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Riestern für die Rüstungsindustrie

Fließt Geld von Riester-Sparern auch in Aktien von Streubombenherstellern?

Gelder aus Riester-Fonds sind auch in Beteiligungen an Unternehmen, die international geächtete Streumunition herstellen, geflossen. Das berichtet das ARD-Magazin MONITOR in seiner aktuellen Ausgabe (Das Erste, 29.07.2010, 22.00 Uhr). MONITOR beruft sich auf ein Gutachten des niederländischen Finanzanalysten Jan Willem van Gelder. Dieser hatte die Investitionen deutscher Banken und Versicherungen auf Grundlage der international einschlägigen Finanzdatenbank Thomson ONE Banker untersucht. Am 1. August tritt das Oslo Abkommen zur internationalen Ächtung von Streumunition in Kraft. Die Bundesregierung hält es nicht für notwendig, die Verwendung von Riestersubventionen für derartige Investitionen zu verbieten.

Die Landesbank Berlin bestätigte die MONITOR-Recherchen. Danach hatte die LBB Anteile an zwei Produzenten von Streumunition gezeichnet. Außerdem hielt ein Riester-Fonds der LBB entsprechende Aktien. Auf Anfrage erklärte die Bank jedoch: "Auf Basis Ihrer Hinweise haben wir alle (...) von Ihnen genannten Unternehmen entsprechend gekennzeichnet, um künftig dort keine Investments mehr zu tätigen."

Die Recherchen deckten unter anderem auch eine Vielzahl von Investment Fonds der Allianz-Gruppe auf, die Aktien an Unternehmen hielten, welche Streumunition produzieren. Einige dieser Fonds stehen auch Riester-Sparern als Investitionsmöglichkeit zur Verfügung. "Allianz-Kunden laufen daher Gefahr, dass ihr Geld zu Streubombenproduzenten fließt", erklärt Jan Willem van Gelder.

Allianz Global Investors schloss gegenüber MONITOR direkte Aktien-Beteiligungen an Streubomben-Produzenten aus, indirekte, bei sogenannten Sondervermögen jedoch nicht. Bei Sondervermögen handelt es sich um Kapital, das treuhänderisch für institutionelle oder private Anleger investiert wird. Hier sieht das Unternehmen seine Kunden in der Verantwortung. "Die Allianz bietet (..) fondsgebundene Riesterprodukte, bei denen sich die Kunden nach ihren Anlagepräferenzen für ein oder mehrere Fondsprodukte entscheiden," erklärte Allianz Global Investors.

Vor dem Hintergrund der MONITOR-Recherchen forderte das Aktionsbündnis Landmine.de ein gesetzliches Verbot von Investitionen in Streumunition. Solche Verbote gibt es unter anderem in Großbritannien, Norwegen, Belgien, Irland und Luxemburg.

Quelle: Pressemeldung des WDR, 29. Juli 2010


Dokumentiert: Monitorsendung vom 29. Juli 2010

Riestern für die Rüstungsindustrie

Wie Geld aus Riester-Verträgen in die Finanzierung geächteter Streumunition fließt

Bericht: Sigrid Dethloff, Sibylle van der Walt, Markus Zeidler


Sonia Seymour Mikich: "Verantwortung übernehmen oder verdrängen oder gar leugnen, darum geht es auch beim nächsten Thema. Das hier ist eine Streubombe. Viele Staaten haben unterschrieben, dass diese schreckliche Waffe geächtet wird. Die Streubomben-Konvention von Oslo tritt am Sonntag in Kraft. Da wird es bestimmt Bilder von Politikern geben, wie sie die Ächtung gutheißen. Soweit die noble Gesinnung. Aber in der Praxis, so Markus Zeidler, Sibylle van der Walt und Sigrid Dethloff, in der Praxis fördern wir, die Anleger, wir, die Steuerzahler über verschlungene Wege, Unternehmen, die solche Killerwaffen herstellen. Wir sind Komplizen, ohne es zu wissen."

Es war ein Blindgänger. Wahid wollte ihn aufheben. Da explodierte das Geschoss. Die Opfer von Streumunition sind meist Zivilisten, das ist bekannt. Nicht bekannt ist, was Menschen wie dieser irakische Junge mit unserer deutschen Riester-Rente zu tun haben.

Reporterin: "Wir haben festgestellt, dass Gelder aus Riesterprodukten in Streumunition investiert werden. Wussten Sie davon?"

Passantin: "Nein, ich wusste nichts davon. Ich finde das auch nicht gut."

Weitere Passantin: "Das ist ja erschreckend. Also ich meine, da denkt man, man tut was Gutes für sich und für die Zukunft und dann werden damit Waffen hergestellt. Das ist ja furchtbar."

