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Wie Beirut vor dem Hoftor

Rund um den geschützten Zeitzer Forst wächst der Widerstand gegen einen Schießplatz der Bundeswehr

Von Hendrik Lasch, Lonzig *

Der Zeitzer Forst ist das größte Waldgebiet im Süden Sachsen-Anhalts – für die Anwohner aber in weiten Teilen tabu: Die Bundeswehr betreibt einen Übungsplatz. Dessen geplanter Ausbau bringt die Bürger in Rage.

Wer nach Lonzig reist, fährt durch eine ausgeräumte Landschaft. Um Gera und Zeitz hügeln Felder bis zum Horizont. Kaum einmal stellen sich ein Streifen Hecke oder ein Gehölz dem Blick und dem Wind in den Weg. Dann jedoch taucht der Reisende in ein Dickicht ein: den Zeitzer Forst. Auf 1800 Hektar wachsen Eichen und Hainbuchen, Knabenkraut und Heidenelke. In den Kronen der Bäume leben gut ein Dutzend Fledermausarten. Der Forst ist Landschaftsschutzgebiet und ein grünes Paradies – aus dem Anwohner aber in weiten Teilen vertrieben sind: »Grenze des militärischen Sicherheitsbereiches«, ist auf weißen Tafeln zu lesen.

Panzer rasierten Zäune

Seit einem halben Jahrhundert gehört der Zeitzer Forst dem Militär. Zunächst übte die Sowjetarmee hier in Zeiten des Kalten Kriegs für den heißen Ernstfall. Raketen pfiffen, Hubschrauber dröhnten, Panzer donnerten nachts durch Dörfer. »Manchmal dachte man, der Krieg geht los«, sagt Lothar Müller, ein alter Lonziger. »Kein Meter Zaun, den sie mir nicht kaputt gefahren haben«, sagt Hans Rauh, ein Nachbar. Für die Menschen in den Dörfern war der Wald offiziell tabu. Nur Wagemutige gingen am Wochenende dennoch in die Pilze.

Als 1989 der Kalte Krieg endete, war der Spuk vorbei; drei Jahre später zog die Sowjetarmee ab. Allerdings währte die Freude der Anwohner nur kurz. »Wir waren froh, als die Russen weg waren«, sagt Müller, »da kamen die.« Mit »die« ist die Bundeswehr gemeint, die 550 Hektar Forst quasi im Handstreich übernahm. Kai Hadlich, der in Lonzig aufwuchs, rollt eine Karte aus, auf der das militärische Sperrgebiet markiert ist: von A-Gestell bis C-Gestell, vom Wasserteich bis an die Straße nach Breitenbach. Zwar fliegen keine Hubschrauber mehr. Doch geschossen wird weiter, und auch Panzer rollen noch – wenngleich nicht mehr durch die Dörfer: Aus Richtung Gera wurde die Zufahrtstraße ausgebaut, die Anwohner den »NATO-Highway« nennen.

Die Ertüchtigung der Straße war, wie sich zeigen sollte, nur ein Anfang. 2011 wurden Pläne publik, eine alte Schießanlage in großem Stil auszuweiten. Die Soldaten sollen künftig auf 26 Schießbahnen üben können. Aus Pistolen und Maschinengewehren, im Liegen und von Fahrzeugen sollen bis zu 28 800 Schuss pro Tag gefeuert werden können; nachts sind 9600 Schuss erlaubt. Die Genehmigung wurde erteilt, obwohl der Forst seit 2004 Natur- und Vogelschutzgebiet ist. Der Naturschutz steht den Plänen aber nach Ansicht der Behörden ebenso wenig entgegen wie der zu erwartende Lärm. In den umliegenden Dörfern, die teils nur gut einen Kilometer vom Schießplatz entfernt sind, ahnt man Schlimmes. Knut Kahnt, der vor einiger Zeit nach Lonzig gezogen ist, sagt in Anspielung auf die lange vom Bürgerkrieg geprägte Hauptstadt Libanons: »Keiner würde freiwillig nach Beirut ziehen.« In Lonzig, fügt er sarkastisch an, »haben wie Beirut bald vor dem Hoftor«. Auf die Bundeswehr sauer sind die Anwohner indes schon lange vor dem ersten Schuss. Obwohl die Genehmigung für den Schießplatz bereits im Juni 2010 gestellt und im Januar 2011 vom Landratsamt des Burgenlandkreises erteilt wurde, erfuhren die Bürger davon erst später – aus dem Kleingedruckten im Amtsblatt.

