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Verbot von Streubomben - ein erster Schritt

Bericht, Kommentare, Erklärungen von Handicap International Deutschland und aus der Friedensbewegung

Siehe zum Thema "Ächtung von Streubomben" unseren grundlegenden Beitrag: Abrüstung als humanitäre Aktion.



Die größten Bomber sperren sich

100 Staaten ächten Streumunition - USA, Russland, Israel, China, Pakistan und Indien fehlen

Bereits am ersten Tag der Unterzeichnerkonferenz zum Abkommen über ein Verbot von Streubomben haben fast 100 Staaten das Dokument unterzeichnet. Allerdings fehlen einige der wichtigen Hersteller und Anwender solcher Waffen.

Oslo (Agenturen/ND). Vertreter aus mehr als einhundert Staaten haben am Mittwoch (3. Dez.) in der norwegischen Hauptstadt Oslo begonnen, einen internationalen Vertrag zum Verbot von Streubomben zu unterzeichnen. Als erstes Land besiegelte Norwegen das Abkommen, auf das sich die Staaten nach langwierigen Verhandlungen verständigt hatten. Allerdings fehlen einige der wichtigsten Hersteller und Anwender solcher Waffen wie die USA, Russland oder Israel. Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg erklärte zu Beginn der zweitägigen Konferenz: »Die Welt wird nicht mehr dieselbe sein, wenn diese bestialische Waffenart nun endlich verboten und vernichtet wird.«

Der Vertrag war bereits im Mai in Dublin ausgehandelt worden und ächtet die Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Anwendung von Streubomben. Als größte Schwäche gilt, dass sich neben den USA, Russland und Israel auch andere große Produzenten und Nutzer wie China, Indien und Pakistan nicht angeschlossen haben. Deutschland hatte sich 2006 zur die Nicht-Anwendung von Streumunition und zur Vernichtung aller Bestände verpflichtet.

Streubomben gelten als besonders heimtückisch. Sie öffnen sich in der Luft, können kleine Sprengsätze über ein großes Gebiet verteilen und dieses für Jahre verminen. Nach UN-Schätzungen sind durch Streumunition weltweit mehr als 100 000 Menschen ums Leben gekommen oder schwer verletzt worden. Fast alle Opfer waren Zivilisten, mehr als ein Viertel Kinder.

Zur Unterzeichnung des Vertrages für die Bundesregierung reiste Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Oslo. Zusammen mit seinem britischen Kollegen David Miliband bezeichnete er das Verbot als »Meilenstein auf dem Weg der konventionellen Rüstungskontrolle«. Die Sprecherin der Hilfsorganisation Handicap International, Eva-Maria Fischer, kritisierte, dass auf Betreiben der USA Ausnahmeregelungen in den Vertrag aufgenommen wurden, die etwa eine militärische Zusammenarbeit zwischen Unterzeichnerstaaten und Nicht-Unterzeichnern zulassen. Es gelte als unsicher, ob eine US-Regierung unter Barack Obama eine positivere Haltung zum Streubomben-Verbot einnehmen werde als jene von George W. Bush.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2008


Pressekommentare

Blindgänger

Von Olaf Standke

Als »Meilenstein auf dem Weg der konventionellen Rüstungskontrolle« würdigte Bundesaußenminister Steinmeier jetzt das Verbot der Streubomben. Vertreter aus über 100 Staaten haben gestern auf einem Treffen in Oslo mit der Unterzeichnung eines internationalen Abkommens begonnen. Und in der Tat ist die Ächtung dieser vor allem für Zivilisten so gefährlichen Munition ein großer Erfolg -- nicht zuletzt der weltweiten Kampagne von Nichtregierungsorganisationen, die immer wieder Druck auf die Diplomatie gemacht hat. Am Ziel allerdings ist sie noch nicht. Abermillionen Exemplare dieser besonders heimtückischen Waffenart verseuchen große Gebiete in über 30 Ländern. Blindgänger können auch noch Jahre nach Kriegsende zu tödlichen Fallen werden. Trotzdem präsentieren sich Staaten wie die USA, Russland, China oder Israel als politische Blindgänger und boykottieren die Konvention. Gerade sie aber gehören zu den wichtigsten Produzenten und Anwendern. Washington hat am Vorabend der Unterzeichnung noch einmal sein Nein zum Streubombenverbot bekräftigt. Doch auch die Signatarstaaten sind aufgerufen, eine Aushöhlung des Abkommens zu verhindern. Haben die USA doch Ausnahmeregelungen für gemeinsame militärische Operationen mit Nicht-Vertragsstaaten durchgesetzt. Die Geschichte des »Ottawa-Vertrages« zum Verbot der Anti-Personenminen lehrt, dass die Zivilgesellschaft auch künftig mit ihren Forderungen nicht nachlassen darf.

Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2008 (Kommentar)


"Wie hoch darf der Preis für die Sicherheit der eigenen Soldaten sein?", fragt das LUXEMBURGER WORT mit Blick auf die Ächtung von Streubomben:
"Diese Waffe ist jedenfalls seit gestern für mehr als 100 Staaten ein zu hoher menschlicher Preis. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht von einem Meilenstein in der Geschichte des Völkerrechts. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Aber die größten Produzenten und Nutzer haben nicht unterzeichnet. Allen voran China, Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika. Bei China, der größten Diktatur auf Erden, verwundert dies nicht. Bei Russland, das sich immerhin auf dem Weg zu einer gelenkten Demokratie befindet, schon etwas mehr. Aber Amerika darf sich ein Fernbleiben vom Streubomben-Abkommen nicht leisten", unterstreicht das LUXEMBURGER WORT.

Die saudi-arabische Zeitung ARAB NEWS konzentriert sich ebenfalls auf die Tatsache, dass wichtige Herstellerländer das Abkommen nicht unterzeichnet haben:
"Es geht weniger um moralische Überlegenheit als darum, dass die Staaten, die dem Abkommen beigetreten sind, nun demonstrieren müssen, dass ihre Armeen auch ohne diese Waffe in Konflikten bestehen können. Dann wird es an Washington, Moskau und Peking sein, die Streubomben gemeinsam abzuschaffen. Dies wird ohne Zweifel nur in einem schrittweisen Vorgehen möglich sein, bei dem sich die Länder gegenseitig kontrollieren. Die Amerikaner und die Russen wissen schon, wie solche gemeinsamen Abrüstungsprozesse funktionieren. Sie sollten sich jetzt an die Spitze stellen, um andere zu überzeugen, sich dem Prozess anzuschließen", fordern die ARAB NEWS aus Dschidda.

Ähnlich äußert sich das KRISTELIGT DAGBLAD aus Kopenhagen:
"Es ist tragisch, dass große Staaten wie die USA, Russland, China und Indien die Konvention nicht unterschrieben haben. Aber es gab früher schon andere Fälle, bei denen zunächst eine große Zahl an Ländern allein voranschritt und die Skeptiker früher oder später folgten - zum Beispiel beim Internationalen Strafgerichtshof und bei der Etablierung einer internationalen Rechtsordnung. Auch die Großmächte werden ihre Streubomben am Ende vernichten", ist die dänische Zeitung KRISTELIGT DAGBLAD überzeugt.

"Der Oslo-Prozess für das Streubombenverbot macht deutlich, worauf es bei der Entwicklung des humanitären Völkerrechts im 21. Jahrhundert ankommt", hebt der TAGES-ANZEIGER aus Zürich hervor:
"Die Initiative muss von unten kommen, Lösungen für ein konkretes Problem anbieten und das Wohl des einzelnen Menschen im Fokus haben. Nun sind die Unterzeichnerstaaten gefordert, die neuen Bestimmungen innerhalb der vertraglich vereinbarten Fristen umzusetzen. Nur so erhält das Völkerrecht jene Legitimität, die immer wieder infrage gestellt wird", glaubt der schweizerische TAGES-ANZEIGER.

Quelle: DeutschlandRadio, 4. Dezember 2008; www.dradio.de


Deutschland verpflichtet sich, Streubomben zu ächten und ihren Opfern zu helfen

Handicap International Deutschland

In Anwesenheit von Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft, darunter Handicap International, unterzeichnete Außenminister Steinmeier heute in Oslo den Vertrag über ein Verbot von Streubomben. Dabei verkündete er, dass Deutschland 2 Millionen Euro für Minenräumung und Opferhilfe zur Verfügung stellen wolle.

Steinmeier war einer von 48 Ministern, die angereist waren - eine ungewöhnlich zahlreiche Präsenz auf hoher Ebene. Über 100 Staaten waren vertreten, von denen jedoch noch nicht alle an den beiden Konferenztagen unterzeichnen. Einige Staaten haben angekündigt, ihre Unterschrift bei nächster Gelegenheit im Rahmen der UN-Versammlung in New York vorzunehmen.

Die ersten der heutigen 92 Unterzeichner waren neben dem Gastgeber Norwegen zwei besonders von Streubomben betroffene Länder: Laos und Libanon. Besonders erfreulich war, dass auch der Vertreter Afghanistans heute die offizielle Genehmigung erhielt, den Vertrag zu unterschreiben.

Zwar fehlen - wie so oft bei internationalen Verträgen - noch wichtige Anwender und Produzenten wie die USA, Russland und China. Dennoch sind unter den ersten Vertragsstaaten einige, die in der Vergangenheit Streubomben massiv eingesetzt hatten, wie Großbritannien und die Niederlande, sowie wichtige bisherige Produzenten wie Frankreich und Deutschland.

Die wohl inspirierendste Rede des Tages lieferte der französische Außenminister Kouchner. Er bezog sich auf Norwegens Aussage und betonte: "Yes, we can! Wir können diesen Vertrag unterzeichnen, die USA können, Russland kann und China kann!" Er fügte hinzu, dass er den neuen amerikanischen Präsidenten Obama zur Unterzeichnung bringen wolle. Frankreichs Einsatz ist ein Beweis dafür, dass auch Produzenten- und Lagerstaaten von Streumunition sich zu einem Verbot verpflichtet fühlen können.

