der US-Air Force in Ramstein. Diese Hauptquartiere sind mit ihren komplizierten Computer- und Funkanlagen eine zu teure Infrastruktur, um sie einfach aufzugeben. Auch die logistischen Basen an der Nordseeküste bleiben erhalten. Der US-Fliegerhorst am Stuttgarter Flughafen soll erweitert werden, um eine Sondereinheit mit Kampfhubschraubern aufzunehmen. Auf der anderen Seite gilt als sicher, das die US-Kasernen in Bad Nauheim, Frankfurt und Giessen geschlossen werden. Der US-Fliegerhorst in Frankfurt wird dichtgemacht, um einem zivilen Ausbau des Rhein-Main-Flughafens nicht im Wege zu stehen. Hier müssen ausnahmsweise mal die Militärs den Zivilisten weichen, während es ansonsten eher umgekehrt ist.

Solange nicht klar ist, welche Standorte geschlossen werden, ist auch noch nicht vorherzusehen, wohin die abziehenden Truppen verlegt werden sollen. Es wird vermutet, daß ein Teil der Einheiten in die USA zurückgezogen werden. Wenn eine Militäranlage in den USA verkleinert werden soll, könnte durch Truppen aus Europa die drohende Lücke gefüllt werden, um zivile Arbeitsplätze vor Ort zu sichern. Dies fordern US-Abgeordnete, die sich so ihre Wiederwahl in ihrem Wahlkreis sichern wollen. So könnte das V. Korps aus Deutschland nach Fort Lewis im US-Bundesstaat Washington zurückgezogen werden, nachdem das dort stationierte I. Korps nach Camp Zama in Japan verlegt wird, um die dortige 8. Armee abzulösen.

Bei diesem Kasernenkarussell könnten anderere Einheiten von West- nach Osteuropa verschoben werden. Polen, Tschechien und Ungarn haben dazu mit ihrem NATO-Beitritt die politischen Voraussetzungen geschaffen; in Bulgarien genehmigte das Parlament im Dezember letzten Jahres eine mögliche Stationierung von US-Truppen im Land. Als neue US-Standorte sind u.a. der polnische Truppenübungsplatz Bydgoszcz und der rumänische Flottenstützpunkt Constanza im Gespräch. Von einer Stationierung in Osteuropa verspricht sich die US-Regierung verschiedene Vorteile: eine nähere Anbindung der "neuen Demokratien" an den Westen. Außerdem will das Pentagon in Zukunft mit seinem weltweiten Stationierungskonzept kleinere, aber hoch-mobile Einheiten näher an potentielle Einsatzgebiete heranbringen, um gemäß der Bush-Doktrin frühzeitig intervenieren zu können. Dazu sollen die neuen Kasernen in der Nähe von Truppenübungsplätzen und Flughäfen errichtet werden, damit die Militäreinheiten ständig einsatzbereit sind und kurzfristig verlegt werden können.

Andererseits bietet die gegenwärtige BRAC-Verschieberunde auch Chancen für die Friedensbewegung: Bürgerinitiativen, die gegen die Stationierung von US-Truppen an ihrem Wohnort protestieren, können nun auf einen Erfolg hoffen. Zu den offiziellen Kriterien zur Bewertung der einzelnen Standorte gehören nicht nur deren Bedeutung für die Operationsfähigkeit der US-Truppen, die zukünftigen Möglichkeiten zum Ausbau der Infrastruktur oder der Kostenfaktor, auch die Akzeptanz der Öffentlichkeit und Umweltschutzauflagen spielen eine Rolle. Bei zweitrangigen Militärkomplexen können lautstarke Bürgerproteste den Ausschlag dafür geben, ob die Truppen abziehen oder nicht.

* Gerhard Piper ist Mitarbeiter im Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS);
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine Kurzfassung eines Referats, das der Autor auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) im Februar 2004 gehalten hat.
e-mail: gerhard.piper@bits.de



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