Reporterin: "Wenn Sie so eine Altersvorsorge hätten, was würden Sie tun, wenn Ihre Bank das zum Beispiel machen würde?"

Passant: "Würde ich sofort kündigen dann, würde ich nicht mehr unterstützen."

Riester-Rente und Streumunition? Wer das verstehen will, muss zunächst wissen, was am 3. Dezember 2008 geschah, als in Oslo Vertreter von rund 100 Regierungen zusammentrafen. Die Worte des damaligen deutschen Außenministers.

Zitat Frank-Walter Steinmeier: "Wir ächten heute eine Waffenart, die jedes Jahr unzählige zivile Opfer fordert, oft noch lange nach dem Ende des bewaffneten Konflikts. Die Bedrohung der Zivilbevölkerung durch Streumunition wird jedoch nur ein Ende finden, wenn die Ächtung dieser Waffe allumfassend ist."

Soweit der Anspruch. Und die Wirklichkeit? Ein US-Bomber - unter den Tragflächen eine Streubombe mit Hunderten von hochexplosiven Sprengkörpern. Die USA, Russland und einige asiatische Länder sind bis heute nicht bereit, die Streu-Munitions-Konvention zu unterzeichnen. Die größten Hersteller von Streumunition sind US-amerikanische und asiatische Rüstungskonzerne. Ihre Aktien werden auf den internationalen Finanzmärkten gehandelt. Noch immer. Trotz der Oslo-Konvention.

Jan Willem van Gelder, Profundo, Finanzanalyst (Übersetzung MONITOR): "Die Investitionen werden insgesamt nicht weniger. Manche Fonds verabschieden sich von bestimmten Unternehmen, andere kaufen sich ein. Da ist immer Bewegung. Aber in Reaktion auf die Aktienpreise, und nicht als Reaktion auf die Konvention zur Ächtung von Streumunition."

Der Finanzanalyst Jan van Gelder hat Zugang zur Spezial-Datenbank Thomson One Banker. Sie legt das Geflecht der Unternehmensbeteiligungen offen. Van Gelder zeigt uns auch die dort gelisteten Investments deutscher Banken und Versicherungen. Etwa Fonds der DWS, der Investmentgesellschaft der Deutschen Bank. Fonds mit Beteiligungen an Rüstungsunternehmen wie L-3 Communications und anderen Konzernen, die als Herstellern von Streumunition gelten. Darunter auch Fonds, in die Riester-Produkte investieren. Die Schlussfolgerung des Experten:

Jan Willem van Gelder, Profundo, Finanzanalyst (Übersetzung MONITOR): "Für die Riester-Kunden der DWS heißt das, dass ihre Beiträge mit Sicherheit in Streumunition fließen, weil alle drei Riester-Fond-Produkte der DWS sich auf ein Bündel von Fonds stützen. Der Kunde hat keine Wahl. Und einige dieser Fonds haben zum Recherchezeitpunkt in Streumunitionsproduzenten investiert. Daher wird ein Teil ihrer Beiträge dort landen."

Beispiel DWS Riester Rente Premium: So läuft - laut van Gelder - hier die Spur des Riester-Geldes. Das DWS-Produkt investiert die Gelder der Riester-Sparer in eine Vielzahl von Fonds und Dachfonds. Diese wiederum verteilen das Geld in eine Vielzahl weiterer Fonds. Und zwei von ihnen haben laut Datenbankrecherche auch beim Rüstungskonzern L-3 Communications investiert. Beide Fonds zusammen rund sieben Millionen Euro. Klingt nach wenig. Aber: Streu-Munition im Wert von sieben Millionen Euro reicht aus, um eine Fläche zu bombardieren, die dreieinhalb mal größer ist als das Land Berlin. Riester-Geld für Streumunition? Die DWS Zentrale in Frankfurt. Hier bekommen wir kein Interview. Schriftlich erhalten wir jedoch ein klares Dementi.

Zitat: "Die DWS Investment GmbH hat in denen von ihr gemanagten Fonds keine Aktien der von MONITOR genannten Unternehmen. Sie sind auch nicht an ihnen beteiligt."

Sind die Angaben vom Thomson One Banker fehlerhaft, wie die DWS behauptet? Die Datenbank, in der van Gelder recherchiert, gilt als äußerst zuverlässig und greift nicht zuletzt auf Informationen zurück, die von den Unternehmen wie der DWS selbst stammen. An- und Verkäufe werden mit zeitlicher Verzögerung dokumentiert. Hat die DWS also kurzfristig verkauft? Dazu erhalten wir keine Antwort. Unser Experte sieht das so:

Jan Willem van Gelder, Profundo, Finanzanalyst (Übersetzung MONITOR): "Möglich ist alles. Theoretisch können sie alles verkaufen. Aber wenn man sich ihre Geschichte ansieht und sieht, dass sie eigentlich immer in diese Unternehmen investiert waren und dass es keine Anzeichen gibt, dass sie ihre Investitionen in diese Firmen reduziert haben - sie haben ja keine Erklärungen oder ähnliches veröffentlicht - dann deutet alles daraufhin, dass sie bis heute in diese Unternehmen investieren."

