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"Es geht um Gesetzeszensur unter Lobbyeinfluss"

Begleitet von Protesten, tagt in Brüssel die achte Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Gespräch mit Maritta Strasser *

Maritta Strasser ist Kampagnenleiterin des Onlinenetzwerks Campact.

Vergangene Woche wurde ein bislang geheimes Papier der EU-Kommission zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA öffentlich. Bis Freitag findet die achte Verhandlungsrunde zum sogenannten TTIP in Brüssel statt. Sie sind vor Ort. Welche Informationen kommen nun ans Tageslicht?

Die EU-Verhandlungsleiter unterbreiten in dem Papier einen Vorschlag zu einem bürokratischen Monstrum. Sie nennen es »Regulatorische Kooperation«. Es geht um eine Art Gesetzeszensur durch ein intransparent agierendes Gremium unter großem Lobbyeinfluss. Die Idee geistert schon länger durch die Vorschläge der EU-Kommission. Gleich zu Verhandlungsbeginn hatte sie verkündet, eine Art »lebendes Abkommen« zu wollen, das sich – nach Unterzeichnung – stetig entwickeln lässt: auf höchst intransparente Weise ständig veränderbar, vor allem im Interesse großer Konzerne.

Was droht im Detail?

Die großen Industrieverbände beiderseits des Atlantiks – Business Europe und American Chamber of Commerce – versuchen, Regeln für unser Leben zu formulieren. Demokratie ist da hinderlich. TTIP soll es richten: Ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den USA und der EU, der mehr Gewicht bekommen könnte als Verfassung und Grundrechtecharta. Laut dem Vorschlag der Kommission sollen EU-Gesetze künftig zunächst von Konzernen und US-Regierung geprüft werden. Was schädlich für den Handel erscheint oder Konzerninteressen zuwiderläuft, verschwindet so womöglich in der Schublade, bevor gewählte Abgeordnete und Regierungen davon auch nur erfahren.

Wie weit geht der Einfluss der Lobbyisten?

Sie sind ganz eng einbezogen: Wenn die EU-Kommission in dem Zusammenhang von »Stakeholdern« – also Anspruchsberechtigten – spricht, meint sie nie gesellschaftliche Interessensvertreter wie Verbraucherschutzgruppen oder Gewerkschaften, sondern stets Wirtschaftsvertreter.

Welche negativen Folgen der Abkommen sind bislang bekannt?

Ein intransparentes Gremium wird die bestehende EU-Gesetzgebung danach einfach verändern können – an Parlament und EU-Rat vorbei. »Harmonisieren« nennt sich das. Nicht nur auf künftige Gesetze kann Einfluss genommen werden, sondern auch auf bereits bestehende. Möglich ist dann, Verbraucher- oder Umweltschutz im Sinn der Märkte zu deregulieren und über Bord zu werfen. Nach bisherigem Zeitplan ist aber nicht anzunehmen, dass der Vertrag bis Jahresende ausgehandelt sein wird. Vermutlich ziehen sich die Verhandlungen bis in den Präsidentschaftswahlkampf in den USA 2016 hinein. Auch dort regt sich Widerstand.

Die Verhandlungsrunde tagt hinter verschlossenen Türen. Welche Proteste gibt es derweil in Europa?

Parallel dazu findet hier in Brüssel ein Treffen von 125 Organisationen aus verschiedenen Ländern statt, die sich gegen TTIP und CETA, das entsprechende Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, engagieren. Teilnehmende haben am Mittwoch Europaparlamentarier aufgesucht, um mit ihnen die Gefahren für die Demokratie durch die Abkommen zu diskutieren. 1,3 Millionen Menschen haben die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen die Freihandelsabkommen online unterzeichnet. Der nächste globale dezentrale Aktionstag wird am 18. April sein.

Warum hat Campact speziell in Hamburg eine Kampagne gestartet?

Wir haben die Bürgerschaftswahl in Hamburg am 15. Februar zum Anlass genommen zu verdeutlichen, wie sich die Parteien zu TTIP und CETA positionieren. Denn der künftige Hamburger Senat hat die Möglichkeit im Bundesrat über die EU-Abkommen abzustimmen. Die Partei Die Linke, die Grünen und die Piraten sind klar gegen sie, SPD und CDU drücken sich davor, Stellung zu beziehen.

Sie malen in einer Broschüre aus, wie Hamburg im Jahr 2021 aussehen würde, wenn TTIP und CETA durchkämen. Welche Zukunftsszenarien sehen Sie?

Die Hansestadt droht durch TTIP an Wirtschaftskraft und Handelsvolumen zu verlieren. Trinkwasser, Volksentscheide, Krankenhäuser, Mindestlohn und Universitäten wären durch die beiden Handelsabkommen gefährdet. Theater müssten vermutlich mangels öffentlicher Finanzierung schließen; Schwimmbäder könnten in teure privatisierte Freizeitspaßstätten umgewandelt werden. Arbeitsplätze im Hamburger Hafen könnten verloren gehen.

www.campact.de

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Februar 2015


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