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"Deutschland spielt keine ablehnende Rolle"

Gegner der Freihandelsabkommen TTIP und CETA haben europaweit bereits 850.000 Unterschriften gesammelt. Gespräch mit Michael Efler *


Michael Efler ist Bundessprecher von Mehr Demokratie e.V. und Mitglied des Bürgerausschusses der EBI gegen TTIP und CETA.


Im September hat die EU-Kommission die geplante Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen die Freihandelsabkommen TTIP mit den USA und CETA mit Kanada abgelehnt. Daraufhin haben Sie mit über 240 Bündnispartnern seit einem Monat auf eigene Faust bereits über 850 000 Unterschriften gesammelt. Wurde Ihnen dazu aus Brüssel gratuliert?

Nein, natürlich nicht, es gab bisher überhaupt keine Kontaktaufnahme aus Brüssel, seit wir die Unterschriftensammlung am 7. Oktober gestartet haben. Wir haben allerdings einen Brief an EU-Komissionspräsident Jean-Claude Juncker verschickt, in dem wir ihn auffordern, die Freihandelsverhandlungen zu stoppen. Außerdem werden wir am heutigen Montag vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Ablehnung der Registrierung der EBI einreichen.

Wie wurde das Verbot der Bürgerinitiative begründet?

Mit fadenscheinigen Argumenten: Von der EU-Kommission hieß es, eine EBI könne sich nicht gegen internationale Verträge wehren. Das Verhandlungsmandat sei ein Rechtsakt, der nur Kommission und Rat bindet. Das ist hochproblematisch, weil damit ein wesentlicher Politikbereich der Bürgerbeteiligung entzogen würde. Zudem hieß es, eine Bürgerinitiative dürfe nicht negativ sein , wir dürften zum Beispiel fordern, dass die Verhandlungen weitergeführt und abgeschlossen werden. Das ist nun wirklich absurd.

Wir sehen bei beiden Freihandelsabkommen grundsätzliche Probleme im Verhältnis zwischen Wirtschaftsmacht einerseits und demokratischer wie rechtsstaatlicher Kontrolle andererseits. Dieses Verhältnis würde sich zugunsten der Privaten verschieben. Wir brauchen beispielsweise keine privatisierte Paralleljustiz in Form von Schiedsgerichten. Solche Geheimgerichte führen zu einem Zwei-Klassen-Justizsystem, das haben die Erfahrungen bisheriger Verträge gezeigt. Außerdem wollen wir nicht, dass bewährte Standards auf dem Altar des Freihandelsabkommens geopfert werden.

Inwiefern lässt sich das mit einer Unterschriftensammlung verhindern?

Die EBI ist ja nur ein Teil unseres Widerstandes gegen diese Freihandelsabkommen. Mitte Oktober hatten wir zum Beispiel einen großen Aktionstag gegen diese Verträge.

Aus der deutschen Politik gab es immerhin einige Lippenbekenntnisse als Reaktion auf die massive Kritik ...

Bei den Schiedsgerichten spielt Deutschland wohl eine bremsende, aber keine ablehnende Rolle. Deutschland ist eine treibende Kraft hinter beiden Abkommen, gerade Kanzlerin Merkel (CDU) will sie unbedingt durchsetzen. Die Union macht eine Werbekampagne für beide Abkommen und druckt Broschüren. Der Koalitionspartner SPD hat keinen klaren Kurs, der Konventsbeschluß setzt bestimmte Kriterien fest, wie die Herausnahme der Schiedsgerichte. Diese Kriterien werden aber schon beim bereits vorliegenden CETA-Abkommen verletzt, da die Schiedsgerichte nicht herausgenommen wurden. Also müsste die SPD auf Nachverhandlungen drängen und ansonsten »nein« sagen.

Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hat sich zum Teil kritisch geäußert – Fakt ist aber: Es wird weiter verhandelt. Und andere Länder drängen: 14 nationale Handelsminister haben in einem Schreiben an die Komission darauf bestanden, dem Druck der Bevölkerung nicht nachzugeben und nicht auf die Schiedsgerichte zu verzichten.

Was sagen diese intransparenten Verhandlungen über den Zustand der Demokratie?

Wir haben in der EU ein fundamentales Demokratiedefizit. Rat und Kommission, die Exekutive, dominieren – und das Parlament hat nur eine nachvollziehende Rolle. Die Information der Abgeordneten ist eine Frechheit. Nur einige dürfen in einem Datenraum die Dokumente zu den Verhandlungen einsehen, aber nicht darüber sprechen. Das spricht der Demokratie Hohn, es ist traurig, daß so etwas im 21. Jahrhundert noch möglich ist.

Dennoch: Es ist nicht völlig aussichtslos, durch Aktionen im Europäischen Parlament eine Mehrheit gegen die Abkommen zu organisieren. Unklar ist, ob CETA auch vor die nationalen Parlamente kommt – falls ja, werden wir auch hier Aktionen planen und durchführen. Es gibt noch viel zu tun.

* Aus: junge Welt, Montag, 10. November 2014


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