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"Wir haben das Abkommen ins öffentliche Interesse gerückt"

TTIP ist keineswegs am Ende, aber die Verhandlungen mit den USA werden sich wohl länger hinziehen. Ein Gespräch mit Roland Süß *


Roland Süß ist Fachmann für internationalen Handel im ATTAC-Koordinierungskreis und aktiv bei den Protesten gegen das Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership).

Die Verhandlungen zwischen den USA und der EU-Kommission über das Freihandelsabkommen TTIP sind ins Stocken geraten. Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Grünen, hält es sogar für unwahrscheinlich, dass es in der heute diskutierten Form umgesetzt wird. Ist das TTIP am Ende?

Nein, ich bin da weniger optimistisch. Von Beginn an war klar, dass es illusorisch sein würde, dieses Abkommen im Zeitraum von zweieinhalb Jahren zum Abschluss zu bringen. US-Präsident Barack Obama hat zwar keine Zustimmung für ein Verhandlungsmandat erhalten, das der Regierung erlaubt, international geschlossene Abkommen im Kongress zur Abstimmung zu stellen, ohne Abgeordneten die Möglichkeit zu geben, inhaltliche Änderungen am Gesetzentwurf vorzunehmen. Es ist aber davon auszugehen, dass der Druck der Wirtschaftslobbys entsprechend zunehmen wird. Dann kann diese Entscheidung schnell wieder revidiert werden.

Offenbar sorgt die Unzufriedenheit der Automobilbranche in den USA dafür, dass die Verhandlungen ins Stocken gerieten – weniger die Kritik, dass das Abkommen schlecht für Arbeitnehmer und Verbraucher sowie mit der beabsichtigten Einführung von privaten Schiedsgerichten auch demokratiefeindlich ist?

Ja, denn deren Lobbys befürchten, dass die europäische Autoindustrie bei Öffnung der Märkte stärker auf den amerikanischen Markt drängen könnte. Demzufolge gibt es nach unseren Informationen derzeit kaum Einigungschancen. Sollte sich überhaupt etwas bewegen, dann nur mit der Vereinbarung von langen Übergangsfristen. Aber das ist kein außergewöhnliches Hemmnis.

Auf der anderen Seite drängt allerdings die US-amerikanische Agrarlobby, endlich den europäischen Markt zu öffnen. Aufgrund dieser Situation gehen mittlerweile viele davon aus, dass die Verhandlungen sich bis in den US-Wahlkampf 2016 oder sogar in den deutschen 2017 ziehen könnten.

Wäre das aus Ihrer Sicht ein Anlass zum Scheitern des Abkommens?

Als die USA und die EU die Verhandlungen aufnahmen, gab es bereits die Prämisse, schnell und geheim vorzugehen. Eine öffentliche Auseinandersetzung, so hieß es, würde es möglicherweise erschweren, TTIP in Gänze zum Abschluss zu bringen.

Genau das ist aber unser Erfolg: Unser breites Bündnis hat es geschafft, dieses Abkommen ins öffentliche Interesse zu rücken. Die Befürworter müssen sich jetzt auf unbequeme Debatten einstellen.

Die Einwände, die das Stocken verursachen, kommen aber von mächtigen Wirtschaftslobbys – nicht von Kapitalismus-Kritikern.

Ja, das gehört eben zu einem solchen Kuhhandel. Für uns ist wichtig, dass es jetzt vielfältige Auseinandersetzungen um TTIP gibt und die Geheimhaltung rund um das Abkommen zunehmend aufbricht.

Weshalb sollte aber ein möglicher Regierungswechsel zu den Republikanern in den USA 2016 das Abkommen ins Wanken bringen – darauf spekuliert ja Hofreiter?

In den USA gibt es aktuell vielerlei Anstrengungen, Märkte zu öffnen und zu liberalisieren. Aufgrund des öffentlichen Drucks dagegen, aber auch wegen der unterschiedlichen Interessen der Lobbygruppen treten Widersprüche nun offen hervor. Es werden ja zugleich andere Abkommen dieser Art verhandelt, etwa die »Trans-Pacific Partnership« (TPP) unter anderem mit Singapur. Ich teile Hofreiters Position nicht, hier treten nur die üblichen Verhaltensmuster beim Abschluss von Abkommen auf.

