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"Das ist doch schizophren"

In die Hersteller von Streumunition wird munter investiert - trotz eines internationalen Abkommens

Von Jenny Becker *

Selbst Finanzunternehmen aus Ländern, die eine Konvention gegen Streumunition unterzeichnet haben, investieren noch immer in die Produzenten dieser geächteten Waffen. Darunter sind der Allianz-Konzern und die Deutsche Bank. Das belegt eine Studie von Nichtregierungsorganisationen. Sie fordern ein gesetzliches Investitionsverbot.

Streumunition ist international geächtet und doch investieren weltweit noch 137 Finanzunternehmen in die Produzenten dieser verbotenen Waffen. Darunter sind auf deutscher Seite auch die Allianz und die Deutsche Bank. Zu diesem Ergebnis kam die Studie »Weltweite Investitionen in Streumunition - eine gemeinsame Verantwortung« von der niederländischen IKV Pax Christi und der belgischen FairFin, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Im Untersuchungszeitraum von Mai 2009 bis Ende März 2012 flossen 43 Milliarden US-Dollar an Unternehmen, die auch Streumunition herstellen. In einer Vorgängerstudie von 2009 waren es 20 Milliarden US-Dollar.

Streumunition fordert noch immer weltweit Opfer. Die abgeworfenen Geschosse setzen oft Hunderte kleiner Submunitionen frei, die sich auf eine Fläche verteilen, so groß wie mehrere Fußballfelder. Die metallglänzenden Kugeln verleiten vor allem Kinder zum Zugreifen - mit verheerenden Folgen. Seit 2010 ist eine internationale Konvention in Kraft, die Einsatz, Produktion, Beschaffung und Transfer von Streumunition verbietet. 111 Länder haben sie unterzeichnet, 71 ratifiziert, darunter Deutschland. Obwohl die Konvention es verbietet, Produktion und Entwicklung von Streumunition zu unterstützen, ist ein direktes Investitionsverbot reine Auslegungssache. Die Aktivisten der Nichtregierungsorganisationen (NGO) forderten die Unterzeichnerstaaten daher auf, auch Investitionen gesetzlich zu verbieten und klare Richtlinien für Finanzdienstleister zu erlassen. »In völkerrechtlich verbotene Waffen zu investieren, ist unter ethischen Gesichtspunkten nicht zu akzeptieren und es ist an der Zeit, dass Regierungen und Banken diesen ›explosiven Investments‹ ein Ende bereiten«, sagte Roos Boer von IKV Pax Christi, Koautorin der Studie.

Von den 137 Finanzunternehmen in der sogenannten »Hall of Shame« (Halle der Schande) stammen die meisten aus den USA, die der Konvention nicht beigetreten sind. Darunter sind führende Kreditgeber und Investoren wie Citigroup, JP Morgan Chase und Goldman Sachs. Doch 27 andere sind aus Unterzeichnerstaaten, davon 20 aus Ländern, die das Abkommen bereits ratifiziert haben: Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und Großbritannien. Thomas Küchenmeister, Koordinator der Kampagne Facing Finance, bezifferte die Geschäftsbeziehungen von Allianz und Deutscher Bank zu Herstellern von Streumunition auf 550 Millionen US-Dollar, indem sie Kredite vergaben oder Anteile hielten.

Zugleich rückt die Studie erfreuliche Entwicklungen ins Licht. In einer »Hall of Fame« (Ruhmeshalle) werden 27 Finanzunternehmen genannt, die Regeln erlassen haben, um Geschäfte mit Herstellern von Streumunition zu unterbinden. Erstmals dabei ist die WestLB, im Vergleich zu 2011 gab es vier Neulinge in der Kategorie. Die Commerzbank schaffte es erneut nur in die Liste der »Runners-Up«, derjenigen, die den richtigen Weg eingeschlagen haben, deren Regelwerk jedoch Schlupflöcher aufweist. So hat die französische Crédit Agricole zwar Richtlinien für ein Investitionsverbot erlassen, war unlängst aber in Kreditgeschäfte mit Lockheed Martin verwickelt, einem der acht Hauptproduzenten von Streumunition.

Mit Blick auf Deutschland, wo es kein Investitionsverbot gibt, betonten die NGO das Engagement von anderen Staaten. Neben Belgien, Irland, Luxemburg und Neuseeland hat in diesem Jahr Italien ein entsprechendes Gesetz erlassen. Insgesamt drückten 21 Länder die Ansicht aus, dass Investitionen in Streumunitionsproduzenten durch die Konvention verboten sind. In der Schweiz, den Niederlanden und Norwegen gibt es parlamentarische Initiativen für eine gesetzliche Regelung. In Deutschland scheiterte ein Antrag der Opposition im Parlament im März an den Regierungsparteien.

