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"Widerstand muß nicht nur aus den Parteien kommen"

Freihandelsabkommen TTIP würde Machtausweitung des weltweiten Kapitals in Europa und den USA bedeuten. Ein Gespräch mit Rudolf Hickel


Rudolf Hickel ist Professor für Finanzwirtschaft und Forschungsleiter Finanzpolitik am Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen.


Das EU-Parlament geht davon aus, daß das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, bekannt unter dem Kürzel TTIP zustande kommt – obwohl Kritiker vor bedenklichen Sonderrechten für Großkonzerne warnen. Ist es jetzt beschlossene Sache?

Nein. Das EU-Parlament hat einen Beschluß gefaßt, der besagt, daß der EU-Handelskommissar Karel De Gucht formal für die Verhandlung des Freihandelsabkommens zuständig ist. Endgültig ist es nicht. Die unterbrochenen Verhandlungen sollen nach der Zusage von Angela Merkel (CDU) an US-Präsident Barack Obama fortgesetzt werden. Dieses Mandat an den EU-Kommissar ist aber ein starker Einstieg, die sogenannte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) umzusetzen, ein Signal weiterzumachen, gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung. Linke und Grüne haben nicht zugestimmt.

Was droht uns, falls TTIP in Kraft tritt?

Es gibt drei Maßnahmen. Zölle zwischen den USA und Europa, die zur Zeit bei industriellen Gütern nur bei bis zu vier Prozent liegen, sollen abgebaut werden, um so vermeintlich Handelshemmnisse zu beseitigen – das ist nur vorgeschoben. Die zweite Maßnahme ist dagegen gravierend: Großkonzerne sehen staatliche Regulierungen als hinderlich an und machen Druck, sie zu reduzieren. Beispiel: In den USA können sie ohne Ausweispflicht Genmais, Hormonfleisch, gechlorte Hühner und weitere manipulierte Lebensmittel anbieten. Interesse amerikanischer Konzerne ist nun, in Europa bestehende Standards abzubauen. Gleiches gilt für Arbeitnehmerrechte: Tarifrecht, Tarifverträge, betriebliche Mitbestimmung. Umgekehrt gibt es in den USA zum Teil höhere Standards für Arzneimittel – die könnten in europäischen Betrieben produziert und dann der US-Bevölkerung zugemutet werden. Dort stärker regulierte Banken könnten so wieder dereguliert werden. Die dritte Maßnahme: Der geplante Investorenschutz. Danach könnten Unternehmen erfolgversprechend gegen demokratische Entscheidungen im Umwelt- oder Sozialbereich eines Landes klagen, wenn sie sich in ihrem Profitkalkül gestört fühlen. Die Bevölkerung muß dann schlechtere Bedingungen hinnehmen.

Wie würde das funktionieren?

Unternehmen klagen nicht mehr bei unabhängigen nationalen Gerichten. Eine eigene Gerichtsbarkeit entscheidet, mit drei Personen besetzt: Der Kläger, der Beklagte, ein aus der Liste der Weltbank ausgewählter Vorsitzender. Internationale Anwaltskanzleien bieten beides: Sie sind auf der Seite der Konzerne, zudem auf der Liste der Weltbank, die sie als Vorsitzende einsetzt. So werden demokratische Errungenschaften abgebaut. Beispiel: Dort wäre zu entscheiden, wenn Vattenfall die Bundesregierung auf 3,7 Milliarden Euro verklagt, weil der Konzern durch den Atomausstieg Milliarden verlieren wird. Vorstellbar ist auch ein Verfahren, wenn Konzerne sich durch die Einführung von Mindestlöhnen gestört fühlen. Ein Energiekonzern könnte klagen, daß Fracking zugelassen wird, weil es ihn sonst Profite kosten könnte. Gesetzt den Fall, Philip Morris würde auf 500 Millionen Dollar wegen Gewinnausfalls klagen, weil in den USA martialische Bilder auf Zigarettenschachteln sein müssen, um Verbraucher vom Rauchen abzuhalten: Bekäme der Konzern recht, gäbe es keine Revisionsinstanz mehr. Eine Machtausweitung des weltweiten Kapitals in Europa und den USA wäre die Folge.

Ist zu erwarten, daß nationale Regierungen die Regelung stoppen?

Druck aus den Nationalstaaten hat all das bislang verzögert. Bundeskanzlerin Merkel hat im Gespräch mit US-Präsident Obama die Umsetzung bekräftigt. Beide Länder dienen nur den Interessen der transnationalen Konzerne. Widerstand muß nicht nur aus den Parteien im Bundestag kommen. Auch den Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften kommt die Aufgabe zu, die geplante vermeintliche »Partnerschaft« zu Fall zu bringen. Das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC, wo ich im wissenschaftlichen Beirat sitze, läuft bereits mit guten Argumenten Sturm dagegen. Verbraucher- und Sozialverbände müssen dagegen mobilisieren. Die Bundesregierung ist gespalten. Die CDU/CSU will es, ebenso die FDP, die jetzt nichts mehr zu sagen hat. Die SPD will es ein bißchen – wie Sozialdemokraten eben so sind. Ich bin der Meinung, wir brauchen das Abkommen nicht.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Montag, 5. Mai, 2014


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