TTIP ist schwerer durchsetzbar. Auch CETA zwischen der EU und Kanada wird sich verzögern, Entwarnung ist aber nicht angesagt. Wir sollten unsere Aufmerksamkeit zudem stärker auf die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) richten, vor allem mit weniger entwickelten afrikanischen Ländern. Seit Jahren verhandelt die EU mit ihnen in die falsche Richtung: Indem sie mit Öffnung der Märkte multinationale Großkonzerne favorisiert und die Kleinbauern dort durch die Konkurrenz zugrunde richten will, schafft sie Fluchtgründe. Unser Bündnis plant eine Demonstration am 10. Oktober in Berlin gegen all diese Freihandelsabkommen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Mai 2015


Demokratie versus Freihandel

Der Deutsche Kulturrat ruft zum Aktionstag gegen TTIP auf. Der Widerstand ist noch nicht konsequent genug.

Von Sigurd Schulze **


Die Kulturschaffenden in Deutschland sind alarmiert. Die Buchpreisbindung, die öffentliche Kulturförderung und der durch Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk sind gefährdet. Der Grund: Das Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada CETA ist »ausverhandelt«, das Abkommen mit den USA, Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), soll bis zum Ende des Jahres in trockenen Tüchern sein. Neben dem Abbau von Zöllen und der Anpassung von Handelsstandards geht es um den sogenannten Investitionsschutz.

Wenn Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge oder der Kultur ihren Expansionsinteressen im Wege stehen, können US-Konzerne Regierungen mit Hilfe von privaten Schiedsgerichten verklagen. Jedenfalls dann, wenn sie nach amerikanischen Gepflogenheiten »den freien Wettbewerb verzerren«. Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) verweist darauf, dass die deutschen Kultur- und Opernorchester, aber auch Theater, mit staatlichen und kommunalen Mitteln ganz oder teilweise subventioniert werden. Die Orchester der USA sind in der Regel privat finanziert. Ähnlich verhält es sich mit öffentlichen Musikschulen und Hochschulen sowie mit den gebührenfinanzierten Rundfunkorchestern und -chören. In Deutschland fördern Bund, Länder und Gemeinden die Kulturinstitute jährlich mit neun Milliarden Euro. Pochten Konzerne von der anderen Seite des Atlantiks in diesem Bereich auf den freien Wettbewerb, könnte dieses System zusammenbrechen.

Angesichts der drohenden Gefahr rufen die DOV und der Deutsche Kulturrat dazu auf, aus dem morgigen Welttag der kulturellen Vielfalt einen Aktionstag »Kultur braucht kein TTIP« zu machen. Der Deutsche Kulturrat will in Berlin eine Konferenz und eine Diskussion mit Prominenten über TTIP veranstalten. Allerdings sind die Gegner des Freihandelsabkommens auf dem Podium unterrepräsentiert. Matthias Wissmann, der Präsident des Verbands der Automobilindustrie, ist ein Befürworter, ebenso die Politiker Bernd Lange und Matthias Machnig. Ulle Schauws, die kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen fordert lediglich einen Neustart der Verhandlungen. Nur von Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates ist bekannt, dass er TTIP grundsätzlich ablehnend gegenüber steht.

Der Widerstand darf sich aber nicht auf Forderungen nach mehr Information, Transparenz und kritischer Auseinandersetzung beschränken. Selbst die vollständige Herausnahme der Kultur aus dem Geltungsbereich des Abkommens wäre zu wenig. Denn es bedroht nicht nur kulturelle, sondern auch soziale und politische Mindeststandards einer demokratischen Gesellschaft. Gefährdet sind Mindestlöhne, Arbeits- und Kündigungsschutzrechte und die Souveränität der Parlamente. Deshalb sollte der Deutsche Kulturrat das Bündnis mit Gewerkschaften, die das Abkommen ablehnen und mit der Partei Die Linke sowie weiteren fortschrittlichen TTIP-Gegnern suchen. Denn mit Halbheiten droht der Protest im Sande zu verlaufen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Mai 2015


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