Bisher hunterstützen 18 von 26 NATO-Staaten den Vertrag und bezeugen damit, dass Streubomben so grausam für die Zivilbevölkerung sind, dass sie ein für alle mal verschwinden müssen. Einer solchen Stigmatisierung können sich auch die USA in Zukunft nicht entziehen.

Als eine der weltweit führenden Organisationen in der Kampagne gegen Streubomben begrüßen wir den Vertragsabschluss als einen historischen Fortschritt im internationalen humanitären Recht. Es ist das zweite Mal innerhalb von zehn Jahren - nach dem Landminen-Verbotsvertrag - , dass eine zivilgesellschaftliche Bewegung einen solchen Erfolg erreicht.

Nun muss der nächste wichtige Schritt folgen: Möglichst bald müssen 30 Staaten den Vertrag in ihre nationalen Gesetze umsetzen und damit das Abkommen ratifizieren, damit ein halbes Jahr später das Verbot gültig wird. Und Unterzeichner wie Deutschland müssen ihre Verpflichtungen wahrnehmen, also vor allem die Opfer wirkungsvoll unterstützen - und gleichzeitig auf ihre Partnerstaaten einwirken, damit auch diese dem Vertrag beitreten. Eine entsprechende Ankündigung und Aufforderung hat Außenminister Steinmeier heute in Oslo bereits ausgesprochen.

Eva Maria Fischer aus Oslo

Quelle: Website von Handicap International Deutschland; www.streubomben.de


Pressemitteilung der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, Ohne Rüstung Leben (ORL) und des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.)

Friedensorganisationen ächten Daimler/EADS
Grässlin: „In Oslo wird Streumunition geächtet. Wir müssen in Deutschland Firmen ächten, die – wie Daimler/EADS – an Streumunition profitieren.“

Frankfurt / Freiburg / Stuttgart, den 3. Dezember 2008

Am 3. und 4. Dezember unterzeichnen mehr als einhundert Staaten die Convention on Cluster Munitions in Oslo. „Kritisiert werden muss, dass die wichtigsten Streumunitionsproduzenten der Welt – darunter Russland, die USA, China, Israel und Pakistan – fehlen und Munitionstypen mit verminderter Blindgängerquote noch immer ausgenommen sind“, erklärt Jürgen Grässlin, Bundessprecher der DFG-VK und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Dennoch werde „mit der internationalen Ächtung von Streumunition in Oslo ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung unternommen“. Als Unterstützer der Kampagne „Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Streumunition!“ begrüßen die DFG-VK, ORL und das RIB e.V. das historische Verbot, an dem sich nach massivem Druck der Friedens- und Menschenrechtsbewegung auch die Bundesregierung beteiligt.

Mit der Unterzeichnung des Streumunitionsabkommens in Oslo „ist auch die Daimler AG zum Handeln aufgefordert“, so Paul Russmann. Der Geschäftsführer der ökumenischen Aktion Ohne Rüstung Leben weist darauf hin, dass Daimler über seine 15-prozentige Beteiligung und weitere Stimmrechte größter Anteilseigner an der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) ist. Die EADS, weltweit siebtgrößter Rüstungskonzern, ist am Multiple Launch Rocket System (MLRS) beteiligt (siehe hierzu „EADS N.V. – European Fire Control System for the MLRS rocket launcher“ auf der Unternehmenswebsite www.eads.com). Der MLRS-Raketenwerfer wurde im Jahr 2006 seitens der israelischen Armee gegen Menschen im Südlibanon eingesetzt. Bis heute findet sich dort eine immense Zahl von Blindgängern, die auch lange nach dem Kriegsende Zivilisten verletzen oder töten.

Zudem haben die russische und die georgische Armee im Südossetien-Konflikt 2008 beiderseits Streumunition eingesetzt. Dabei konnte durch Fotodokumente bewiesen werden, dass die georgische Armee für israelische Streumunitionswerfer verfügt, die auf Mercedes-Militär-Lkws des Typs Actros 3341 montiert sind. „Bis heute hat die Bundesregierung keine Aufklärung geleistet, die wie Mercedes-Militär-Lkws und die Streumunitionswerfer ins Kriegsgebiet gelangen konnten“, wirft Grässlin dem Bund vor.

„Wir müssen in Deutschland Firmen ächten, die – wie Daimler/EADS – an Streumunition profitieren“, erklärt Jürgen Grässlin und kündigt an: „Wir werden die Kampagne ‚Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Streumunition!’ so lange fortsetzen, bis Daimler/EADS aus dem Geschäft mit dem Tod ausgestiegen ist.“ Aktionsschwerpunkte werden 2009 u.a. die Hauptversammlungen der Daimler AG und der EADS N.V. sowie die IAA in Frankfurt bilden.

In der Kampagne „Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Streumunition!“ sind die DFG-VK, das Friedenszentrum e. V. Braunschweig, die Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI), die Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD), Ohne Rüstung Leben (ORL), die pax christi-Bewegung (deutschen Sektion) und die Werkstatt für Gewaltfreie Aktion / Baden (WfgA) beteiligt. Weitere Informationen siehe auf der Website www.wir-kaufen-keinen-mercedes.de


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