Auch bei der Allianz hat van Gelder in der Datenbank zahlreiche Fonds-Beteiligungen an Unternehmen gefunden, die als Hersteller von Streumunition gelten. Darunter auch Fonds, in die Riester-Sparer investieren können. Die Allianz Global Investors schließt schriftlich direkte Aktien-Beteiligungen an den Rüstungs-Unternehmen aus, indirekte jedoch nicht, über so genannte treuhänderische Sondervermögen.

Zitat: "Die Allianz bietet fondsgebundene Riesterprodukte, bei denen sich die Kunden nach ihren Anlagepräferenzen für ein oder mehrere Fondsprodukte entscheiden." Dazu der Experte:

Jan Willem van Gelder, Profundo, Finanzanalyst (Übersetzung MONITOR): "Das ist ein seltsames Versteckspiel hinter dem Kunden. Schließlich muss sich jedes Unternehmen entscheiden, welche Art von Produkten es anbieten will."

Das Geld von Riester-Sparern investiert in Streumunition? Ein Vorwurf, auf den die Banken und Versicherungen ganz unterschiedlich reagieren. Beispiel Landesbank Berlin. Unsere Recherchen hatten ergeben: Die LBB hält Anteile an zwei der sieben führenden Produzenten von Streumunition. Und auch ein Riester-Fonds der LBB ist betroffen. Auch die LBB lehnte ein Interview ab. Die Investments aber gab sie offen zu. Und weiter teilte sie mit:

Zitat: "Auf Basis Ihrer Hinweise haben wir alle sieben von Ihnen genannten Unternehmen entsprechend gekennzeichnet, um künftig dort keine Investments mehr zu tätigen."

Wir wollten nachfragen beim zuständigen Finanzminister. Investitionen deutscher Banken in Streumunition? Staatlich geförderte Riester-Gelder für Rüstungs-Konzerne? Wie passt das zusammen mit der Verpflichtung, die Deutschland in Oslo eingegangen ist. Kein Interview. Schriftlich heißt es dazu aus dem Finanzministerium:

Zitat: "Das Übereinkommen enthält keine Regelungen zu Finanzierungsfragen im Zusammenhang mit Streumunition."

Keine Regelung zu Finanzierungsfragen? Gro Nystuen hat maßgeblich an der Entstehung des Oslo Vertragstextes mitgewirkt. Die Konvention verbiete nicht nur die Produktion von Streumunition, sondern jede Form von Unterstützung.

Prof. Gro Nystuen, norwegische Diplomatin (Übersetzung MONITOR): "Für uns in Norwegen war das nie eine Frage. Wir sind überzeugt, dass der Begriff "unterstützen" auch das Verbot von Investitionen abdeckt. Und wir würden begrüßen, wenn andere Staaten diese Interpretation auch annehmen würden."

Menschen in Kriegsgebieten vor Streumunition schützen. Länder wie Großbritannien, Belgien und Luxemburg haben inzwischen gehandelt. Investitionen in Streumunition sind hier per Gesetz verboten. Und die Bundesregierung? Die hält entsprechende Kontrollen nur eingeschränkt für möglich.

Prof. Gro Nystuen, norwegische Diplomatin (Übersetzung MONITOR): "Wir decken täglich 8.000 Unternehmen ab, wir durchleuchten sie, nicht nur nach Streumunition, sondern auch nach Menschenrechtsverletzungen, Korruption und so weiter. Und ja: Das ist ohne weiteres möglich."

Für die Räumung von Streubomben wie hier im Libanon hat die Bundesregierung in den letzen Jahren 200 Millionen Euro bereitgestellt. Gleichzeitig fließen Riester-Gelder in Rüstungskonzerne, investieren deutsche Banken und Versicherungen in Streumunition-Hersteller. Mit dem Geist der Oslo-Konvention ist das kaum vereinbar. Doch nach deutschem Recht ist es noch immer ganz legal.

Sonia Seymour Mikich: "Es ist halt eine moralische Entscheidung, ganz altmodisch. Und die muss ein Anleger treffen. Und die muss erst recht eine Regierung treffen. Andere Regierungen gehen ja mit bestem Beispiel voran. Sie sehen es als Pflicht, ihre Bürger vor Komplizenschaft in unethischen Praktiken zu schützen."

Quelle: WDR, Monitor, 29. Juli 2010; http://www.wdr.de/tv/monitor//sendungen/2010/0729/riester.php5


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