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Gabriel begrüßt TTIP grundsätzlich

Die Sozialdemokraten sind sich uneins über Freihandelsabkommen / DGB-Spitze unterstützt Parteiführung

Von Vincent Körner *

An diesem Wochenende berät die SPD über Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada. Viele Genossen stellen sich gegen den Kurs ihrer Parteispitze.

Die SPD-Linke hat vor dem Parteikonvent der Sozialdemokraten am Samstag in Berlin mit Blick auf die umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP und CETA »klare rote Linien« gefordert, welche die Partei »als Bedingung für eine Zustimmung aufstellen« solle. Dass allein fünf Anträge zum SPD-Konvent die Verträge der EU mit Kanada und den USA betreffen, zeigt nach Ansicht der Sprecherin der Parteilinken-Organsiation DL 21, Hilde Mattheis, wie stark das Thema »große Teile der Partei bewegt«. Der Konvent mit seinen rund 300 Delegierten ist das höchste Beschlussgremium zwischen den SPD-Parteitagen.

Aus der Bremer SPD kommt die Forderung, die Verhandlungen zu TTIP auszusetzen, da die bisher vereinbarten Regelungen »die legitimen Handlungsmöglichkeiten von Staaten« einschränken und die Demokratie gefährden. Der Dortmunder SPD-Unterbezirk will erreichen, dass der Konvent die Regierung und damit den zuständigen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auffordert, »unverzüglich für eine Veröffentlichung« aller Verhandlungsunterlagen zu sorgen. Die mit den Freihandelsverträgen angestrebte »neoliberale Deregulierung unterstützen wir nicht«, heißt es weiter in dem Antrag. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen hat sich für Mindestbedingungen bei TTIP und CETA ausgesprochen. Zunächst setze man sich »dafür ein, die Verhandlungen ruhen zu lassen« und transparent neue Verhandlungsziele zu formulieren.

Teile der SPD sehen die geplanten Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und den USA schon seit Wochen kritisch. Zuletzt wurde berichtet, Parteichef Gabriel werbe für Vorteile und warne vor pauschaler Ablehnung von TTIP und CETA. Damit wolle er verhindern, »dass die Partei sich vorzeitig dagegen ausspricht«, schrieb der »Spiegel« am Wochenbeginn. Die Bürgerbewegung Campact hatte kritisiert, die Bundesregierung wolle letztlich den Investorenschutz gar nicht verhindern. »Sigmar Gabriel hat sich vom Druck der Kommission zermürben lassen und kippt bei den Investor-Staats-Klagen um«, meinte Campact-Expertin Maritta Strasser.

Die Antragskommission des SPD-Konvents will die fünf vorliegenden Anträge zu TTIP und CETA an Parteivorstand sowie die Fraktionen in Bundestag und Europaparlament überweisen. Zudem sollen »Erwartungen an die transatlantischen Freihandelsgespräche« beschlossen werden. Es dürfe einen »Abbau von wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Standards« nicht geben, so die Empfehlung der Antragskommission.

Außerdem soll dem Vorschlag zufolge »die Möglichkeit zur Diskussion, Meinungsbildung und Mitsprache bestehen«. Der Parteivorstand solle »einen umfassenden Informations- und Diskussionsprozess initiieren« und so »Raum dafür geben, die Chancen von TTIP genauso zu thematisieren wie kritische Aspekte und Befürchtungen, die sich mit TTIP verbinden«.

Kritik kommt von Mattheis. Sie bedauerte die Vorschläge der Antragskommission. Gegen einen breit angelegten Diskussionsprozess sei »nichts zu sagen«. Das reiche aber nicht, so die Bundestagsabgeordnete. »In diesem Stadium, in dem die Verhandlungen zu TTIP in vollem Gange sind und jene zu CETA abgeschlossen sind und die Kritik an diesen Abkommen immer mehr wächst, braucht es für uns als Partei klare rote Linien, die wir als Bedingung für eine Zustimmung aufstellen sollten«, forderte Mattheis. Vor allem mit Blick auf CETA sei es wichtig, sich jetzt zu positionieren.

Die DGB-Spitze und Gabriels Ministerium haben sich derweil in einem gemeinsamen Positionspapier, das dem »nd« vorliegt, im Grundsatz zu TTIP bekannt. Dieses »könnte auch dazu beitragen, faire und nachhaltige Handelsregeln global voranzutreiben und Maßstäbe zu setzen«, heißt es in dem Papier. Es sollten faire Wettbewerbs- und gute Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Die Verhandlungen mit den USA müssten mit dieser Zielsetzung geführt werden.

Spiegel online zitierte den Sprecher der SPD-Linken im Bundestag, Carsten Sieling, mit den Worten, Gabriel falle »weit hinter das zurück, was wir bislang im Bund und im Europawahlkampf vertreten haben«. Sieling forderte klarere Positionen der SPD vor allem in Sachen Investitionsschutz, Transparenz und bei den sozialpolitischen und datenschutzrechtlichen Standards. Gabriel stellte daraufhin seinen Widersachern »kritische Verhandlungen« über TTIP in Aussicht.

Von den Gewerkschaften war zu vernehmen, das DGB-Ministeriums-Papier sei ein vor Monaten formulierter Text, in dem Bedingungen für eine Zustimmung zu TTIP aufgeführt seien, die auch vom DGB-Bundeskongress beschlossen wurden.

