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"Blindgänger wirken wie Landminen"

Streubomben bedrohen immer noch in vielen Ländern die Zivilisten. In London wurde ein Bericht vorgestellt. Gespräch mit Eva Maria Fischer *


Eva Maria Fischer ist Sprecherin von Handicap International [externer Link]. Die vor rund 30 Jahren gegründete Hilfsorganisation unterstützt in 60 Ländern behinderte Menschen weltweit, unter anderem die Opfer von Streubomben.


Jahrzehnte nach Ende eines Krieges bedrohen unzählige Blindgänger international geächteter Streubomben, die aus Versehen ausgelöst werden können, noch Menschen in 41 Ländern und Regionen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Ihnen mitverfaßter Bericht [pdf, externer Link], der am Donnerstag in London vorgestellt wurde. Welche Gefahren gehen davon aus?

Wie gefährlich solche Kriegsreste grundsätzlich sind, konnten wir in der vergangenen Woche in München beobachten, wo eine große Bombe die Stadt in Atem hielt. Deren Sprengung hat eine viel größere Druckwelle ausgelöst, als es einer Streubombe möglich gewesen wäre – sie ist jedoch nicht so leicht zur Explosion zu bringen. Zünder der Streumunition hingegen können von Kindern ausgelöst werden.

Streubomben sind große Behälter, die viele kleine Sprengkörper enthalten. Wenn die beim Aufschlag nicht explodieren, bleiben Blindgänger, die jederzeit hochgehen können. Diese hochsensiblen Bomben wirken ähnlich wie Landminen. Noch lange nach einem Krieg bedrohen sie Zivilisten im Alltag.

Welche Länder sind besonders betroffen?

Zum Beispiel Südostasien, ganz extrem Laos: Dieses Land war nicht am Vietnamkrieg beteiligt, wurde aber von den USA als Nachschubweg für die Vietcong angesehen und massiv bombardiert. Von den insgesamt 260 Millionen dieser verstreuten Bomben, die die USA damals dort abgeworfen hat, sind etwa 30 Prozent zum damaligen Zeitpunkt nicht explodiert. Jetzt, 40 Jahre nach dem Krieg, stellen diese eine Bedrohung dar. Die Räumungsprogramme reichen bei weitem nicht aus.

Ausgerechnet die USA sind eines der Länder, die den Osloer Vertrag zum Streubombenverbot nicht unterzeichnet haben. Wie begründen sie das?

Sie winden sich mit der Aussage heraus, versuchen zu wollen, Folgen für Zivilisten zu minimieren. Wir hingegen sagen: Diese Waffe wird mittlerweile von mehr als 100 Ländern der Welt geächtet, die den Vertrag unterschrieben haben. In der Wirkung ist sie so fatal, daß sie verboten werden muß. Es kann nicht darum gehen, sie »verbessern zu wollen«. Amerikanische Firmen bieten sie immer noch auf internatonalen Waffenmessen an. Die USA besitzen heute noch Vorräte zwischen 800 Millionen und einer Milliarde Sprengkörpern aus Streubomben.

Enthält der Osloer Vertrag zum Streubombenverbot Ausnahmeregelungen, mit denen sich Unterzeichner herausmogeln können?

Bei diesem Vertrag, seit 2010 in Kraft, haben wir bis zuletzt versucht, Details zu ändern. Ein Problem ist die Definition von Streumunition. Andere Waffensysteme, die zwar nicht so viele Sprengkörper enthalten, aber ähnliche Wirkung entfalten könnten, sind vom Verbot ausgenommen. Ob Deutschland das als Schlupfloch nutzt, müssen wir genau beobachten. Möglich ist auch das Zusammenwirken mit Armeen, die noch solche Waffen besitzen dürfen, wie zum Beispiel die USA.

Welche Rolle spielt Deutschland bei der Einhaltung des Verbots?

Eine relativ positive: Bestände werden vernichtet. Deutsche Firmen dürfen Streumunition nicht mehr produzieren. Allerdings fordern wir auch ein Verbot von Investitionen: Die Deutsche Bank soll nicht mehr in amerikanische Firmen investieren dürfen, die Streubomben herstellen.

Wie steht es um die finanzielle Unterstützung der Opfer?

Im Bericht bemängeln wir, daß reiche Verursacherländer nicht genügend tun. Nicht einmal drei Millionen Euro sind in den vergangenen Jahren weltweit eingesetzt worden. Die deutsche Regierung gehörte 2011 zu den fünf größten von insgesamt 21 Geldgebern weltweit. Aus unseren Projekten zur Streubombenräumung in betroffenen Ländern wissen wir, daß die Überlebenden aus solchen Unfällen lebenslang Hilfe brauchen. Dazu gehört medizinische Pflege, Rehabilitation, Einbindung in die Arbeitswelt – sowie Hilfe für Familien und Gemeinschaften, die durch einen Unfall mit betroffen sind.

Sie haben eine Online-Petition »Nein zu Streubomben« ins Internet gestellt. Was ist die zentrale Forderung?

Alle Länder der Welt müssen dem Osloer Vertrag beitreten. Wer diesen Schritt schon getan hat, wie Deutschland, sollte sich bemühen, befreundete Länder dazu zu bewegen, das Gleiche zu tun.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Freitag, 7. September 2012


Hier geht es zum neuen Report:

Cluster Munition Monitor 2012 [englisch, pdf, externer Link]




Dokumentiert: Appell von handicap international:

Dringender Appell an alle Staaten: Konsequentes Nein zu Streubomben und Minen!

Angesichts der Tatsache, dass immer mehr unschuldige Menschen durch nicht explodierte Sprengsätze getötet oder verstümmelt wurden, hat sich Handicap International 2003 mit anderen Nicht-Regierungs-Organisationen zur „Koalition gegen Streubomben“ (Cluster Munition Coalition, CMC) zusammengeschlossen. Heute arbeitet diese Kampagne Hand in Hand mit der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen, die 1992 ebenfalls u. a. von Handicap International gegründet wurde.

Der größte Erfolg der Kampagnen sind die Verträge von Ottawa (1997) und Oslo (2008), mit denen Landminen und Streubomben international geächtet wurden.

Mit unserer internationalen Petition wollen wir dazu beitragen, dass alle Staaten diesen Abkommen beitreten und die Regierungen, für die sie national und international bereits gültig sind, z. B. die deutsche, sie konsequent umsetzen. Außer¬dem sollen alle Mitgliedsstaaten des Abkommens, darunter Deutschland, auch Investitionen in Firmen anderer Länder, die Streubomben herstellen, gesetzlich ausschließen.

Wir fordern alle Staaten dringend dazu auf:
  • Dem Abkommen über ein Verbot von Landminen und Streubomben beizutreten und andere Staaten dazu zu bewegen, ebenfalls beizutreten
  • Dazu beizutragen, dass die Opfer dieser Waffen unterstützt und die betroffene Bevölkerung vor noch nicht explodierter Submunition geschützt wird
  • Alle Investitionen in den Handel und die Produktion dieser Waffen zu verbieten
  • Keine Initiative zu unterstützen, die diese Abkommen abschwächen könnte
Für diese Petition werden weltweit Unterschriften gesammelt. Die Gesamtzahl wird bei wichtigen Kontakten mit Politikern und der Presse genannt, um auf die Unterstützung aus der Bevölkerung hinzuweisen. Bis 2011 wurde die Petition von über 750.000 Menschen unterzeichnet.

Hier die Petition unterzeichnen:

Sagt NEIN zu Streubomben [externer Link]




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