Gerhard Schick, finanzpolitischer Sprecher der Grünen, zeigte sich enttäuscht. Man könne nicht einen Bann auf Streumunition aussprechen, »aber Investitionen in ihre Produktion ermöglichen«. Ein Gesetz sei unumgänglich, »alles andere ist doch schizophren«.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 15. Juni 2012

Weltweit führende Banken investieren in Hersteller von Streumunition
Aktivisten fordern Finanzdienstleister und Regierungen zur Beendigung „explosiver Investitionen“ auf

PRESSEERKLÄRUNG

Weltweit führende Banken investieren in Hersteller von Streumunition Aktivisten fordern Finanzdienstleister und Regierungen zur Beendigung „explosiver Investitionen“ auf

Berlin, 14.Juni 2012 – Weltweit investieren noch immer 137 sowohl private als auch öffentliche Finanzdienstleister rund 43 Milliarden US$ in Produzenten verbotener Streumunition. Darunter befinden sich viele der führenden Investoren und Kreditgeber wie beispielsweise Citigroup, JP Morgan Chase, Goldman Sachs, Deutsche Bank und China Merchants Bank. Die Details und das Ausmaß dieser globalen „explosiven Investitionen“ sind in der Studie “Worldwide Investments in Cluster Munitions; a shared responsibility” dargestellt. Die Studie von IKV Pax Christi (Niederlande) und FairFin (Belgien) wurde heute in Berlin vorgestellt, um Druck auf die Regierung Deutschlands aber auch anderer Staaten auszuüben, ein Gesetz gegen solche „explosiven Investitionen“ zu verabschieden.

Genau wie Antipersonenminen, gehört auch Streumunition zu den völkerrechtlich verbotenen Waffen, denn beide töten willkürlich. Die Studie untersucht die Finanzgeschäfte mit einigen Unternehmen, die bekanntermaßen Streumunition herstellen. Die Liste umfasst: Alliant Techsystems (USA), Hanwha (Südkorea), Lockheed Martin (USA), Norinco (China), Poongsan (Südkorea), Singapore Technologies Engineering (Singapur), Splav (Russland), und Textron (USA).

Obwohl sich viele Staaten und Finanzdienstleister gegen solche Investments ausgesprochen haben, zeigt die weltweite Studie, dass Finanzdienstleister in den letzten 3 Jahren
  • Kredite in Höhe von insgesamt mindestens 4,1 Milliarden US$ vergeben;
  • Dienstleistungen für Investment Banking im Wert von mindestens 8,1 Milliarden US$ erbracht; und
  • Anteile und Anleihen in Höhe von mindestens 30,4 Milliarden US$ gehalten oder verwaltet haben.
“Nach all den Bankenskandalen, Krisen und Versprechungen zukünftig verantwortungsvoller und transparenter zu handeln, ist es eine Schande, dass Finanzdienstleister weiterhin in völkerrechtlich verbotene Waffen investieren“, sagte Roos Boer, Koautorin der Studie von IKV Pax Christi (Niederlande). “In völkerrechtlich verbotene Waffen zu investieren ist unter ethischen Gesichtspunkten nicht zu akzeptieren und es ist an der Zeit, dass Regierungen und Banken diesen „explosiven Investments“ ein Ende bereiten“, ergänzt sie.

Die meisten Finanzdienstleister, die in Hersteller von Streumunition investieren, stammen aus Ländern, die das internationale Abkommen zum Verbot von Streumunition noch nicht unterzeichnet haben.

Besorgniserregend ist aber auch, dass 27 Finanzdienstleister noch immer in Streumunition investieren, obwohl sie in Ländern operieren, die dem Abkommen beigetreten sind.

Neben der “Hall of Shame” beinhaltet die Studie auch positive Beispiele von Firmen und Staaten. In der “Hall of Fame” und der “runners-up” Kategorie werden als positive Beispiele 56 Finanzdienstleister genannt, die sich aus dem Geschäft mit Produzenten von Streumunition zurückgezogen haben. Im Vergleich zu 47 im Vorjahr ist dies eine deutliche Steigerung.