Treibjagd im Sperrgebiet

Im Wald werden derweil Tatsachen geschaffen: Zufahrten würden geschottert und asphaltiert, Bäume gefällt, berichtet Kai Hadlich. Zugleich greifen die Feldjäger immer rigoroser gegen Wanderer und Reiter, Pilzsucher und Hundebesitzer durch. Von 2004 bis 2009 durften sie wenigstens zu Zeiten in den Forst, in denen nicht geübt wurde. Das ist vorbei. »Die Bundeswehr wirft uns jetzt sogar an Wochenenden raus«, sagt Lothar Müller: »Das haben die Russen nie gemacht.« Als Grund wird angeführt, dass viele Munitionsreste im Boden liegen. Um so verwunderter registriert man in der Gegend, dass in dem Sperrgebiet Treibjagden abgehalten werden.

Es sind solche Umstände, die die Stimmung in den Dörfern kippen lassen. Anwohner gründeten eine Bürgerinitiative mit dem Namen »Kein Schuss im Zeitzer Forst«. Erst der damit ausgelöste Druck bewog die Bundeswehr, ihr Vorhaben auch öffentlich zu erläutern. Zufrieden sind die Bürger nicht. »Es gärt zunehmend«, schrieb die BI unlängst an den Chef des Landeskommandos Sachsen- Anhalt: Die »bisher neutrale Einstellung « zur Bundeswehr kippe in eine »eher ablehnende Haltung«.

Dabei geht es zumindest der BI – im Gegensatz etwa zur Initiative »Offene Heide«, die sich im Norden von Sachsen-Anhalt gegen ein großes Übungszentrum in der Altmark wehrt – nicht um die grundsätzliche Ablehnung militärischer Aktivitäten oder um strikten Pazifismus. »Den Satz, dass alle Soldaten Mörder sind, würden wir nicht unterschreiben«, betont Knut Kahnt, Mitglied in der BI. Die Bundeswehr könne im Forst bleiben, sagt er – zu Bedingungen, wie sie bis 2009 herrschten: »Wir wollen die Möglichkeit, den Wald zu betreten. « Den alten Schießplatz toleriere man, »auch wenn wir nicht begeistert sind«. Den Ausbau aber halte man für überflüssig.

Grund dafür ist nicht zuletzt, dass der Nutzen den Schaden nicht aufwiegt. Die Bundeswehr erklärt den Anwohnern, im Zeitzer Forst würden Soldaten auf einen Einsatz in Afghanistan vorbereitet. Allerdings soll der neue Schießplatz erst 2013 fertig sein, sagt Kai Hadlich: »2014 aber zieht die Bundeswehr endgültig aus Afghanistan ab.« Zudem sei die Anlage geplant worden, bevor die Bundeswehrreform beschlossen wurde. Sie sieht unter anderem die Verkleinerung des Panzerpionierbataillons in Gera vor, das bisher im Zeitzer Forst übt – allerdings nicht nur dort: Die Soldaten fahren auch auf den deutlich größeren Übungsplatz im thüringischen Ohrdruf, der ebenfalls ausgebaut wird. Man sei dorthin aber eine Stunde länger unterwegs als in den Zeitzer Forst, argumentiert die Bundeswehr. Eine dürftige Begründung für einen gut zehn Millionen Euro teuren Schießplatz, sagt Knut Kahnt: »So viele Einschränkungen und Schäden im Wald – und das alles für eine Stunde Fahrzeit?!«

Genehmigung auf Eis

In der Politik finden die Anwohner nur bedingt Rückhalt. Die LINKE beantragte kürzlich im Landtag einen Ausbaustopp. Zum einen sei man grundsätzlich dafür, Konflikte nicht militärisch zu lösen, sagt der Abgeordnete Frank Thiel; zum anderen sei die Bundeswehr, anders als oft behautet, »kein Faktor für nachhaltige Entwicklung«: Die Wirtschaftskraft von Kommunen steige »nicht durch die Produktion leerer Patronenhülsen«. Sein SPDKollege Rüdiger Erben aber sagt, man könne Truppenteile wie die in Gera stationierten Pioniere und die Sanitäter aus Weißenfels nicht zur Hilfe etwa bei Hochwasser heranziehen, ihnen aber andererseits den Platz zum Üben verwehren. Als »standortnahe Übungsmöglichkeit « ist der Forst laut Erben »geeignet«. Dem LINKE-Antrag stimmten nur die Grünen zu; die CDU / SPD-Koalition lehnte ihn ab.

Trotzdem stockt das Vorhaben: Die Genehmigung weist, so Erben, »dem Vernehmen nach schwerwiegende Mängel auf« und liegt auf Eis. Auf Widersprüche von BI und Naturschützern hin muss nachgebessert werden; so soll die Bundeswehr bis zum Frühjahr ein erneutes Schallschutzgutachten vorlegen. Bisher hält sie an ihren Plänen aber fest – nicht zuletzt, so vermutet Hans Rauh, weil so der Standort Gera auf Jahre gesichert würde. »Sie bestehen auf der Sache «, sagt der Rentner, »wie auf einem nutzlosen Spielzeug.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 28. Dezember 2012


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