* Aus: neues deutschland, Freitag 19. September 2014


Zum Dokument:

Bundeswirtschaftsministerium und DGB zum TTIP
Anforderungen an Freihandelsgespräche zwischen der EU und den USA unter der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit, Arbeitnehmerrechten und der Gewährleistung der Daseinsvorsorge, pdf (September 2014)



»Offenheit« statt Protest

DGB bekennt sich gemeinsam mit der Bundesregierung zu Freihandelsabkommen TTIP. Rückendeckung für SPD-Chef Gabriel

Von Ralf Wurzbacher **


Anfang September erst hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) unter Verweis auf eine Allensbach-Erhebung zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP konstatiert: »Je informierter« die Befragten seien, »desto kritischer« positionierten sie sich. Von denen, die sich näher mit der geplanten Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA beschäftigt hätten, hielten 60 Prozent das Vorhaben für »keine gute Sache«. Dabei klang mit: Seht her, der DGB steht auf der Seite der Gegner, und die per Pressemitteilung erhobene Forderung lautete denn auch, die »TTIP-Verhandlungen auszusetzen«.

Zwei Wochen später sieht man die Dinge beim Gewerkschaftsdachverband nicht mehr so verbissen. In einem gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) formulierten Papier heißt der DGB das TTIP vom Grundsatz her gut. Die Gespräche mit den USA könnten helfen, die bilateralen Handelsbeziehungen zu intensivieren. Außerdem könnte der künftige Pakt dazu beitragen, »faire und nachhaltige Handelsregeln global voranzutreiben und Maßstäbe zu setzen«. Aus dem vierseitigen Schreiben zitierte am Donnerstag zuerst die Süddeutsche Zeitung (SZ), bevor es der DGB auf seiner Webseite selbst publizierte – gerade noch rechtzeitig vor dem an diesem Wochenende anstehenden Parteikonvent der SPD.

Im Berliner Willy-Brandt-Haus kommen am Samstag und Sonntag 300 Delegierte aus ganz Deutschland zusammen, um über Grundlinien der Sozialdemokratie zu diskutieren. Neben den Hauptthemen Friedenspolitik und Digitalisierung soll auch das TTIP behandelt werden. Wie der Spiegel berichtete, will SPD-Chef Sigmar Gabriel seine Partei auf eine gemeinsame – grundsätzlich zustimmende – Haltung zu dem Abkommen einschwören. Unter den Genossen bestehen zum Teil große Vorbehalte gegen die Pläne. Dem Konvent liegen allein fünf Anträge aus den Reihen der Parteilinken vor. Sie plädieren für eine Neuausrichtung bis hin zu einem Abbruch der Verhandlungen zum TTIP sowie für einen Stopp des unterschriftsreifen CETA-Abkommens zwischen der EU und Kanada.

So ist etwa von »klaren roten Linien« die Rede, die die Sozialdemokraten »als Bedingung für eine Zustimmung aufstellen sollten«. Laut der SPD Bremen schränkt das Freihandelsabkommen »die legitimen Handlungsmöglichkeiten von Staaten« ein und gefährdet die Demokratie. Die Dortmunder SPD verlangt »unverzüglich« eine Veröffentlichung aller Verhandlungsunterlagen, die angestrebte »neoliberale Deregulierung unterstützen wir nicht«. Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen will die Gespräche vorerst ruhen lassen, um zunächst »in einem transparenten Prozeß an einer Neuformulierung der Verhandlungsziele bzw. Verhandlungsgrundlagen zu arbeiten«.

SPD-Vormann Gabriel hat ein Kompromißpapier vorgelegt, nach dem es einen »Abbau von wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Standards« nicht geben dürfe und innerhalb der Partei »die Möglichkeit zur Diskussion, Meinungsbildung und Mitsprache bestehen« müsse. Den Kritikern gehen die Zugeständnisse nicht weit genug, starkes Mißfallen ruft vor allem der geplante Schutz von Investoren durch nichtöffentliche Schiedsgerichte hervor. Sein »Nein« dazu hat Gabriel auf Druck der EU-Kommission inzwischen aufgegeben. Von der parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion verlautete gestern, der Antragsentwurf sei nicht mehrheitsfähig und falle »weit hinter das zurück, was wir bislang im Bund und im Europawahlkampf vertreten haben«.

Gabriels Verständigung mit dem DGB könnte den TTIP-Gegnern in der eigenen Partei indes einiges an Wind aus den Segeln nehmen. Das 14-Punkte-Papier ist zwar kein Freibrief für einen neoliberalen Durchmarsch. Beispielsweise dürften nach den Empfehlungen Rechte der Beschäftigten nicht als »Handelshemmnisse« gedeutet, demokratische Rechte nicht »gefährdet, ausgehebelt oder umgangen« und nicht noch mehr öffentliche Dienstleistungen privatisiert werden. Ein »Ja, aber« durch die deutschen Gewerkschaften ist für die TTIP-Macher gleichwohl ein beträchtlicher Fortschritt. Die SZ attestierte dem DGB prompt »wohltuende Nüchternheit, ja: Offenheit«, womit auch feststeht: Echten Widerstand wird es keinen geben.

** Aus: junge Welt, Freitag 19. September 2014

Zum Dokument:

Bundeswirtschaftsministerium und DGB zum TTIP
Anforderungen an Freihandelsgespräche zwischen der EU und den USA unter der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit, Arbeitnehmerrechten und der Gewährleistung der Daseinsvorsorge, pdf (September 2014)




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