Finanzdienstleister mit umfassenden Richtlinien gegen Investitionen in Hersteller von Streumunition werden in der “Hall of Fame” aufgeführt. Zum ersten Mal tauchen in der diesjährigen “Hall of Fame” auf: der Australian Future Fund, der Luxembourg Compensation

MATERIAL

STREUMUNITION
  • Streubomben sind große Waffen die aus der Luft oder von der Erde eingesetzt werden und dutzende oder hunderte kleinere Submunitionen freisetzen. Submunitionen, die von luftgestützten Streubomben freigesetzt werden, werden häufig „bomblets“ genannt, während man die, die durch Raketen oder die Artillerie vom Boden aus ausgelöst werden, als „grenades“ bezeichnet.
  • 38 Länder und Gebiete sind nachgewiesenermaßen in bewaffneten Konflikten vom Einsatz von Streumunitionen betroffen: Äthiopien, Afghanistan, Albanien, Angola, Aserbaidschan, Bergkarabach, Bosnien-Herzegowina, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Eritrea, Falklandinseln, Georgien, Grenada, Irak, Israel, Jemen, Kambodscha, Kosovo, Kroatien, Kuwait, Laos PDR, Libanon, Mauretanien, Montenegro, Mosambik, Sambia, Saudi Arabien, Serbien, Sierra Leone, Süd Sudan, Sudan, Syrien, Tadschikistan, Thailand, Uganda, Tschetschenien, Vietnam, Westliche Sahara.
  • 18 Länder haben Streumunition eingesetzt: Äthiopien, Eritrea, Frankreich, Georgien, Israel, Kolumbien, Libyen, Marokko, Niederlande, Nigeria, Russland, Saudi Arabien, Südafrika, Ex-Jugoslawien (Serbien), Sudan, Thailand, Vereinigtes Königreich, USA.
DIE STREUMUNITION-KONVENTION
  • Am 1. August 2010 trat die Streumunition-Konvention in Kraft und ist seither bindendes internationales Recht.
  • Die Konvention verbietet den Einsatz, die Produktion, die Beschaffung sowie den Transfer von Streumunition. Die internationale Cluster Munition Coalition (CMC) und eine immer größere Zahl von Staaten interpretieren das Verbot der Unterstützung von Produktion und Entwicklung von Streumunition (Artikel 1, (1) c) als ein Investitionsverbot.
DIE STUDIE “WORLDWIDE INVESTMENTS IN CLUSTER MUNITIONS; A SHARED RESPONSIBILITY”
  • IKV Pax Christi (Niederlande) und FairFin (früher Netwerk Vlaanderen, Belgien) veröffentlichten ihre erste Studie “Worldwide Investments in Cluster Munitions: a Shared Responsibility” im Oktober 2009. Dies war die erste umfassende aktuelle Studie über Finanzdienstleister, die in Firmen, die Streumunition entwickeln oder herstellen, investieren, über Finanzdienstleister, die sich aus dem Geschäft mit Streumunition zurückgezogen haben und über Staaten, die Investitionen in Streumunition gesetzlich verbieten. Die Recherche für die “Hall of Shame” in dieser Studie wurde von Profundo (Niederlande) durchgeführt. Aktualisierte Versionen der Studie erschienen im April 2010 und im Mai 2011. Die vorliegende Ausgabe (Juni 2012) bringt die früheren Studien auf den neusten Stand.
  • “Worldwide investments in cluster munitions; a Shared Responsibility” zeigt gute Geschäftspraktiken von Finanzdienstleistern und Ländern auf, die sich aus dem Geschäft mit Streumunition zurückgezogen haben, und stellt Informationen über Finanzdienstleister bereit, die noch immer in Streumunition investieren.
  • Die Top 5 Investoren in Streumunitionshersteller, die in der Studie von 2012 Erwähnung finden, sind (in Millionen US$):
  • Investment Banking Services: Citigroup (USA) 1065.6, JP Morgan Chase (USA) 1065.6, Bank of America (USA) 704.6, Morgan Stanley (USA) 450.3, China Merchants Bank (China) 335.3, Goldman Sachs (USA) 325.9
  • Kreditgeber: Bank of America (USA) 355, Sberbank (Russland) 320, Mitsubishi UFJ Financial Group (Japan) 295, JP Morgan Chase (USA) 290, Citigroup (USA) 255
  • Asset management: State Street (USA) 5,423.5, Capital Group (USA) 5,116.4, Temasek Holdings (Singapur) 3,970.6, BlackRock (USA) 1,895.7, Sun Life Financial (Kanada) 1,572.7.

Websites:
  • IKV Pax Christi (Englisch): http://www.ikvpaxchristi.nl/stopexplosiveinvestments
  • FairFin (Englisch): http://www.fairfin.be/en/clustermunitions





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